10. August 2015 · Kommentare deaktiviert für „Mazedonien: Flüchtlingselend an der Grenze“ · Kategorien: Balkanroute, Griechenland, Mazedonien · Tags:

Quelle: Deutschlandfunk

Von Thomas Bormann

Es sind unfassbare Szenen in Nordgriechenland: Entlang der Landstraße von Thessaloniki Richtung Norden ziehen ständig Gruppen von Flüchtlingen zu Fuß in Richtung mazedonische Grenze. Die meisten von ihnen stammen aus Syrien. Sie haben schon eine lange Odyssee hinter sich – und sie wird noch weitergehen.

Nur wenige Bäume werfen etwas Schatten. Viele Flüchtlinge müssen in sengender Hitze auf dem ausgedörrten Boden hocken, ohne Schutz vor der Sonne; hier am Trampelpfad nördlich des griechischen Dorfes Idomeni direkt an der Grenze zum Nachbarland Mazedonien.

Gerade kommt eine Familie mit zwei kleinen Töchtern an. Das dunkelrote Polohemd des Vaters ist vom stundenlangen Marsch über die Landstraßen durchgeschwitzt, die Mutter und die beiden Mädchen hocken sich hin, lehnen ihre müden Körper an einen Baumstamm. Sie sind dankbar, dass hilfsbreite Griechen aus der Nachbarstadt hier belegte Brote und Wasser verteilen.

Zwischenstation nach 2.000 Kilometer Flucht

Die Familie hat schon über 2.000 Kilometer Flucht hinter sich. Sie stammt aus Mossul, jener Großstadt im Nordirak, die die Terrormilizen des selbst ernannten Islamischen Staates vor mehr als einem Jahr erobert hatten. Seitdem ist Mossul die Hölle, sagt der Familienvater in gutem Englisch:

„Niemals in meinem Leben habe ich mir vorstellen können, meine Heimat zu verlassen. Ich hatte mein eigenes Geschäft, mein Auto, ein Haus mit schönen Möbeln, alles. Ich habe nie gedacht, dass ich so etwas Furchtbares durchmachen muss. In Griechenland, in diesem Elendslager, habe ich mich selbst nicht mehr wiedererkannt und mich gefragt: Was zur Hölle trieb mich dazu, das alles hier durchzumachen. Aber es war ja die Hölle, die mich aus meiner Heimat vertrieben hat.“

Die Terrormilizen des Islamischen Staates haben sein Geschäft dichtgemacht, seine Frau durfte nicht mehr als Lehrerin arbeiten. Für die beiden Töchter gibt es dort gar keine Zukunft. Da blieb nur die Flucht, raus aus der Hölle Mossul. Wie alle Familien hier haben sie schon eine wochenlange Odyssee hinter sich: Flucht aus der Heimat quer die Türkei, dann für mehrere tausend Euro mit dem Boot auf eine griechische Insel. Griechenland aber ist völlig überfordert, die Flüchtlinge zu versorgen, geschweige denn, ihnen Arbeit zu bieten. So wollen sie weiterziehen, dorthin, wo sie sich eine neue Existenz erhoffen. In Deutschland, in England oder in Skandinavien.

England, Deutschland, Skandinavien als Ziel

Khaled, ein 30-jähriger ehemaliger Bankangestellter aus Damaskus, steht schon auf der anderen Seite des Grenzsteins und zeigt auf den Feldweg, der nach Mazedonien hineinführt:

„Diesen Weg nenne ich den Weg der Freiheit“, sagt er mit entschlossener Stimme. Er hofft, dass er über diesen Weg letztlich sein Ziel erreichen wird: Deutschland. Ein paar Schritte zurück auf der griechischen Seite der Grenze suchen ein paar junge Männer aus Syrien Abkühlung im Schatten eines Baumes. Auch ihr Ziel: „Deutschland, dort können wir arbeiten, studieren, dort können wir unser verlorenes Leben wiederfinden, verstehst du?“

So sagt er. Nur wie genau sie nach Deutschland kommen werden, das wissen sie noch nicht. „Erst mal Makedonien, dann Serbien, dann wissen wir noch nicht“, sagt sein Freund. Aber: Haben sie nicht Angst, an irgendwelchen Grenzen ausgeraubt zu werden von Schleppern oder korrupten Grenzpolizisten. Angst, fragt der junge Syrer zurück?

„Nein, wovor denn? Ich bin schon davor geflüchtet, wovor ich Angst hatte, vorm Krieg. Hier fühle ich mich sicher“, sagt er. „Egal, was für Ärger noch auf uns wartet, ich fühl mich sicher.“

Der Familienvater aus Mossul mit den beiden kleinen Töchtern würde gerne nach England. Aber egal ob England oder Deutschland: „Es gibt keinen legalen Weg für uns Flüchtlinge“, beklagt der Familienvater. „Wir müssen illegal von Grenze zu Grenze.“

Heute haben sie ein wenig Glück: Die mazedonische Grenzpolizei lässt die Flüchtlinge in kleinen Gruppen passieren. Aber die nächsten Hürden sind hoch, die Grenze nach Serbien und dann vor allem die Grenze zum EU-Land Ungarn. Trotzdem: Die Flüchtlinge hoffen, dass sie sich irgendwann irgendwo in Europa eine neue Existenz aufbauen dürfen, denn ihre alte Existenz hat der Krieg ihnen genommen.

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