14. September 2015 · Kommentare deaktiviert für „Deutschland macht dicht vor dem Oktoberfest“ · Kategorien: Europa, Österreich, Ungarn

Quelle: Telepolis

von Florian Rötzer

Während die Flüchtlinge weiter der Devise des Migrantenmärchens „Etwas Besseres als den Tod findest du überall“ folgen, droht die EU zu implodieren

Die Bundesregierung hat die Drohung, vorübergehend die Grenzen zu schließen, um den Flüchtlingsstrom zu stoppen, noch schnell vor dem EU-Innenministertreffen in Brüssel umgesetzt. Das ist nicht nur der Not entsprungen, dass man in München und in Bayern an den Rand der Aufnahmemöglichkeit gekommen ist, sondern es ist auch als deutliches Signal an die übrigen Bundesländer und vor allem an die übrigen EU-Mitgliedsländer zu verstehen, was Bundesinnenminister de Maizière gestern auch unmissverständlich deutlich machte: Die Grenzkontrollen, so de Maizière, werden eine „Weile“ bleiben.

Dem schloss sich auch CSU-Chef Horst Seehofer an, auf den wohl, zusammen mit anderen Bundesländern und dem Appell des Oberbürgermeisters von München, die Schnellentscheidung zurückgeht:

„Es ist ein ganz wichtiges Signal an die ganz Welt und auch nach innen.“

In Bayern trug zur Panik bei, dass nächstes Wochenende das Oktoberfest beginnt. Hier rollen noch ganz andere Einwandererwellen heran, die nichts kosten, sondern Geld ins Land bringen, was aber auch für eine angespannte Sicherheitslage sorgt. Dazu kommt, dass beide Menschenwogen um den Münchener Hauptbahnhof zusammentreffen könnten – kaum auszudenken, wie das überhaupt zu bewältigen wäre, zumal wenn die sich legal und ganz erwünscht besaufenden und erregten Banden dann auf die Flüchtlinge stoßen sollten. München würde in der Tat zum Irrenhaus.

Man darf auch annehmen, dass hinter den Deutschen, die helfen wollen, auch die Aggression derjenigen steigt, die mit pauschaler Fremdenfeindlichkeit Gewalt schüren und politische Interessen verfolgen. Man muss ich nur mal auf den Seiten der NPD umschauen, um zu sehen, welche Gewaltbereitschaft ganz offen verkündet wird, beispielsweise auf der Facebook-Seite der NPD Bayern, wo die Flüchtlinge als „Flüchtlinge“ und als weitere „Islamisierungskolonne Saudi-Arabiens“ bezeichnet werden: „Schön den Zug mit Bomben bestückt! Oder Tunnel rein, hinten und vorne zu und Gas rein, raus und ausladen zum neue holen.“

Die Grenzkontrollen und die Unterbrechung des Zugverkehrs aus Österreich mögen vielleicht zu einer kurzfristigen Entspannung, zu der erwünschten Verlangsamung, führen. Zumal wenn Ungarn seinen Grenzzaun geschlossen und die Kontrollen mitsamt der Strafandrohung bis zum 15. September verstärkt hat. Wer dazwischen festsitzt, wird sich vermutlich nun andere Wege suchen und nicht mehr darauf hoffen, mit Zügen und Bussen nach Deutschland zu gelangen. In österreichischen Medien wird Panik geschürt: „Österreich drohen nun Horrorszenarien.

In Österreich ist man sich in der rot-schwarzen Regierungskoalition noch uneinig, ob man die Aktion Deutschlands übernehmen soll. Die ÖVP-Minister Mikl-Leitner (Innenministerin) und Sebastian Kurz (Außenminister) sollen auf einer Sondersitzung gestern dafür eingetreten sein, Kanzler Werner Faymann und Kanzleramtsminister Josef Ostermayer von der SPÖ waren aus humanitären Gründen dagegen.

Jetzt gibt es als Kompromiss Stichprobenkontrollen. Die FPÖ fordert: „Nachdem Deutschland jetzt seine Grenzen zu Österreich geschlossen hat und keine Züge mehr, die via Österreich aus Ungarn kommen, durch lässt, muss auch Österreich dringend seine Grenzen schließen, wollen wir nicht von Asylanten überschwemmt werden“, so FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl, der auch das Militär mobilisieren will. Die österreichischen Grünen kritisieren die „dramatische Fehlentscheidung“ der deutschen Regierung. Faymann wird Merkel am Dienstag in Berlin treffen. Die ÖBB hat den Zugverkehr aus Ungarn nach Österreich am Abend ebenfalls beendet.

Insgeheim dürften in Deutschland und in Österreich manche Politiker, auch wenn sie Orban deswegen öffentlich verurteilten, auf die Fertigstellung des Zauns an der EU-Außengrenze zu Serbien gehofft haben. Gestern kamen erneut mehr als 4.000 Flüchtlinge nach Ungarn, weitere tausende werden erwartet. Schon vor Inkrafttreten der Notstandsgesetze am Dienstag seien „tausende, bis zigtausende Flüchtlinge in Ungarn“ geblieben, so Pester Lloyd gestern. „Zigtausende“ würden nachdrücken: „Damit ist eine Eskalation in Ungarn, aber auch am Grenzzaun zu Serbien vorprogrammiert.“ Die Antwort der tschechischen Regierung war nach der deutschen Ankündigung prompt, ebenfalls die Grenze nach Österreich wieder zu kontrollieren. Wenn am Montag keine Einigung erzielt wird, werden viele EU-Staaten ihre Grenzen hochfahren und Schengen zur Farce machen.

