Quelle: der Standard
von Adelheid Wölfl aus Belgrad
Täglich kommen etwa 2.000 neue Flüchtlinge. Sie wollen alle weiter nach Zentral- oder Nordeuropa. Doch das wird immer schwieriger
Maher und Ghaseen glauben, dass ihr Freund Nour die besten Chancen haben wird. „Du schaust ja schon aus wie ein Deutscher“, sagen sie zu dem blonden 17-Jährigen, der mit ihnen aus Aleppo entkommen ist. Sie sind vor 25 Tagen in Syrien in die Türkei aufgebrochen. Wie alle anderen hier kamen die Brüder über Mazedonien und Griechenland nach Serbien. Hunderte Syrer sitzen auf dem lehmigen Boden mitten in Belgrad neben dem Busbahnhof im Park. Manche flüchten unter die Bäume oder halten ihre Köpfe unter den Trinkbrunnen, wenn es zu heiß wird. Toiletten gibt es nicht. Die Kinder schlafen auf Pappendeckeln unter Parkbänken.
Die Flüchtlinge wollen nicht sagen, wie sie heißen, sie wollen sich nicht fotografieren oder registrieren lassen. Sie fürchten, dass sie dann niemals in Sicherheit kommen. Sie wollen nur schnell, schnell weiter, über die ungarische Grenze nach Deutschland. Maher und Ghaseen etwa wollen nach München, weil sie dort Freunde haben.
Sie haben schon 7.000 Euro für die Flucht ausgegeben, so oft wurden sie geneppt. Habt ihr nicht Angst gehabt, dass das überfüllte Flüchtlingsboot kippen könnte, als ihr an der türkischen Grenze eingestiegen seid? „Was soll ich Angst haben vor dem Tod? Hinter mir ist nur Tod, und wenn vor mir der Tod ist, dann ist mir das auch egal“, sagt der 37-jährige Maher. Er zeigt die Fotos von seinem zweijährigen Buben. Seine Augen flirren. Er hat nächtelang nicht geschlafen, und er wird wohl nicht schlafen, bis er in Deutschland ist.
Noch schneller in die EU
Serbien ist eines der zentralen Transitländer auf der Balkan-Flüchtlingsroute. „Die Ansage, dass an der Grenze zwischen Ungarn und Serbien ein Zaun gebaut wird, hat dazu geführt, dass die Flüchtlinge versuchen, noch schneller nach West- oder Nordeuropa zu kommen“, sagt Hans Schodder, der Leiter des UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR in Serbien. Serbien, Mazedonien, Griechenland und Ungarn sind keine Zielländer der Flüchtlinge, und die meisten von ihnen gelten auch nicht als sicher, da sie noch keinen effektiven Schutz gewähren. „Die allermeisten Flüchtlinge haben keine Intention hierzubleiben, denn sie haben Familie oder Freude in West- oder Nordeuropa, die auf sie warten.“
Der Zaun und die neue Gesetzeslage in Ungarn, die Abschiebungen nach Serbien erleichtert, könnten aber dazu führen, dass die Flüchtlinge künftig eher versuchen, von Serbien über Kroatien in die EU zu reisen, obwohl sie dann noch mehr Grenzen überschreiten müssten (etwa jene nach Slowenien, die auch die aktuelle Schengengrenze darstellt). In Belgrad fürchtet man zudem, dass sich die EU abschotten könnte und die Flüchtlinge dann in Serbien bleiben müssen, das zu einer Art „Aufbewahrungsort“ würde.
Zurzeit kommen täglich etwa 2.000 Flüchtlinge über die mazedonische Grenze nach Serbien, wo sie zunächst meistens in Preševo landen. Dort wurde ein großes Zentrum eingerichtet, wo sie sich registrieren lassen können und erste medizinische und andere humanitäre Hilfe erhalten.
Registrierungen vermeiden
Heuer im April haben dies 4.400 Menschen getan, im Juli waren es bereits 30.000. Doch es gibt viele, die Registrierungen und Fingerabdrücke vermeiden, weil sie Angst haben, von Ungarn wieder nach Serbien abgeschoben zu werden. Laut dem UNHCR passiert dies momentan etwa 60 Flüchtlingen pro Tag. „Die Flucht wird diesen Menschen immer schwerer gemacht, bis sie in Sicherheit sind“, kritisiert Schodder.
Die Politik Serbiens im Umgang mit den Flüchtlingen, die das Land durchqueren, bezeichnet er als „weitgehend positiv“. Asylsuchende werden nicht inhaftiert. „Mit der Hilfe von NGOs und unserer Hilfe kann die Regierung jeden Tag bis zu 1.200 registrieren.“ Wenn der Staat eine humanitäre Herangehensweise wie in Serbien habe, gäbe es weniger Raum für Schlepperwesen. „Denn dann muss keiner Angst vor den Behörden haben“, so Schodder.
Manche haben genug Geld, um mit öffentlichen oder privaten Verkehrsmitteln an die ungarische Grenze zu kommen. Viele wohnen in Hostels oder Pensionen. Die Flüchtlinge sind für manche ein einträgliches Geschäft geworden. Jene, die kein Geld haben, landen in Lagern wie jenem in Krnjača unweit von Belgrad und warten auf Geldüberweisungen. In Krnjača sind heute etwa 90 Leute untergebracht. Im Winter, wenn es zu kalt wird, um draußen zu schlafen, werden es mehr sein.
Falls Ungarn aber massenhaft Leute zurückschiebt, kann es in Serbien zu einer humanitären Katastrophe kommen. „Es kann doch nicht sein, dass Europa nichts aus den Tragödien des 20. Jahrhunderts gelernt hat“, so Schodder.