17. September 2015 · Kommentare deaktiviert für „Die neuen Routen der Flüchtlinge“ · Kategorien: Balkanroute, Kroatien, Rumänien, Serbien, Slowenien, Türkei · Tags:

Quelle: Zeit Online

Seit Ungarn seine Grenze dicht gemacht hat, versuchen Tausende Flüchtlinge, durch Nachbarländer Richtung Norden zu kommen. Doch die neuen Routen bergen neue Gefahren.

Von Paul Middelhoff

Ungarn macht ernst: Seit Dienstag sind auch die letzten Lücken im Grenzzaun zu Serbien geschlossen. Damit blockiert die Regierung in Budapest rigoros jene Route, die in den vergangenen Wochen Tausende Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und dem Irak zur Weiterreise nach Österreich und Deutschland genutzt hatten. Der Grenzzaun sorgt schon jetzt für einen Rückstau auf der Balkanroute. Wer es trotzdem ins Land schafft wird von der ungarischen Polizei verhaftet oder gleich zurück nach Serbien geschickt.

Flüchtlinge, die erst vor Kurzem über das türkische Festland oder die griechischen Inseln nach Europa gelangt sind, müssen nun also andere Wege einschlagen, wollen sie Deutschland oder Schweden erreichen. Welche Routen bieten sich als Alternativen an?

Kroatien

Seitdem auch die letzten Meter der ungarischen Grenze geschlossen sind, fürchtet die serbische Regierung, dass der Rückstau am Zaun die Aufnahmekapazitäten ihres Landes überfordert. Deshalb griff die Regierung in Belgrad schon am Mittwoch zu drastischen Mitteln: Flüchtlinge, die von Mazedonien aus serbischen Boden betraten, wurden kurz hinter der Grenze von Bussen aufgelesen und in die Stadt Šid an die Grenze zu Kroatien verfrachtet. Von dort aus machten sich noch im Morgengrauen Hunderte Menschen zu Fuß auf den Weg durch Felder und über Landstraßen auf kroatisches Staatsgebiet. Damit umgehen sie die ungarischen Grenzzäune in nordwestlicher Richtung. Bis zum Donnerstag folgten mehrere tausend weitere Flüchtlinge.

Lokale Behörden rechnen damit, dass Kroatien Ungarn als Tor nach Mitteleuropa ablösen wird. In Mazedonien soll auf Infoblättern schon für die neue Route über Kroatien und Slowenien geworben werden. Der kroatische Premierminister Zoran Milanović kündigte an, sein Land werde den Flüchtlingen die Durchreise nach Slowenien ermöglichen, von wo aus sie weiter nach Österreich gelangen können. Mit Blick auf Ungarns Regierungschef Victor Orbán sagte Milanović: „Wir vergessen nicht, dass wir Christen sind – im Gegensatz zu anderen, die sich auf die Brust schlagen und nur behaupten, dass sie Christen sind.“ Laut Informationen der kroatischen Polizei wurden zur Sicherung der Durchreise 6.000 Einsatzkräfte an die Grenze zu Serbien verlegt.

Doch birgt die Route durch Kroatien auch Gefahren: Auf einer Fläche so groß wie Berlin liegen entlang der serbisch-kroatischen Grenze noch heute Minen, die dort vor 20 Jahren von der kroatischen Armee im Krieg gegen Serbien gelegt wurden. Zwar wurde ein Großteil der Sprengfallen während der letzten Jahre geräumt. Aber noch heute sind Areale entlang der Grenze gesperrt. „Die Gefahr ist jedoch verhältnismäßig gering, da die betroffenen Gebiete markiert sind und kroatische Behörden wohl dafür sorgen werden, dass die Flüchtlinge die Hauptstraßen nicht verlassen“, sagt Alida Vracic, Balkan-Expertin und Vorsitzende des bosnischen Populari-Thinktanks, die derzeit bei der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik forscht. Die kroatische Regierung entsandte Räumteams, um Minen zu beseitigen.

Rumänien

Während die ersten Flüchtlinge sich auf den Weg durch Kroatien machen, könnte künftig auch Rumänien zum Durchgangsland für die Flüchtlinge auf der Balkan-Route werden. Zwar ist die Strecke in östlicher Richtung deutlich länger als die Route durch Kroatien, Slowenien und Österreich. Für die nächsten paar Wochen lässt sich der ungarische Grenzzaun doch auch auf diese Weise noch umgehen. Die ungarische Regierung kündigte allerdings am Mittwoch an, den Grenzzaun entlang der rumänischen Grenze zu verlängern, um Flüchtlinge auch aus östlicher Richtung fernzuhalten.

Die Bauarbeiten sollen ausgehend vom Dreiländereck Serbien-Ungarn-Rumänien schon in den nächsten Tagen beginnen. Lange wird die Option der Reise durch Rumänien jedoch ohnehin nicht bestehen: „Die rumänische Regierung hat die Polizeipräsenz an der Grenze zu Serbien in den letzten Wochen bereits erhöht. Es ist davon auszugehen, dass sie in den nächsten Wochen vermehrt Sicherheitskräfte in die Region schicken wird“, sagt Balkan-Expertin Vracic. Von Rumänien aus könnten die Flüchtlinge derzeit versuchen, trotz der von der Regierung in Budapest verhängten Notstandsgesetze ungarisches Staatsgebiet im Norden zu durchqueren, um so nach Österreich zu gelangen.

Schwarzes Meer

Flüchtlinge könnten künftig nicht nur über die serbische Grenze nach Rumänien gelangen. Während Schlepper Flüchtlinge aus den Lagern in der Türkei schon heute mithilfe von Schlauchbooten auf den griechischen Ägäis-Inseln Kos und Lesbos absetzen, könnten sie nun auch eine Passage entlang der Schwarzmeerküste bis nach Rumänien aufbauen. „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis diese Route genutzt wird“, sagt Vracic. Doch der Seeweg ist riskant. Vracic vermutet, dass künftig deshalb vor allem Männer mit dem Boot nach Rumänien übersetzen werden, während Frauen, Kinder und Alte den Weg über Kroatien einschlagen werden.

Während sich die kroatische Regierung mit Blick auf ihre neue Rolle als Transitland verhalten optimistisch äußert, ist völlig unklar, wie viele Menschen sich zur Zeit auf der Balkan-Route befinden. Übereinstimmende Zahlen gibt es nicht – auch, weil die Staaten in Südosteuropa und der Türkei die Flüchtlinge nur sporadisch, gar nicht oder gleich mehrfach registrieren. Es ist aber nicht damit zu rechnen, dass der Andrang wegen der ungarischen Sperrmaßnahmen und der Grenzkontrollen in Deutschland und Österreich deutlich abnehmen wird. Die Menschen werden sich nur einen der anderen Wege suchen.

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