18. Januar 2016 · Kommentare deaktiviert für Slowenischer Premier: „Wir haben keine Wahl, wir müssen Flüchtlinge abweisen“ · Kategorien: Balkanroute, Slowenien · Tags: ,

Quelle: Die Welt

Sloweniens Premier Cerar warnt: Wenn Europa zu viele Flüchtlinge aufnimmt, ohne sie integrieren zu können, hat das dramatische Folgen. Es erhöhe die Terrorgefahr und zerstöre Solidarität in der EU.

Die Welt: Österreich hat damit begonnen, Flüchtlinge wegen falscher Ausweispapiere an der Grenze abzuweisen. Verschärft das die Lage in Slowenien?

Miro Cerar: Die Lage in Slowenien ist angespannt wegen der hohen Flüchtlingszahlen, täglich kommen rund 4000 neue Migranten. Wir haben nicht die Kapazitäten, so wie sie Österreich hat, mit Dialektexperten die Herkunft jedes einzelnen Flüchtlings zu überprüfen. Wenn Österreich Missbrauch bei Personaldokumenten entdeckt, dann müssen die Flüchtlinge zurückgeschickt werden. Das sehen wir genauso wie Wien. Wir haben diese Fälle bei uns im Land noch einmal neu geprüft – und die wahren Identitäten festgestellt. Es handelt sich hier um Hunderte, nicht um Tausende Fälle. Alle diese Flüchtlinge sind inzwischen über die Grenze nach Österreich ausgereist.

Die Welt: Wenn Slowenien also weiterhin nur Transitland ist, sind die Probleme also beherrschbar?

Cerar: Keineswegs! Wir erleben eine Art Dominoeffekt: Schweden und Dänemark haben angefangen, zwischen Wirtschaftsflüchtlingen und Asylbewerbern, die vor Gewalt fliehen, zu unterscheiden. Deutschland drosselt die Aufnahme ebenfalls, es wird nicht lange dauern, bis Österreich nachzieht. Damit hat Slowenien keine andere Wahl, als auch Flüchtlinge abzuweisen, weil wir nicht alle in unserem kleinen Land versorgen können.

Die Welt: Was haben Sie also vor? Die Grenzen schließen?

Cerar: Wir können nicht unbegrenzt Flüchtlinge bei uns in Europa aufnehmen. Ich schlage deshalb zwei Ansätze vor, die wir parallel verfolgen sollten: Wir müssen Griechenland helfen, dass es die EU-Außengrenze effektiv schützen kann. Dafür braucht es eine funktionierende Küstenwache, die illegale Einwanderung verhindert. Außerdem müssen wir das Abkommen mit der Türkei umsetzen.

Die Welt: Aber all diese Pläne liegen doch längst auf dem Tisch, trotzdem haben die EU-Mitglieder noch keinen Euro überwiesen für den Küstenschutz oder den Türkei-Deal.

Cerar: Darum geht es mir ja genau! Uns läuft die Zeit davon, Absichtserklärungen auf EU-Ebene reichen nicht länger aus. Die Mitgliedsstaaten müssen jetzt endlich liefern. Außerdem sollten wir Mazedonien mehr Unterstützung zukommen lassen, illegale Migration zu stoppen. Es geht um den Aufbau einer zweiten Verteidigungslinie, um all jene Flüchtlinge aufzuhalten, die unkontrolliert über Griechenland einreisen.

Die Welt: Wenn das nicht gelingt, wie wahrscheinlich sind dann offene Konflikte auf dem Balkan?

Cerar: Die Lage auf dem Westbalkan ist politisch sehr fragil. Wenn es dort zu einem Rückstau der Flüchtlingswelle kommt, ist das sehr gefährlich für die Stabilität in der Region.

Die Welt: Es gibt so viele Krisen zur selben Zeit: Was, wenn Europa einfach die Kraft und das Geld ausgehen, sie alle zu lösen?

Cerar: Wir erleben es ja schon jetzt, dass die Solidarität zwischen den EU-Staaten begrenzt ist. Genauso wie unsere Möglichkeiten, Menschen aus einem anderen Kulturraum zu integrieren. Umso wichtiger wird da die Unterscheidung zwischen Wirtschaftsflüchtlingen und solchen Migranten, die einen berechtigten Anspruch auf politisches Asyl haben. Wir tragen Verantwortung gegenüber Asylbewerbern, die zu Hause um ihr Leben fürchten müssen. Wenn wir sie aufnehmen, dann müssen wir ihnen auch eine Perspektive bieten können. Und das geht nicht, wenn wir zu viele Flüchtlinge willkommen heißen.

