13. August 2015 · Kommentare deaktiviert für „Flüchtlinge in Mazedonien: Wartesaal des Elends“ · Kategorien: Balkanroute, Mazedonien · Tags:

Quelle: FAZ

Syrer, Afghanen, Iraker, Pakistaner und Somalier durchqueren auf ihrem Weg nach Westeuropa Mazedonien. Aber was wird aus ihnen, wenn Ungarn und andere Länder ihre Grenzen schließen?

von Reinhard Veser

Der mazedonische Abschnitt des europäischen Flüchtlingswanderwegs beginnt mit einer unsichtbaren Linie, die sich im rechten Winkel zu den Gleisen der Bahnlinie Thessaloniki-Skopje durch das sonnenverbrannte Gras zieht. Entlang dieser Linie stehen ordentlich aufgereiht etwa 20 Menschen in der prallen Mittagssonne und warten geduldig auf ein Zeichen des mazedonischen Polizisten, der in ein, zwei Metern Entfernung vor ihnen auf und ab schlendert. Die Linie ist die Grenze zwischen Mazedonien und Griechenland. Wo der Polizist hin und her geht, ist schon Mazedonien, wo die Flüchtlinge stehen, ist noch Griechenland.

Auf der griechischen Seite spendet eine kleine Baumgruppe ein wenig Schatten. Kein noch so kleiner Flecken davon ist ungenutzt, dicht gedrängt sitzen und liegen Wartende. Andere suchen neben niedrigen, verdorrten Büschen wenigstens eine Illusion von Schatten. Auf der mazedonischen Seite stehen neben einem Geländewagen der Grenzpolizei zwei verschwitzte Uniformierte.

Sie deuten auf einen weißen Kastenwagen, der vielleicht 200 Meter von der Grenze entfernt in Griechenland unter einem Baum steht und ein mobiler Kiosk zu sein scheint. „Bis dorthin“, sagt einer der mazedonischen Grenzschützer, „bringen die Griechen die Flüchtlinge mit Bussen.“ – „Wer macht das?“ – „Die griechische Polizei.“

Endlich gibt der Polizist der Gruppe an der Grenzlinie einen Wink. Schleppend machen sie sich auf den Weg. Vor ihnen liegt eine Stunde Fußmarsch entlang den Gleisen bis zum Bahnhof der mazedonischen Grenzstadt Gevgelija. Bewegung auch unter der Baumgruppe: Rasch erheben sich zwei Dutzend Menschen und stellen sich entlang der imaginären Linie auf, um bei der nächsten Gruppe dabei zu sein, die nach Mazedonien gelassen wird. Ihre Plätze im Schatten sind gleich wieder belegt.

Eine Passkontrolle gibt es hier auf dem freien Feld nicht. Die Polizei versucht nur, den Rhythmus der illegalen Einreise zu bestimmen, damit auf dem Bahnhof bei der Registrierung die Schlange nicht zu lang wird. Würden die Menschen einfach weitermarschieren, hätten die drei Mann keine Chance, sie daran zu hindern.

Den ganzen Tag, vom frühen Morgen bis zum späten Abend und oft auch die Nacht hindurch, kommen in Gevgelija im Viertelstundentakt Flüchtlingsgruppen an: Manche bestehen aus jungen Männern, andere aus Familien mit kleinen Kindern – mit Dreijährigen, die selbst gehen müssen, während ihre kleineren Geschwister getragen werden. Manche der Frauen sind am Kopftuch als Musliminnen erkennbar, andere sind gekleidet wie durchschnittliche Europäerinnen. Es kommen Menschen an, die Rucksäcke, Schlafsäcke und Zelte auf dem Rücken tragen und solche, die ihr Hab und Gut in abgenutzten Plastiktüten transportieren.

Die Glücklicheren haben Sportschuhe an den Füßen, aber viele quälen sich in Flipflops, Gummischlappen und auseinanderbrechenden Sandalen voran. „Das hier berührt mich mehr als andere Einsätze – dieser ständige Strom von Menschen. Man kann kaum helfen, es rinnt einem wie Wasser durch die Finger“, sagt eine Mitarbeiterin des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, die in Afrika und Asien schon viel erlebt hat.

Flüchtlingszahl wird durch Zahl der vollen Zügen geschätzt

Am Bahnhof informieren Plakate des Mazedonischen Roten Kreuzes auf Englisch, Französisch und Arabisch darüber, dass laut dem neuen „Gesetz über Asyl und zeitweiligen Schutz“ jeder Neuankömmling, der sich bei der Polizei registrieren lässt, 72 Stunden Zeit hat, das Land zu durchqueren oder einen Antrag auf Asyl zu stellen.