Gelöst wird damit nichts. Noch immer drängen die Flüchtlinge über das Meer auf die griechischen Inseln, wo man noch viel weniger als in München, Passau, Wien oder Budapest die Möglichkeiten hat, diese menschenwürdig unterzubringen und zu versorgen. Und es ist absehbar, dass die Millionen von syrischen Flüchtlingen in der Türkei und aus dem Libanon nun versuchen könnten, auch noch schnell ihr Glück nach dem Motto aus dem deutschen Migranten-Märchen „Die Bremer Stadtmusikanten“ zu suchen: „Etwas Besseres als den Tod findest du überall.“ Dazu kommen die Millionen Binnenflüchtlinge in Syrien, ganz zu schweigen von anderen Krisengebieten im Jemen oder in Libyen, in Afghanistan oder Pakistan.

Angegangen werden soll aus EU-Perspektive das Problem neben der Grenzschließung mit „Hotspot-Zentren“ in Griechenland und Italien. Dort sollen berechtigte Asylbewerber ausselektiert und die übrigen Migranten, die keinen Anspruch geltend machen können, wieder abgeschoben werden. Pro Asyl warnt, dass dadurch „riesige Internierungslager“ entstehen könnten:

„Die gegenwärtig in Griechenland ankommenden und über die Balkan-Staaten weiterreisenden Flüchtlinge wird man nicht in den Grenzstaaten internieren können – es sei denn, die EU plant riesige Internierungslager, die das beschworene ‚Europa der Werte‘ vollkommen unterminieren würden.“

Vorbereitet hatten Deutschland und Frankreich freilich die Schließung der Grenzen schon 2013. Bei „außergewöhnlichen Umständen“ einer „ernsthaften Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit“ können seitdem Kontrollen an Binnengrenzen bis zu sechs Monaten mit dreimaliger Verlängerung eingeführt werden. Der Europäische Rat kann die Verhängung von Grenzkontrollen auch empfehlen. Allerdings heißt es in dem Beschluss auch:

„Migration und das Überschreiten der Außengrenzen durch eine große Anzahl von Drittstaatsangehörigen sollte nicht an sich als Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die innere Sicherheit betrachtet werden.“

Da die EU-Kommission bei den ihren Vorschlägen einer fairen Verteilung von Flüchtlingen an vielen Staaten abgeblitzt ist, ist nicht verwunderlich, dass sie nun die Wiedereinführung von Grenzkontrollen in Deutschland und einer weiträumigen Schleierfahndung auch an den Grenzgebieten zu Polen und der Tschechischen Republik gut heißt.

Gefordert wird Solidarität mit Deutschland, das nun trotz Dublin, womit man just das vermeiden und wenig Solidarität zeigen wollte, ähnlich wie zuvor Griechenland oder Italien mit den Flüchtlingsströmen konfrontiert wurde. Allerdings fordert nun gerade ein Land gesamteuropäische Solidarität, die sie zumindest mit Griechenland und eigentlich schon seit Beginn der Eurokrise hat vermissen lassen. Auch Bayern war bislang wenig bekannt dafür, Solidarität von den anderen Bundesländern einzufordern. Man wollte sich vielmehr eher von der Solidarität, z. B. dem Länderfinanzausgleich, verabschieden.

Dass ausgerechnet die osteuropäischen und baltischen Staaten, einst zum US-freundlichen „Neuen Europa“ gekürt, jede Aufnahmebereitschaft vermissen lassen, könnte nun die Risse verstärken, die seit dem Ukraine-Konflikt ebenso wie die beschworene transatlantische Einheit nur mühsam gekittet wurden. Die Solidarität mit der Ukraine und vor allem gegen Russland, die von den USA und den baltischen sowie osteuropäischen Staaten eingefordert wurde, hat zu den nicht nur in Deutschland ungeliebten Sanktionen gegen Russland geführt. Nur mühsam wurde auch die europäische Einheit in einem Deal gewahrt, auf der einen Seite auf Verhandlungen zu setzen, was zum Minsker Abkommen führte, an dem neben der Ukraine und Russland nur Deutschland und Frankreich beteiligt sind, und auf der anderen Seite mit Sanktionen und Aufrüstung zu arbeiten.

Da vor allem die USA und Großbritannien, die treibenden Kräfte für den Irak-Krieg, der zur Stärkung von al-Qaida und schließlich zur Bildung des Islamischen Staates viel beigetragen hat und für die militärische Intervention in Libyen verantwortlich sind, sich zurückhalten, was die Folgen betrifft, werden sich die transatlantischen und innereuropäischen Konflikte weiter zuspitzen. Deutschland war aufgrund von Solidarität dem Krieg in Afghanistan beigetreten, der ebenfalls wenig Gutes bewirkt, aber auch für Flüchtlingsströme nach Deutschland gesorgt hat.

Wundern muss man sich erneut, warum die so gerne als allmächtig dargestellten Geheimdienste die wirklich wichtigen Probleme offenbar nicht rechtzeitig erkennen können – oder warum die jeweiligen Regierungen auf mögliche Warnsignale nicht reagieren, bis es zu spät ist. Jedenfalls geben sich die europäischen Regierungen überrascht angesichts des Flüchtlingsstroms, den niemand erwartet haben soll. Auch die amerikanischen Geheimdienste scheinen die Gefahr für die transatlantische Einheit, also für die Dominanz der USA über Europa, nicht rechtzeitig bemerkt zu haben. Eigentlich wäre dies ein weiteres Argument dafür, die Kompetenzen der Geheimdienste radikal einzuschränken.

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