13. September 2015 · Kommentare deaktiviert für „Die grüne Grenze dichtzumachen ist unmöglich“ · Kategorien: Österreich · Tags: ,

Quelle: der Standard

INTERVIEW: Nina Weißensteiner

Othmar Commenda, ranghöchster Militär der Republik, über den „Worst Case“, wenn Berlin seine Aufnahmepolitik beendet

Im Bundeskanzleramt ist die Regierung am Sonntagnachmittag angesichts der jüngsten Maßnahmen Deutschlands wegen des Flüchtlingsandrangs zu einer Krisensitzung zusammengetreten. Unter anderem stoppt Berlin vorerst den Bahnverkehr und führt Grenzkontrollen ein. Auch Othmar Commenda, Chef des Generalstabs, nimmt an den Beratungen in Wien teil. Dem STANDARD erklärte er, ein Aus der bereitwilligen Aufnahmepolitik Deutschlands sei „eines der realistischen Szenarien, die wir gerade jetzt durchkalkulieren, damit wir im Ernstfall dafür Lösungen haben.“

STANDARD: Bis vor kurzem drohte dem Bundesheer für seine Fahrzeuge sogar der Sprit auszugehen, nun soll das Militär den Transport der vielen ankommenden Flüchtlinge koordinieren. Hat die Regierung an der falschen Stelle gegeizt?

Commenda: Die angesprochenen Mängel wirken sich Gott sei Dank noch nicht auf unsere aktuelle Aufgabe aus. Denn vom Heer ist jetzt das Transportmanagement für die Flüchtlinge gefordert: Dabei gilt es alle Kräfte zusammenzuführen, damit ein reibungsloser Ablauf garantiert ist.

STANDARD: Mit bis zu 10.000 Schutzsuchenden rechnet das Innenministerium weiterhin an Spitzentagen. Neben den ÖBB und Bussen von Privatunternehmen kommen vorläufig 21 Busse des Bundesheeres zum Einsatz. Die Kapazitäten Ihres Fuhrparks wären aber schon höher?

Commenda: Natürlich. Aber mit unseren 21 Bussen können wir alleine in einem rund 1400 Personen transportieren. Sollte das angesichts eines neuen Ansturms nicht mehr ausreichen, werden wir auch unsere Mannschaftstransporter einsetzen. Wichtig ist, dass stets ein permanenter Fluss vor allem in Richtung der Bahnhöfe erfolgt.

STANDARD: Angesichts des vorübergehenden Stillstands der Züge warnte der SPÖ-Bürgermeister von Nickelsdorf die Regierung, dass es in seiner Grenzgemeinde gar zu einer „Eskalation“ kommen könnte. Besteht in so einem Fall tatsächlich die Gefahr von Tumulten – oder ist das purer Alarmismus?

Commenda: Eine solche Gefahr besteht nicht, solange ein Abfließen von Flüchtlingen Richtung Wunschdestination möglich ist. Einfach, weil bisher alle Beteiligten, wie Polizei, ÖBB, Bundesheer, Rotes Kreuz und viele andere, hervorragende Arbeit geleistet haben. Deswegen hat der Durchschnittsbürger außerhalb der Fluchtrouten bisher auch kaum etwas von Flüchtlingsansammlungen mitbekommen.

STANDARD: Die Koalition beklagt nicht nur die schlechte Kommunikation mit Ungarns Behörden, wann sich Österreich wieder auf einen Schwung an Flüchtlingen gefasst machen muss. Sind die Verstimmungen zwischen Wien und Budapest hilfreich bei Ihrer Arbeit?

Commenda: Das ist die hohe Politik, die uns nicht beschäftigen kann und darf. Für uns hat es Priorität, dass wir stets auf dem letzten Stand sind, wann und wo welche Fahrzeuge für die Flüchtlinge im Einsatz sind – und auch, wann diese wieder an notwendiger Stelle bereitstehen können.