Innerhalb dieser Zeit dürfen öffentliche Verkehrsmittel benutzt werden. Die Plakate finden wenig Aufmerksamkeit. Auch ohne sie scheinen die meisten Bescheid zu wissen. Und der Zugfahrplan auf den Plakaten hat mit der Wirklichkeit nichts mehr zu tun. Jeden Tag bringen mehrere zusätzliche Züge Flüchtlinge nach Tabanovce an der Grenze zu Serbien.

Immer wenn ein Zug einfährt, wiederholen sich die gleichen Szenen. Schon eine halbe Stunde vorher stehen die ersten am Bahnsteig, um ganz vorne zu sein. Kurz bevor der Zug ganz zum Stehen kommt, beginnt ein wildes Gerangel um die Plätze direkt an den Türen, und noch während sie geöffnet werden, versuchen die ersten hineinzukommen. Hat es einer aus einer Gruppe geschafft, tut er alles, um seine Reisegefährten zu sich hoch zu ziehen und andere zurückzudrängen. Familien tun sich zusammen und schicken ein, zwei kräftige Männer vor, denen dann, sobald sie einen Platz erkämpft haben, die Kinder durch die Fenster nachgereicht werden. Es ist ein wilder Konkurrenzkampf, der immer wieder gewaltsam eskaliert.

Die Zahl der vollen Züge ist ein Anhaltspunkt für die Schätzungen, wie viele Flüchtlinge tatsächlich gerade durch Mazedonien auf dem Weg über Serbien und Ungarn in Länder wie Deutschland und Schweden sind. Nach offiziellen Angaben haben sich zwischen dem Inkrafttreten des sogenannten Asylgesetzes, das in Wirklichkeit ein Transitgesetz ist, am 19. Juni und dem Morgen des 5. August 26.444 Flüchtlinge registrieren lassen.

Doch alle sagen, dass in Wirklichkeit deutlich mehr Menschen angekommen sein müssen – die Behörden ebenso wie Hilfsorganisationen. Die Polizei hat weder die Kapazität, alle zu registrieren, noch hat sie irgendeine Möglichkeit der Kontrolle. Und der Abstand zwischen registrierter und tatsächlicher Zahl wächst mit dem Anschwellen des Flüchtlingsstromes: Im Juni waren es noch mehrere hundert Menschen täglich, irgendwann im Juli wurde die Tausendergrenze überschritten, und diese Woche kamen vermutlich etwa zweitausend Menschen am Tag nach Mazedonien.

Drei Viertel der Flüchtlinge kommen laut offizieller Statistik aus Syrien, es folgen Afghanistan, Irak, Pakistan und Somalia als Herkunftsländer.
Schon Anfang des Jahres hatte die Zahl der Menschen plötzlich stark zu wachsen begonnen, die auf ihrem Weg nach Norden Mazedonien durchquerten. In kleineren und größeren Gruppen zogen sie zu Fuß von Süden nach Norden durch das Land, denn öffentliche Verkehrsmittel durften sie nicht nutzen. Bus- oder Autofahrer, die Flüchtlinge mitnahmen, mussten damit rechnen, als Schlepper angeklagt zu werden.

Auf ihren tagelangen Märschen entlang der Eisenbahnlinie oder am Rand der Autobahn drohte den Flüchtlingen von vielen Seiten Gefahr: Sie konnten von der Polizei aufgegriffen, misshandelt und zurückgeschickt werden – oder als „Zeugen“ in Verfahren gegen Schlepper in einem gefängnisähnlichen Lager in Skopjes Stadtteil Gazi Baba unter menschenunwürdigen Umständen festgesetzt werden. Für einheimische Kriminelle war das Hab und Gut der rechtlosen Ausländer leichte Beute. Ende April wurden 14 Flüchtlinge, die auf der Hauptbahnstrecke Mazedoniens wanderten, von einem Zug getötet. Es war nicht das einzige Unglück dieser Art, aber das schlimmste.

