21. Juli 2016 · Kommentare deaktiviert für „So hart geht Ungarn gegen Flüchtlinge vor“ · Kategorien: Balkanroute, Serbien, Ungarn · Tags: ,

Quelle: Die Welt

Es erinnert an Idomeni: Im Lager bei Röszke campieren Flüchtlinge unter freiem Himmel. Es gibt weder Toiletten noch Duschen, nur eine Wasserpumpe. Eine verschärfte Regel erschwert die Flucht.

Schon aus der Ferne stechen die kleinen Zelte ins Auge. Ungarns Elendslager für gestrandete Flüchtlinge liegt 150 Meter neben der Autobahn M5 Budapest-Belgrad, unmittelbar an der Grenze zu Serbien. Im Hintergrund rollen dicke Sattelschlepper vorbei, neben ihnen Urlaubsreisende, Gastarbeiter und Einkaufsbummler in ihren Autos.

Die Behausungen auf dem ausgedörrten, versandeten Feld schmiegen sich eng an den Grenzzaun, den der rechts-konservative ungarische Regierungschef Viktor Orban im vergangenen Herbst an den Grenzen zu Serbien und Kroatien hatte errichten lassen. Rund 600 Flüchtlinge campieren hier unter freiem Himmel und ohne nennenswerte Infrastruktur.

Denn hier, abgesondert vom regulären Grenzübergang, befindet sich die sogenannte „Transitzone“. 15 Menschen am Tag lassen die Ungarn durch dieses gewissermaßen legale Schlupfloch im stacheldrahtbewehrten Grenzzaun. 15 Flüchtlinge, die dann um Asyl ersuchen dürfen. Eine zweite „Transitzone“ gibt es 40 Kilometer westlich, beim Grenzübergang Tompa. Dort lagern etwa 300 Flüchtlinge, auch hier werden täglich 15 von ihnen nach Ungarn eingelassen.

Erinnerung an das griechische Elendslager Idomeni

Ungarns Regierung setzt auf Abschreckung. Das improvisierte Camp bei Röszke erinnert an das – inzwischen aufgelöste – griechische Elendslager Idomeni an der mazedonischen Grenze. Nur die Dimensionen sind andere: in Idomeni harrten bis zu 12.000 Flüchtlinge aus.

Aber auch in Röszke sind die Menschen den Fährnissen des Wetters ausgesetzt. Jetzt im Sommer kann das sengende Hitze sein oder sturzbachartiger Regen. Es gibt keine Toiletten, keine Duschen, nur eine einzige Wasserpumpe. Auf dem staubigen Grund, der einst eine Wiese war, spielen Kinder anscheinend sorglos Fußball.

Der Weg ins Landesinnere Serbiens ist frei. Wer Geld für ein Taxi hat, kann in das einigermaßen gut organisierte Camp am Rande der 25 Kilometer entfernten Stadt Subotica fahren. Wegen Überbelegung wird dort zwar auch im Freien gecampt, aber es gibt sanitäre Einrichtungen und drahtloses Internet. Rund 400 Menschen sind hier untergebracht. Da manche „Pendler“ in Subotica und in Röszke doppelt gezählt werden, dürften sich um die 1000 Flüchtlinge im ungarisch-serbischen Grenzgebiet aufhalten.

Über „Service-Tore“ nach Serbien zurück geschoben

Viele wollen sich die lange Warterei vor den „Transitzonen“ nicht antun. Vor allem alleinstehende junge Männer rutschen auf der Warteliste immer weiter nach unten – Familien mit Kindern haben angeblich Priorität. Für die „Ungeduldigen“ schneiden Schlepper gegen Bezahlung Löcher in den Grenzzaun. Nicht alle, die durchschlüpfen, werden von den Ungarn gefasst, aber doch die meisten.

Nun aber hat die ungarische Führung die Gangart verschärft. Seit dem 5. Juli gilt eine neue Regel: Wer weniger als acht Kilometer von der Grenze entfernt aufgegriffen wird, kann durch eines der „Service-Tore“ im Grenzzaun nach Serbien zurück geschoben werden.

Ernö Simon, der Sprecher des UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR in Budapest, erblickt in diesen „Push-backs“ eine mögliche Verletzung europäischen und internationalen Rechts. „Menschen, die bereits in Ungarn sind, wird es verwehrt, von ihrem Recht auf Schutz Gebrauch zu machen“, sagt er.

„Wir dachten, wir hätten es geschafft“

Mit den acht Kilometern scheinen es die ungarischen Polizisten ohnehin nicht so genau zu nehmen. Der 28-jährige Afghane Ismar Amini kroch mit sieben Angehörigen seiner Familie durch ein Loch im Grenzzaun. In zwei durchmarschierten Nächten erreichte die Gruppe die südungarische Kleinstadt Baja, mehr als 20 Kilometer von der Grenze entfernt.

„Wir dachten, wir hätten es geschafft, denn wir hatten uns an der Acht-Kilometer-Regel orientiert“, erzählt er. „Wir setzten uns auf eine Parkbank und warteten auf die Polizisten, denn wir wollten einen Asylantrag stellen.“ Die Afghanen staunten nicht schlecht, als sie die Uniformierten zum Grenzzaun brachten und ihnen den Weg durchs „Service-Tor“ wiesen. Jetzt warten sie im Elendslager Röszke auf Einlass in die „Transitzone“.

