16. September 2015 · Kommentare deaktiviert für „Tod vor Lampedusa – Europas Sündenfall“ · Kategorien: Italien, Libyen, Mittelmeerroute, Video · Tags:

Quelle: 3sat

[Der Film ist bis zum 20.09.2015 verfügbar]

Es ist eine kleine Revolution, die in Deutschland in diesen Tagen geschieht. Fast ein ganzes Land ist hilfsbereit und nimmt viele Flüchtlinge, die in existenzieller Not zu uns kommen auf. Im Ausland scheint es stärker sichtbar zu sein, wie für die Deutschen: Das Wort „Willkommenskultur“ schafft es in viele internationale Zeitungen von der „New York Times“ bis zum „Independent“. Trotz eingeführter Grenzkontrollen ist Deutschland Vorbild in Europa.

„Refugees Welcome“ steht auf einem Schild, das Flüchtlingen bei der Ankunft im Münchner Hauptbahnhof zur Begrüßung entgegengehalten wird. So freundlich wurden Flüchtlinge nicht immer und nicht überall in Deutschland begrüßt. Doch Konsens der Mehrheit der Deutschen ist, „es muss geholfen werden“. Sogar die Bildzeitung verfällt nicht in alte Muster und berichtet nicht von angeblichem „Asylbetrug“ oder drohender Überfremdung.

Eine Welle der Hilfsbereitschaft

Dass wir heute gerne helfen, scheint ein Lernprozess zu sein. Zwischen den Jahren 2000 bis 2013 ertranken schätzungsweise 20.000 Flüchtlinge im Mittelmeer oder kamen in der Sahara bei ihrer Flucht aus Afrika ums Leben. Die Berichterstattung und die Anteilnahme hielten sich lange Zeit in Grenzen.

Der Herbst 2013 sollte ein schrecklicher Wendepunkt in der europäischen Flüchtlingspolitik werden. Papst Franziskus sprach aus, was Millionen erschütterter Menschen dachten: „Es ist eine Schande“. Denn die Europäer schauten lange Zeit weg, schotten sich ab, wollen vom Schicksal dieser Flüchtlinge nichts wissen.

Wendepunkt europäischer Flüchtlingspolitik

Dawit, ist Überlebenden der Flucht über das Mittelmeer. In der Nacht zum 4. Oktober 2013 kenterte sein Schiff vor der Küste der kleinen italienischen Insel Lampedusa. In dem überfüllten Boot befanden sich über 540 Flüchtlingen auf dem Weg von Afrika nach Europa. Mehr als 380 ertranken, so viele wie noch nie zuvor bei einem Unglück.

Dawit war unterwegs mit seinem Freund Bimnet, der in jener Nacht vor Lampedusa starb. Was Dawit und Bimnet bei ihrer Flucht bis vor die Küste Lampedusas stets vorantrieb: die Hoffnung auf ein besseres Leben in Europa, jenseits von Verfolgung und Folter. 5000 Kilometer hatte Bimnet schon zurückgelegt, bevor er wenige Hundert Meter vor der Küste Lampdusas ertrank.

Die Schreie wurden immer schwächer

Die Flüchtlinge sollen auf dem Boot eine Decke in Brand gesteckt, um die Küstenwache auf ihr Schiff aufmerksam zu machen, nachdem der Motor ausgefallen war. Als das Feuer an Bord außer Kontrolle geriet, brach Panik aus, woraufhin das 20 Meter lange Schiff kenterte und viele Insassen in die Tiefe riss. Die italienische Küstenwache kam viel zu spät.

Ein Arzt, der sich auf Lampedusa um die ankommenden Flüchtlinge kümmerte, beschrieb die Tragödie im italienischen Fernsehen: Noch nie habe er so etwas erlebt. Das Schlimmste sei, die Leichen der Kinder zu sehen. „Sie hatten keine Chance. Sie kamen hierher in der Hoffnung auf eine Zukunft, die ihnen entrissen wurde in diesem Moment. Es dauert nicht lange, den Wellen und der Kälte zu erliegen.“ Ihre Schreie seien mit der Zeit immer schwächer geworden.

Abschottung lässt das Risiko steigen

Erst nach diesem und einer weiterem Schiffsunglück, erst nachdem in wenigen Tagen mehr als 500 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken waren, organisierten Italien und die EU ein Hilfsprogramm für schiffbrüchige Flüchtlinge. In nur einem Jahr hatten die Schiffe des Programms „Mare Nostrum“ über 130.000 Flüchtlinge aus Seenot gerettet. Doch im Oktober 2014 ließ die EU das Programm auslaufen. Das Nachfolgeprogramm war auf küstennahe Rettung beschränkt und nur mit einigen Millionen Euro ausgestattet. Die Zahl der Ertrunkenen stieg wieder an. Inzwischen wurden die Mittel erhöht und das Rettungsgebiet für die Nachfolgemission ausgeweitet.

Es bleibt zu befürchten, dass die Schließung der Grenzen sowie der Aufbau von Zäunen und Grenzkontrollen die Flüchtlinge von der jetzigen „Balkanroute“ wieder auf das gefährliche Mittelmeer hinausgedrängt.

Sehen Sie am Dienstag, 15. September 2015, 22.30 Uhr den Film „Tod vor Lampedusa. Europas Sündenfall“. Die Autoren Ellen Trapp und Natalie Amiri haben den Weg der Flüchtlinge, die über das Mittelmeer kommen und kamen nachgezeichnet: Eritrea, Sudan, Libyen. Die Reporterinnen besuchten Verwandte, Freunde, Schicksalsgenossen. Im Laufe des Films werden so das ganze Drama, das Leid, die Angst, die Gefahr, die Verzweiflung, die Gründe für die Flucht nachfühlbar.

Die Dokumentation ist ein Dokument für das Leiden von Menschen, die nicht im Fokus des Nachrichtengeschäfts stehen. Und ein erschütternder Beleg dafür, mit wie viel Zynismus die Europäische Union ihre Abschottungspolitik betreibt. Doch immerhin: Seit jener Nacht hat ein Umdenken stattgefunden. Flüchtlinge werden inzwischen gerettet, wenn sie unterzugehen drohen. Aber noch immer sterben Menschen auf der abenteuerlichen Überfahrt.

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