„Wir wissen nicht, wer da über die Grenze kommt“

Dieser Unfall war ein Anstoß dafür, dass das Parlament im Juni das neue Gesetz beschloss. Bis dahin hatte Gevgelija nicht mehr Berührung mit den Flüchtlingen als die anderen Städte und Ortschaften entlang der Süd-Nord-Verkehrsachse durch Mazedonien. Doch seit die Flüchtlinge die Bahn benützen dürfen, sammeln sich die alle Flüchtlinge, die durch Mazedonien ziehen wollen, auf Gevgelijas Bahnhof. Wo noch vor kurzem Ruhe herrschte, wenn nicht gerade die paar Dutzend Passagiere aus den drei fahrplanmäßigen Zügen (Abfahrt 4.43 Uhr, 17.00 Uhr und 19.46 Uhr) ein- und ausstiegen, lagern nun ständig mehrere Hundert Menschen, wo sie gerade einen Platz finden.

Jenseits des am Stadtrand gelegenen Bahnhofs lebt Gevgelija weiter das gemächliche Leben einer mazedonischen Provinzstadt, in der Männer rauchend auf den Simsen der Schaufenster ihrer kleinen Läden hocken und Frauen schwere Einkaufstaschen nach Hause schleppen. Aber Bürgermeister Ivan Frangov, einem bulligen Mann mit einer Neigung zu harschen Worten, lassen die Flüchtlinge keine Ruhe: Da sind die hygienischen Zustände am Bahnhof, über dem ein strenger Geruch nach allem liegt, was Menschen ausdünsten und ausscheiden, da sind die Ängste der Bürger, die auch seine eigenen zu sein scheinen: „Wir wissen nicht, wer da über die Grenze kommt, wir wissen nicht, was sie in ihren Rucksäcken haben: Drogen, Sprengstoff oder nur Kleidung?“ Er schiebt gleich hinterher: „Wir wollen nicht unmenschlich erscheinen, wir helfen ihnen – aber wir wollen nicht, dass ihre humanitäre Katastrophe auch unsere humanitäre Katastrophe wird.“

Es ist Dienstagmittag, Frangov hat gleich ein Treffen mit Vertretern des UNHCR. Er möchte, dass das UN-Flüchtlingshilfswerk das geplante Aufnahmelager nicht neben dem Bahnhof, sondern außerhalb der Stadt gleich hinter der Grenze neben den Bahngleisen errichtet. Auf einem Ausdruck von Google Earth hat er schon einmal das Grundstück eingezeichnet, das ihm geeignet erscheint.

Vor allem aber besteht er darauf, dass es sich nicht um ein Lager, sondern um ein „Registrierungszentrum“ handeln wird: Die Flüchtlinge wollen weiterreisen, und sie sollen es auch so schnell wie möglich tun. „Zelte, Duschen und Toiletten sind auch keine Lösung“, sagt Frangov. Wie eine Lösung aussehen könnte, jedenfalls eine, die seiner Stadt hilft, weiß er auch: „Schnelle Registrierung der Flüchtlinge in Griechenland, und dann sollen sie direkt dorthin gebracht werden, wohin sie wollen.“

Das ist, ins Allgemeinverständliche übersetzt, das, was Mazedoniens Innenminister Mitko Čavkov diplomatisch so ausdrückt: „Das Problem sollte von den Herkunftsländern bis zu den Zielländern als Ganzes betrachtet werden.“ Mazedonien jedenfalls wäre das Problem mit den Flüchtlingen gerne los: Es hat genug mit sich selbst zu tun. Nicht nur, dass ein bedeutender Teil der eigenen Bevölkerung angesichts der miserablen wirtschaftlichen Lage mit dem Gedanken spielt, selbst das Land zu verlassen – die Parteien in Skopje haben sich auch in einem erbitterten innenpolitischen Streit so verhakt, dass ohne Vermittlung der EU kein Ausweg mehr möglich schien. Ob die im Juli erzielte Einigung auf eine vorgezogene Wahl im nächsten Frühjahr wirklich hält, wagt niemand vorherzusagen.

Noch können Flüchtlinge Mazedonien einfach verlassen

Im Mai wurden bei einer Schießerei in Kumanovo, eine halbe Stunde Autofahrt von der Hauptstadt entfernt, acht Polizisten und 14 albanische Kämpfer aus dem Kosovo getötet. Die Vermutungen darüber, was hinter der Auseinandersetzung stand, reichen von politischen Motiven albanischer Nationalisten über Machtkämpfe in der organisierten Kriminalität bis zu der Spekulation, die Regierung habe alles inszeniert, um von ihren Problemen abzulenken.

Für eine Erkenntnis spielt indes keine Rolle, welcher Theorie man zuneigt: Die Ereignisse haben gezeigt, wie fragil Mazedonien ist, wo sich 2001 albanische Aufständische lange Kämpfe mit den Sicherheitskräften lieferten.