STANDARD: Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) sprach unlängst davon, dass ein Schließen der Grenzen „das letzte Mittel“ sei. Ist es überhaupt möglich, die Republik dichtzumachen? Oder steigen dann nur die illegalen Übertritte – und das Schlepperunwesen nimmt erst recht zu?

Commenda: Das gesamte Land, also auch die grüne Grenze, lückenlos dichtzumachen ist aus meiner Sicht unmöglich. Denn die Schlepper reagieren ja stets sehr schnell auf Lageänderungen und finden neue Wege, wenn die Flüchtlinge nicht mehr wie derzeit per Bahn oder entlang der Straßen kommen können.

STANDARD: Was, wenn Deutschland seine bereitwillige Aufnahmepolitik ein für alle Mal beendet? Ist Österreich für die Situation gerüstet, wenn unser Nachbar die Grenze schließt?

Commenda: Das ist tatsächlich eines der realistischen Szenarien, die wir gerade jetzt durchkalkulieren, damit wir im Ernstfall dafür Lösungen haben. Jedenfalls hätten wir in so einem Fall nicht einen Stau an Menschen wie in Nickelsdorf, sondern vermutlich an der deutschen Grenze. Auf alle Fälle bereiten wir uns zur Sicherheit bereits auf diesen „Worst Case“ vor.

STANDARD: Seit Monaten bietet das Bundesheer angesichts der Flüchtlingsmisere seine Unterstützung an. Täuscht der Eindruck, dass die Regierung von seinen Kapazitäten eher zögerlich Gebrauch macht, wie etwa von den Kasernen als Unterkünfte?

Commenda: Strategisch sollte das Bundesheer immer die letzte Handlungsreserve der Republik sein. Deswegen war der bisherige Weg auch der richtige: Denn wenn man das Militär von Beginn an eingesetzt hätte, müssten wir jetzt umgekehrt auf zivile Kräfte zurückgreifen. Grundsätzlich ist es daher so, dass wir die Leistungen, die wir erbringen können, einmelden – und wenn das Innenressort diese abruft, dann machen wir das auch.

STANDARD: Mittlerweile besteht laut Koalition seit mehr als einer Woche „eine Notsituation“. Können da auch Sicherheitslecks entstehen, etwa dass neben Kriegsflüchtlingen auch Kriegsverbrecher ins Land kommen?

Commenda: Das ist ein sehr sensibles Thema. Aber so viel lässt sich doch sagen: Jihadisten brauchen keine Flüchtlingsströme, um sich nach Europa aufzumachen.

STANDARD: Weil sich Terroristen ohnehin in ein Flugzeug setzen?

Commenda: Richtig. Sie haben Geld – und darüber hinaus auch ganz andere Möglichkeiten.

STANDARD: Derzeit streiten die Staats- und Regierungschefs der EU nicht nur wegen einer gerechten Aufteilung der Flüchtlinge, auch Zäune werden in Europa wieder hochgezogen. Wird die Union in zwei Jahren noch die sein, die wir alle kennen?

Commenda: Fakt ist, dass sich Europa nicht nur für Monate, sondern wohl auf Jahre auf Schutzsuchende einstellen muss. Denn jetzt schon setzen sich nicht nur Menschen aus dem Raum Syrien in Bewegung, sondern aus Afghanistan und Afrika. Wenn die EU da in absehbarer Zeit keine Lösungen findet, dann wird sie in eine große Krise schlittern. Deswegen wäre es dringend geboten, dass sich die zuständigen EU-Spitzen endlich gemeinsam hinsetzen und eine Strategie ausarbeiten, wie man die Probleme in den Griff kriegt – und das beginnt beim Engagement rund um die Krisenherde und endet nicht nur bei der Ankunft und Unterbringung der Flüchtlinge in Europa. Derzeit ist man vor allem am Reagieren – aber proaktive Maßnahmen wären besser als ständige Reaktion.

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