19. Januar 2016 · Kommentare deaktiviert für Flüchtlinge aus Marokko und Algerien: Schneller abschieben – nur wie? · Kategorien: Algerien, Deutschland, Marokko · Tags:

Quelle: Spiegel Online

Die Zahl der Flüchtlinge aus Marokko und Algerien hat sich vervielfacht – nun versucht die Bundesregierung, die Rückführung zu beschleunigen. Doch so einfach ist das nicht.

Von Severin Weiland

Die Steigerungsraten sind enorm. Noch im Juni vergangenen Jahres zählte das Bundesinnenministerium 847 Flüchtlinge aus Algerien und 368 aus Marokko. Im Dezember waren es bereits fast dreimal so viele Algerier (2296), die Zahl der Marokkaner hat sich sogar annähernd verachtfacht – auf 2896.

Und es könnte so weitergehen, befürchten die Behörden. Die Nordafrikaner nehmen inzwischen oft die längere Route über den Westbalkan. Die Flucht über die Meerenge zwischen Nordafrika und Spanien gilt als schwierig. Auch die Grenze zur spanischen Exklave Ceuta ist von marokkanischer Seite kaum zu überwinden, sie gleicht mit ihrem meterhohen Zäunen und Stacheldraht einem Hochsicherheitstrakt.

Für die Große Koalition, ohnehin schon wegen der Flüchtlingsbewegung aus Syrien und dem Irak unter Druck, sind die steigenden Migrantenzahlen aus Marokko und Algerien ein Problem – gerade nach den sexuellen Übergriffen auf Frauen, an denen in Köln in der Silvesternacht nach Angaben von Zeuginnen und der Polizei vor allem Männer aus Nordafrika beteiligt waren.

Intensiv wird nun auch über eine etablierte Kleinkriminellen-Struktur rund um den Kölner oder den Düsseldorfer Hauptbahnhof berichtet, an der viele Marokkaner beteiligt sind. Weil ihr Heimatland sie nicht mehr zurücknimmt, ihr Asylantrag aber nicht anerkannt wird, leben sie in einem Status permanenter Unsicherheit und verschaffen sich ihr Einkommen etwa durch Drogenverkauf.

Gabriel droht indirekt mit Kürzung von Hilfsmitteln

Kurz vor den drei wichtigen Landtagswahlen im März (Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt) versuchen deutsche Politiker, Probleme mit den Flüchtlingen aus den Maghreb-Staaten in den Griff zu bekommen. SPD-Chef Sigmar Gabriel schlug auf der Vorstandsklausur seiner Partei deutliche Worte an und stellte – ohne dies allerdings direkt zu fordern – die Gewährung deutscher Entwicklungshilfe an Nordafrika in einen Zusammenhang mit der Bereitschaft jener Länder, ihre Bürger auch wieder zurückzunehmen. „Es kann nicht sein, dass man die Entwicklungshilfe nimmt, aber die eigenen Bürger nicht“, sagte der SPD-Chef.

Genau das ist aber das Problem. Zwar hat Deutschland Rücknahmeabkommen mit Marokko und Algerien, doch oft vernichten Menschen aus diesen Ländern ihre Ausweispapiere, wenn sie deutschen Boden betreten. Und in vielen Fällen weigern sich die Länder, ihre Bürger wieder ins Land zu lassen oder schlicht für Ersatzdokumente zu sorgen, wenn sie zurück sollen.

Die Innenministerien der Länder, die für die Abschiebungen zuständig sind, sind verärgert. Sie werfen den nordafrikanischen Staaten intern „unkooperatives Verhalten“ vor. Rund 5500 Algerier, Marokkaner und Tunesier seien Ende Juli 2015 ausreisepflichtig gewesen, lediglich 53 konnten im ersten Halbjahr 2015 in ihre Heimatländer abgeschoben werden, heißt es in einem Papier, das dem SPIEGEL vorliegt.

Oftmals scheitert bereits die Kontaktaufnahme der deutschen Behörden mit den hiesigen Botschaften der drei Staaten. Bei der Botschaft Tunesiens etwa habe es, „bis auf wenige Einzelfälle“, keine Reaktion auf Anfragen gegeben, heißt es.

Die Kanzlerin sieht das Problem. „Auf dem Papier ist alles geregelt, in der Praxis erweist es sich in einzelnen Fällen als durchaus problematisch“, sagt ihr Regierungssprecher. Es müsse jetzt darüber geredet werden, dass „die Praxis der Vertragslage angepasst wird“.

Erst vergangene Woche war der algerische Ministerpräsident Abdelmalek Sellal zu Besuch in Deutschland. Angela Merkel forderte dabei mit Nachdruck, die Rücknahmeabkommen „in der geeigneten Weise operativ“ umzusetzen. Dafür solle es nun einen „intensiven Austausch“ der Polizeibeamten beider Länder geben.

Zwar sind Marokko und Algerien von deutschen Standards in Sachen Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie entfernt, doch nur wenige Flüchtlinge dürfen bleiben. So lag die „Schutzquote“ im vergangenen Jahr bei Marokkanern bei 3,7 Prozent, bei Algeriern sogar nur bei 1,7 Prozent. Und darunter fallen auch Personen, die gar nicht als Asylbewerber anerkannt wurden, aber vorläufigen Abschiebeschutz genießen.

Um die Quote noch weiter zu senken, will die Union Tunesien, Marokko und Algerien möglichst schnell zu sicheren Herkunftsstaaten erklären lassen. Die SPD ist offen dafür, notwendig wäre aber auch die Zustimmung von Landesregierungen mit grüner Beteiligung im Bundesrat.

Das Problem der schleppenden Rücknahme behebt dieser Schritt ohnehin nicht. In Berlin ist man sich bewusst: Bis es hier besser klappt, kann es dauern. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sandten jüngst Briefe an ihre Amtskollegen in Algerien und Marokko, warben für mehr Zusammenarbeit. Das Ziel der deutschen Seite: Marokkaner und Algerier ohne Papiere sollen mit sogenannten Laissez-Passer-Ersatzdokumenten der EU in Partnerstaaten zurückkehren können.

Algeriens Ministerpräsident versprach in Berlin zwar zu kooperieren, doch sagte er auch einen Satz, der auf weitere bürokratische Hindernisse hindeuten könnte: „Natürlich muss nachgewiesen sein, dass sie Algerier sind.“ Das, fügte er hinzu, „ist sehr wichtig.“

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