Den Innenminister plagt noch eine weitere Sorge: Aus Mazedonien sind einige Dutzend junge Männer für den Islamischen Staat in Syrien in den Krieg gezogen. Erst am Donnerstag wurden bei landesweiten Razzien neun Personen festgenommen, denen vorgeworfen wird, in Syrien gekämpft oder Kämpfer angeworben zu haben. Mitko Čavkov fürchtet, im unkontrollierbaren Strom der Flüchtlinge könnten sie zurückkehren, vielleicht zusammen mit weiteren Anhängern des Islamischen Staates: Erst Mitte Juli hat der Islamische Staat ein Video veröffentlicht, in dem zur Schaffung eines Balkan-Kalifats aufgerufen wird.

Und nun geht auch noch die Furcht um, Mazedonien könne zum Auffanglager für viele Menschen aus Syrien und anderen Bürgerkriegsländern werden, die auf ihrem Weg in die reichen EU-Länder hängenbleiben: wenn Ungarn bald seinen Grenzzaun fertiggestellt hat und dann auch Serbien versuchen sollte, mit Unterstützung der EU-Mitglieder Österreich und Ungarn seine Grenze zu Mazedonien dicht zu machen. Beide Länder haben sogar schon Polizisten für gemeinsame Grenzpatrouillen mit den Serben dorthin geschickt – während gleichzeitig im Süden das EU-Land Griechenland die Flüchtlinge, die aus der Türkei auf seinen Mittelmeerinseln landen, nach Mazedonien weiter schickt.

Ob es wirklich die griechischen Behörden sind, wie in Mazedonien viele behaupten, die Syrer, Iraker, Afghanen und Pakistanis in Busse setzen und sie bis unmittelbar an die mazedonische Grenze bei Gevgelija bringen lassen, ist unklar. Aber Flüchtlinge in Gevgelija bestätigen, dass der Transport aus den griechischen Städten unter den Augen der griechischen Polizei organisiert wird.

Noch ist es für die Flüchtlinge, die in Gevgelija in einen Zug einsteigen, kein großes Problem, Mazedonien auf der anderen Seite des Landes wieder zu verlassen. Die Fahrt endet in Tabanovce, nur wenige hundert Meter von der serbischen Grenze entfernt. Dort warten neben einigen Mitarbeitern des Roten Kreuzes Abend für Abend etwa zehn, fünfzehn Freiwillige aus dem nahen Kumanovo mit Wasser, Lebensmitteln und Medikamenten auf die Ankömmlinge. Die Gruppe ist bunt gemischt: Mazedonier und Albaner, Muslime und Christen, ein Arzt ist darunter, ein Ladenbesitzer, Angestellte – und als Kopf und Antreiberin Aleksandra, eine junge Unternehmerin, die sich seit Wochen kaum noch um ihre Geschäfte kümmert.
Zusammengefunden haben sie im Frühjahr in der Tatar-Sinan-Beg-Moschee in Kumanovo, die zu einer Anlaufstelle für Flüchtlinge geworden war, die nach dem Fußmarsch durch Mazedonien entkräftet waren und mit wunden Füßen kaum noch gehen konnten. Zeitweilig hielten sich, so berichten Aleksandra und die anderen, mehrere hundert Flüchtlinge gleichzeitig in der Moschee und dem umgebenden Garten auf. In den Gebetsräumen wurde geschlafen, wurden von Einwohnern Kumanovos gespendete Lebensmittel ausgegeben, Wunden desinfiziert – und Geschäfte im großen Stil gemacht.

Schleuser lassen sich nicht aus dem Geschäft drängen

In der Moschee fanden die Flüchtlinge nicht nur Hilfe, sondern auch Schleuser, die ihnen anboten, sie sicher nach Serbien zu bringen. Wer mit welchen Absichten dort war, sei nicht immer leicht zu erkennen gewesen, sagt Aleksandra: „Die Schleuser haben auch geholfen, um das Vertrauen der Flüchtlinge zu gewinnen.“ Erst am Ende, als kurz der Verabschiedung des neuen Asylgesetzes schon weniger Flüchtlinge in die Moschee gekommen seien, sei es manchen klar geworden: „Die haben mir – und auch anderen Freiwilligen – Prozente angeboten, wenn ich ihnen eine Gruppe zusammenstelle.“

Dass die Flüchtlinge nun mit dem Zug bis an die Grenze fahren, hat den Schleppern und Schleusern einen starken Umsatzrückgang beschert. Doch so leicht lassen sie sich nicht aus dem Geschäft verdrängen. Um zu verstehen, wie sie ihre Kundschaft an sich binden, muss man nach Lojane fahren. Das kleine Dorf liegt dort direkt an der Grenze, dort wo die Ebene der Umgebung von Kumanovo in die Skopska Crna Gora, die Skopjer Schwarzen Berge übergeht.

