21. Juni 2016 · Kommentare deaktiviert für „Menschenschmuggel aus Eritrea: All-inclusive in den Tod“ · Kategorien: Afrika, Italien, Libyen, Mittelmeerroute · Tags:

Quelle: Spiegel Online

Durch die Wüste nach Libyen, in Booten übers Meer: Medhani Yehdehos Mered hat Tausende Flüchtlinge nach Europa geschleust – und ist stolz darauf. Was wir über den Schleuserkönig wissen.

Von Christoph Titz
Nur wenige Menschenschmuggler geben bereitwillig ihren richtigen Namen an. Die meisten verstecken sich hinter Aliasnamen und wechseln häufig das Handy. Bei dem Eritreer Medhani Yehgedo Mered war das offenbar anders.

Yehdehos Mered, 35, stellte Bilder von sich auf Facebook. Und er arbeitete lange unter seinem echten Namen und mit derselben Telefonnummer. So ist ihm offenbar der sudanesische Geheimdienst in Khartum auf die Spur gekommen. Britische und italienische Sicherheitskräfte feierten jedenfalls schon seine Festnahme und Auslieferung nach Italien. Doch inzwischen sind Zweifel aufgekommen, ob es sich bei dem Mann in einer Zelle in Rom wirklich um Medhani Yehdehos Mered handelt.

Keine Zweifel bestehen, was das klandestine Geschäft des Eritreers betrifft, er gilt als der König der Schleuser und Menschenschieber – und ihm liegt sehr viel an seinem Ruf. „Wie die Menschen über ihn denken, ist Mered wichtig“, sagt Meron Estefanos, eine eritreische Flüchtlingsaktivistin, die in Schweden lebt. Sie moderiert von Stockholm aus eine eritreische Radioshow, in der sie 2015 über den Schmugglerkönig Mered sprach, zu dem sie ausführlich recherchiert hatte.

Medhani, der unschuldige Reiseleiter?

Danach rief Yehdehos Mered bei ihr an, so erzählt es Estefanos. „Er stellte sich mit vollem Namen vor. Und er beschwerte sich, weil die Menschen, die er geschmuggelt hatte, ihm Missbrauch und schlechte Behandlung vorwarfen.“ Den Schmuggel habe er nicht abgestritten. Nur dass die Geschmuggelten seinetwegen Qualen erlitten hätten.

Europäische Behörden werfen dem 35-Jährigen vor, für bis zu 8000 Menschen pro Jahr die Fahrt in Booten über das Mittelmeer organisiert zu haben. Unter Yehdehos Mereds Kunden sollen auch die Opfer einer gescheiterten Überfahrt vom Oktober 2013 gewesen sein: Nach der Tragödie vor der italienischen Insel Lampedusa mit mehr als 120 Toten gaben Überlebende an, Mered habe die Fahrt organisiert.

Estefanos sagt, der Yehdehos Mered, mit dem sie am Telefon sprach, habe kein Unrechtsbewusstsein. Er sehe sich als eine Art Reiseunternehmer. Die Saison für die Abreise aus dem Sudan beginne im Februar. Dann ist man rechtzeitig zum ruhigeren Sommerwetter am libyschen Strand.

Für die Schleuser ist es ein lukratives Geschäft: 1600 bis 2000 Dollar koste eine Fahrt mit Rebellen durch die Sahara. Abfahrt im sudanesischen Khartum, Ziel ist ein Lagerhaus im Osten Libyens, nahe der Stadt Adschdabija. Von dort aus geht es für weitere 2000 bis 2400 Dollar nach Westen, in die Nähe von Tripolis – und dann auf eines der berüchtigten Schiffe nach Italien.

Menschen wie Ware eingelagert

Doch auch vor der Überfahrt lauern viele tödliche Gefahren: Beduinen organisieren die Passage durch die Wüste im rechtlosen Südosten Libyens. Ihre Konvois werden häufig attackiert, die Flüchtlinge gekidnappt, um von deren Familien Lösegeld zu erpressen. Oder die Angreifer stehlen die Fahrzeuge und lassen die Menschen in der Sahara zum Sterben zurück.

In Libyen muss die Kundschaft oft Monate warten, bis das Geld für ihre Weiterreise angekommen ist. Dafür sind meist nicht einmal Überweisungen nötig, erklärt Estefanos. In europäischen Ländern zahlen Verwandte der in Libyen Wartenden direkt an Verbindungsleute der Schmuggler in Europa.

Seit das Land fast völlig kollabiert ist und die Terrormiliz „Islamischer Staat“ sich ausbreitet, ist auch der Weg durch das bewohnte nördliche Libyen höchst riskant: Dutzende Eritreer sollen in die Hände der Dschihadisten gefallen sein. Überlebende berichten, Muslime seien aufgefordert worden, sich ihrem Kampf anzuschließen. Christen, die sich nicht zum muslimischen Glauben bekehren ließen, seien ermordet worden.

Estefanos, seit Jahren in der Flüchtlingshilfe aktiv, sagt, sie kenne viele Eritreer, die so mit Yehdehos Mered nach Europa gekommen sind. Der mutmaßliche Schleuser transportiere fast ausschließlich Landsleute, Kunden gibt es genug. Nach Uno-Schätzungen verlassen 5000 Menschen pro Monat das Land, ein Drittel der ehemals sechs Millionen Einwohner soll aus der Diktatur geflohen sein.

Wer sitzt da in der Zelle: Schmuggler oder Flüchtling?

Estefanos sagt auch, sie sei sicher, dass Yehdehos Mered noch frei im Sudan lebe – und dass in Rom der Falsche in einer Zelle schmort. Für Briten und Italiener könnte ihr vermeintlicher Coup zu einer peinlichen Affäre werden, vielleicht sogar mit einem echten Flüchtling als Opfer der Justiz.

Die britischen Medien „Guardian“ und BBC berichten schon kurz nach der gefeierten Verhaftung, Freunde und Verwandte eines Medhani Tesfamaniam Berhe hätten sich gemeldet: Der Eritreer in Handschellen sei Medhani, ihr Freund und Cousin, der verarmt als Flüchtling in Khartum lebe. Er heiße nicht Yehdehos Mered und sei kein Schmuggler. Der Anwalt des Verhafteten sagte Anfang der Woche, sein Mandant bestreite, mit Menschenschmuggel zu tun zu haben.

Allerdings wies ein Richter im sizilianischen Palermo am Dienstag einen Antrag auf Haftentlassung ab, meldet die Nachrichtenagentur Reuters. Es gebe „zahlreiche“ Indizien, die den Inhaftierten verdächtig machten. Ein sizilianischer Staatsanwalt sagte, die Beweise deuteten stark darauf hin, dass der Verdächtige Yehdehos Mered sei – oder zumindest jemand, der Straftaten begangen habe, die in dem Haftbefehl auf diesen Namen stehen. Der Gefasste habe sich in Telefonaten über Menschenschmuggel unterhalten.

Der Anwalt sagt dazu, das Handy seines Mandanten sei in den Fokus der Ermittler geraten, weil der mehrmals Nummern in Libyen angerufen hatte. Und er erklärt, Tesfamaniam Berhe habe einen Cousin in Libyen angerufen. Mit Schmuggel habe das nichts zu tun gehabt.

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