10. September 2015 · Kommentare deaktiviert für „Keine Direktzüge mehr von Ungarn, keine Sonderzüge gen Westen“ · Kategorien: Balkanroute, Österreich, Ungarn · Tags:

Quelle: der Standard

von Irene Brickner, Gudrun Springer

Eine Menge Wartender und 200 Polizisten auf dem Wiener Westbahnhof: Sonderzüge gab es keine mehr. In Ungarn sollen Asylsuchende rasch durchgewunken worden sein

Berlin/Wien – Deutlich mehr Polizeibeamte als an den vergangenen Tagen kontrollierten am Donnerstag am Wiener Westbahnhof das Kommen, Warten und Gehen der Flüchtlinge. Jeweils mehrere Dutzend Personen wurden am Beginn eines Bahnsteigs oder auf der Fläche dahinter gruppenweise organisiert, umstellt von Beamten. Insgesamt befanden sich am frühen Nachmittag rund 200 Polizisten vor Ort. Dolmetscher erläuterten den Menschen die Situation. Insgesamt passierten mehrere tausend, jedenfalls mehr als 3000 Flüchtlinge den Bahnhof.

Polizeisprecher Thomas Keiblinger erklärte, dass die Exekutive aufgrund des hohen Personenaufkommens eine Art „Stop-and-go“-System praktizierte. Grund für den Stau in der Flüchtlingsbewegung: Es fuhren keine Sonderzüge mehr Richtung Deutschland.

„Es reicht nicht“

„Wir tun unser Möglichstes, aber es reicht nicht“, sagte Michael Braun, Konzernpressesprecher der ÖBB-Holding zum Standard: „In den vergangenen 14 Tagen haben wir an Garnituren alles fahren lassen, was geht. Jetzt mussten viele Züge ins technische Service sowie in die Reinigung.“ Daher, so Braun, könnten seit Donnerstag keine eigenen Züge für Flüchtlinge mehr vom Wiener Westbahnhof aus nach Deutschland fahren.

Bahninsider nannten als Grund dafür vielmehr hohe Sonderzugs-Kosten, etwa für Lokführer und Schienenmaut, vor denen die ÖBB zurückschreckten. „Das ist unrichtig. Wir haben diese Kosten noch gar nicht erhoben“, meint dazu Braun.

60 bis 80 pro Zug

Mangels Sonderzügen konnten die Schutzsuchenden am Donnerstag nur die regulären Bahnverbindungen – bei Tag zwei pro Stunde – vom Westbahnhof nach Deutschland nehmen. Etwa 60 bis 80 Menschen pro Fahrt durften mit. Für die in Wien zwischenzeitlich Gestrandeten sollten vorübergehend Kasernen geöffnet werden. Auch in der Grazer Belgier-Kaserne sollte ein Zwischenquartier eingerichtet werden. Seitens der Caritas rechnete man mit mehr Bettenbedarf für die Nacht auf Freitag als in der Nacht zuvor, in der 1000 Menschen am oder beim Westbahnhof schliefen.

Die Münchner Bundespolizei bestätigte, dass weniger Flüchtlinge aus Österreich ankämen. Ein am Donnerstag kursierendes Gerücht, wonach die deutsche Polizei und Deutsche Bahn nach Anordnung aus dem Büro der Bundeskanzlerin Angela Merkels (CDU) die Annahme von Sonderzügen aus Österreich gestoppt hätten, wurde nicht bestätigt. Unterdessen erreichten aus Ungarn kommend weiter hunderte Menschen den Grenzübergang Nickelsdorf; zu Fuß, nachdem die meisten von ihnen im ungarischen Hegyeshalom aus den Zügen aussteigen mussten. Am Donnerstag fuhren die ÖBB-Züge wieder nur bis zur Grenze. Diese hatten zwischen Mittwoch und Donnerstagnachmittag insgesamt rund 8000 Asylsuchende passiert, davon alleine 4300 am Donnerstag bis zum Nachmittag.

Eigene Busse aus Nickelsdorf

Die Flüchtlinge aus Nickelsdorf sollen verstärkt in eigens gecharterten Bussen direkt nach Deutschland gebracht werden, sagte Innenministeriumssprecher Karl-Heinz Grundböck. Bisher geschah dies nur in geringem Ausmaß. Die Informationspolitik der ungarischen Behörden sei weiterhin „sehr dürftig“, sagte Grundböck. Fakt aber sei, dass die Flüchtlinge derzeit „besonders rasch durch Ungarn durchreisen“ könnten. Somit sei zu erwarten, „dass jene Menschen, die sich heute in Serbien an der ungarischen Grenze befinden, morgen schon in Österreich sein werden“ .
Tausende auf dem Weg

Freiwillige in Ungarn berichteten, dass sich viele Flüchtlinge aus den Camps davonmachten. In der nordserbischen Stadt Kanijiza trafen zwischen Mittwoch- und Donnerstagmittag 4000 Menschen ein, so viele wie binnen eines Tages noch nie. Flüchtlingsexperten meinen, dass die Schutzsuchenden die Tage vor Inkrafttreten der scharfen neuen ungarischen Gesetzeslage am 15. September nutzen. Danach droht in Ungarn auf „illegale Einreise“ Haft. Außerdem wird derzeit am Grenzzaun zu Serbien mit besonderem Druck gearbeitet. Am Donnerstag hieß es, dass er schon Anfang Oktober fertiggestellt werden soll, statt wie geplant bis zum 31. Oktober. Der ungarische Außenminister Peter Szijarto hat die Abschiebung von Flüchtlingen nach Serbien angekündigt, wenn diese in seinem Land um Asyl ansuchten und von den Behörden abgelehnt wurden.

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