Es ist eine jener Ortschaften, in denen albanische Fahnen an den Häusern hängen und stattliche Denkmäler für die Kämpfer des Aufstands von 2001 stehen – gleichsam als Symbol dafür, dass die mazedonische Staatsgewalt dort nur eingeschränkt gilt. Folgt man oberhalb der letzten Höfe von Lojane einem nach rechts in die Berge abgehenden Feldweg, kommt man bald an einen kleinen Bachlauf, an dem Männer und Frauen um einige Zelte herum sitzen.

Es sind nur fünfzehn Personen, wie die meisten Flüchtlinge in abgetragenen Schuhen und Kleidung, an der die lange Reise Spuren hinterlassen hat. Doch die Zahl der erkalteten Feuerstellen und die Masse an Müll ringsum, lassen darauf schließen, dass sich hier auch schon viel größere Gruppen aufgehalten haben. In gebrochenem Englisch sagen sie, sie seien aus Afghanistan. „Was macht ihr hier?“ – „Das können wir nicht sagen.“ – „Ihr wollt doch sicher nach Serbien.“ – „Ja.“ – „Wer zeigt euch den Weg?“ – „Jemand höheres.“ Sie sind in Tabanovce, von wo aus es nur einen Steinwurf nach Serbien ist, aus dem Zug gestiegen und dann hierher geführt worden. Nun warten sie auf die Nacht.

Aleksandra war in den vergangenen Wochen immer wieder hier, um Wasser zu bringen und um zu sehen, ob jemand medizinische Hilfe benötigt. Immer wieder hat sie dabei den gleichen Mann aus Afghanistan angetroffen, der sich ihr als „Dabbljuh Dabbljuh“ vorgestellt hat und behauptet, er habe den Grenzübertritt nicht geschafft.

Sie hat ihn auch schon im serbischen Aufnahmelager Preševo gesehen, als sie sich dort mit serbischen Freiwilligen traf. Nun gibt er zu erkennen, dass er fließend Bulgarisch spricht. Für Aleksandra und ihre Begleiter heißt das, dass er bei ihren früheren Besuchen alles verstanden hat, was sie untereinander auf mazedonisch besprochen haben. „Dabbljuh Dabbljuh“ trägt ein sauberes T-Shirt, saubere Hosen und saubere Schuhe. Er schlägt Aleksandra vor, nach ihrem nächsten Besuch einen Kaffee trinken zu gehen.

Immer weiter durch die Dunkelheit

„Unsere Freunde versuchen den Leuten schon in Gevgelija zu sagen, dass sie niemandem an Orte wie Lojane folgen müssen“, sagt Aleksandra. „Die Syrer hören auf uns, aber die Afghanen glauben uns nicht.“ In Lojane geht es noch zu, wie in der Zeit vor dem Asylgesetz an vielen Orten in Mazedonien. Immer wieder höre man in der Nacht Auseinandersetzungen zwischen Flüchtlingen, sagt ein Einwohner, aus dem es, nachdem er einmal angefangen hat zu reden nur so heraussprudelt.

Er vermutet, dass unterschiedliche Schlepper in Streit geraten. Einige Familien aus Lojane hätten Häuser an Afghanen vermietet, für 1500 Euro im Monat, in denen dann Flüchtlinge untergebracht würden. Und erst vor wenigen Tagen hätten nachts Jugendliche aus dem Dorf eine kleine Gruppe von Flüchtlingen ausgeraubt.

Als weit nach Mitternacht wieder ein Zug aus Gevgelija in Tabanovce eintrifft, stehen die Aleksandra und ihre Freunde am Bahnsteig. Wenn sie einem Flüchtling eine Flasche Wasser, eine Packung Milch für die Kinder oder ein Esspaket in die Hand drücken, weisen sie ihnen immer auch den Weg. Manche legen sich auf der bloßen Erde schlafen, doch die meisten gehen gleich weiter. Irgendwo ganz nah dort in der Dunkelheit, wo die Lichter des Grenzbahnhofs nicht mehr hinreichen, verläuft eine unsichtbare Linie über die Felder, die sie überqueren wollen.

 

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