Asylsuchende mit Schlagstöcken und Pfefferspray attackiert

Dabei war es den Aminis noch relativ gut ergangen. Bei ihrem „Push-back“ erfuhren sie keine Misshandlung. Das UNHCR und die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch haben indes zahlreiche Fälle dokumentiert, in denen Asylsuchende nach der Festnahme in Ungarn von Behördenvertretern mit Schlagstöcken und Pfefferspray traktiert worden sein sollen.

Am Mittwoch hieß es im Lager Subotica, dass ein junger Syrer zum Arzt gebracht wurde, weil ihn in der Nacht zuvor in Ungarn ein Polizeihund gebissen hatte, der auf ihn losgelassen wurde. Ungarische Stellen bestreiten, dass ungerechtfertigte Gewalt gegen Flüchtlinge angewendet werde. Das UNHCR verlangt wiederum eine echte Aufklärung der Fälle und ein Ende der Praxis der „Push-backs“.

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siehe auch: derStandard

Schärfere Gangart gegen Flüchtlinge in Ungarn

Ungarns Behörden nehmen illegale „Pushbacks“ nach Serbien vor. 1.000 Menschen stecken im Grenzgebiet fest

Gregor Mayer aus Röszke und Subotica

Rund 600 Menschen – dreimal so viele wie noch vor zwei Monaten – lagern im Elendscamp am Grenzzaun bei der südungarischen Ortschaft Röszke. In dem künstlichen Niemandsland an der Autobahn zwischen Ungarn und Serbien gibt es weiterhin keine Duschen und Toiletten. Ein paar Flüchtlingskinder spielen auf der ausgedörrten Wiese scheinbar sorglos Fußball, inmitten der Staubwolken, die sie aufwirbeln.

Ungarn hat hier eine sogenannte Transitzone eingerichtet. Es ist praktisch eine Lücke im Zaun mit Tor und dahinterliegendem Containercamp. Durch das Tor werden am Tag 15 Flüchtlinge gelassen, die dann im Container formal um Asyl ansuchen dürfen. Eine weitere „Transitzone“ mit derselben Tagesquote befindet sich 40 Kilometer westlich beim Grenzübergang Tompa. Deutlich angestiegen ist die Zahl der Wartenden deshalb, weil Ungarn seit zweieinhalb Wochen neue Regeln für jene anwenden, die im Inneren des Landes aufgegriffen werden.

1000 sitzen fest

Bisher hat man nämlich diese Menschen vor ein Strafgericht gestellt und zum „Landesverweis“ verurteilt. Seit dem 5. Juli gilt jedoch: Wer als „Grenzverletzer“ in einer Entfernung von bis zu acht Kilometern von der Grenze aufgegriffen wird, kommt nicht mehr vor Gericht, sondern wird zu einem der Servicetore im Grenzzaun gebracht. Dort zeigt man die Richtung zur nächstgelegenen „Transitzone“. Rund 1000 Asylsuchende dürften deshalb derzeit im Grenzgebiet festsitzen.

Nach Ansicht von Experten und UN-Organisationen stellt das Zurückschieben von Menschen über die grüne Grenze ins Nachbarland – das sogenannte Push-back – einen Verstoß gegen internationales Recht dar. Immer wieder hört man davon, dass die ungarischen Behörden die Aufgegriffenen misshandeln würden. Die Organisation Human Rights Watch sammelte die Aussagen von Betroffenen, die behaupten, dass sie mit Schlagstöcken und Pfefferspray traktiert worden seien.

„Push-back“ statt Asylantrag

Auch der Acht-Kilometer-Perimeter scheint eher eine virtuelle Größe zu sein. Der 28-jährige Afghane Ismar Amini, derzeitig ein Bewohner des Elendscamps bei Röszke, kroch mit sieben Angehörigen seiner Familie durch ein Loch im Grenzzaun. In zwei durchmarschierten Nächten erreichte die Gruppe die südungarische Kleinstadt Baja, mehr als 20 Kilometer von der Grenze entfernt. „Wir dachten, wir hätten es geschafft, denn wir hatten uns an der Acht-Kilometer-Regel orientiert“, erzählt er.

„Wir setzten uns auf eine Parkbank und warteten auf die Polizei, denn wir wollten einen Asylantrag stellen.“ Die Afghanen staunten, als sie die Uniformierten zum Grenzzaun brachten und durchs Servicetor aus dem Land schoben. Misshandelt wurde diese Gruppe nicht, wahrscheinlich, weil es sich um eine Familie mit Kindern handelte.

Abschreckung

In einem Lager am Rande der 25 Kilometer entfernten serbischen Stadt Subotica warten jene Flüchtlinge, die aufgrund der inzwischen angelegten Liste für den Einlass in die ungarische „Transitzone“ noch Zeit haben. Dort herrschen einigermaßen reguläre Umstände. Am Mittwoch wurde ein junger Syrer zum Arzt gebracht, der in der Nacht zuvor unter dem Grenzzaun durchgekrochen und von den Ungarn gefasst worden war. Ihn hatte ein Polizeihund gebissen, den man auf ihn losgelassen hatte.

Der rechtspopulistische ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán verfolgt im Umgang mit den Flüchtlingen eine einzige Idee: Abschreckung. Zuerst ließ er den Grenzzaun mit dem rasiermesserscharfen Stacheldraht installieren, dann kamen die summarischen Gerichtsverfahren, jetzt die illegalen „Push-backs“ mit der gelegentlichen Verprügelung alleinstehender junger Männer. Sein Problem ist, dass bei den großteils kriegstraumatisierten Flüchtlingen derartige Brachialmethoden schnell abstumpfen.

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siehe auch: n24

So schlimm leben die Flüchtlinge im Elendslager Röszke

 

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