Die Welt: Wie läuft die Verständigung mit Ihrem Nachbarn Kroatien? Im Herbst war das Verhältnis sehr angespannt. Sie haben Zagreb vorgeworfen, es weigere sich, Flüchtlinge zu registrieren, und schleuse die Menschen nur durch.

Cerar: Die Kommunikation mit Kroatien hat sich verbessert, aber die Zusammenarbeit reicht nach wie vor nicht aus. Uns fehlen die Ansprechpartner, weil Kroatien immer noch mit der Regierungsbildung beschäftigt ist. Ich hoffe sehr, dass die Regierung bald steht und wir uns so schnell wie möglich zusammensetzen können.

Die Welt: Sind Sie enttäuscht davon, wie wenig Solidarität es in Europa gibt – vor allem von jenen Ländern, die von der Flüchtlingskrise nicht allzu betroffen sind?

Cerar: Es gibt genügend Länder, die sich sehr solidarisch zeigen: Schweden, die Balten, Tschechien, Österreich, Deutschland und Italien haben uns Material, Polizisten und technische Hilfe geschickt. Aber natürlich gibt es auch solche Länder, die nicht betroffen und deshalb zurückhaltender sind. Ich verstehe das sogar bis zu einem gewissen Grad, aber wenn sich immer mehr europäische Länder abschotten, dann ist auch die EU in Gefahr.

Die Welt: Ist es verantwortlich, den Grenzschutz an die Türkei zu delegieren, weil man sich in Europa nicht darauf einigen kann?

Cerar: Die Türkei ist auch vom Flüchtlingsansturm betroffen, also muss Ankara auch Teil der Lösung sein. Es ist ja nicht so, dass wir nur Geld bezahlen, ohne etwas zurückzubekommen. Die Flüchtlinge in einer Region unterzubringen, die geografisch und kulturell näher an ihrer Heimat ist, birgt viele Vorteile. Die Integration ist einfacher, und wenn sich die Lage in Syrien wieder beruhigt, können die Menschen auch leichter wieder zurückkehren.

Die Welt: Europa erlebt eine neue Welle des Terrors, für die zum Teil auch Flüchtlinge verantwortlich sind. Wie groß ist die Gefahr, dass dies die Solidarität der Europäer mit jenen Menschen aufkündigt, die ja gerade vor diesem Terror in ihrer Heimat fliehen?

Cerar: Populistische Parteien in ganz Europa machen die Flüchtlinge allgemein für den Terror verantwortlich und profitieren in den Umfragen davon. Das besorgt mich, weil es die Stimmung weiter anheizt. Doch wir haben als Regierungschefs auch die Verantwortung, unsere eigenen Bevölkerungen zu schützen. Dabei geht es gar nicht nur um Flüchtlinge, die aus Syrien zu uns kommen, um hier Anschläge zu verüben. Wir haben in Paris gesehen, dass auch von Zuwanderern, die nicht gut integriert sind, eine Gefahr ausgeht. Es liegt deshalb in unserer Verantwortung, nur so viele Menschen aufzunehmen, wie wir auch integrieren können.

Die Welt: Teilen Sie die Kritik, dass Angela Merkel durch falsche Signale diese Flüchtlingswelle überhaupt erst losgetreten hat?

Cerar: Die Bundeskanzlerin hat nur die besten Absichten verfolgt, als sie im September die Grenzen für die Flüchtlinge öffnete. Aber tatsächlich konnten ihre Worte leicht missverstanden werden als eine generelle Einladung an alle.

Die Welt: Warum sehen wir in dieser Krise so wenig Bereitschaft zu Führen?

Cerar: Die Europäische Union ist eben kein föderaler Staat, sondern ein Gremium aus 28 Staats- und Regierungschefs. Wir sollten deshalb auch realistische Erwartungen daran knüpfen, was die EU leisten kann. Es wäre ja schon ein Anfang, wenn sich alle 28 Regierungschefs in ihren Ländern politisch verantwortlich verhielten.

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