09. August 2015 · Kommentare deaktiviert für „Mauern und Abschreckung lösen das Flüchtlingsproblem nicht“ · Kategorien: Großbritannien · Tags:

Quelle: Telepolis

von Florian Rötzer

In Calais stand ein Sicherheitstor trotz Millionen, die in den Zaun und die Überwachungstechnik investiert wurden, weit offen

Großbritannien will bekanntlich möglichst keine Flüchtlinge aufnehmen. Zu Hunderten versuchen diese in Calais, irgendwie mit dem Zug oder in LKWs durch den Eurotunnel nach Großbritannien zu kommen. Nicht nur im Mittelmeer, sondern auch hier sterben immer wieder Flüchtlinge bei dem Versuch, ins Gelobte Land zu kommen, das alles andere als erfreut ist.

So hat die britische Regierung denn auch mit derjenigen Frankreichs vereinbart, die Zahl der Grenzpolizisten zu erhöhen, überdies sollen weitere Millionen in Sicherheitszäune mit Überwachungssystemen investiert werden, um Großbritannien als Festung gegen Migranten bereits in Frankreich zu sichern (Eurotunnel-Flüchtlingsabwehr: ein Zaun soll helfen). In Großbritannien stehen Wahlen an, die unerwünschten Flüchtlinge sind eines der Hauptthemen, mit denen sich die Parteien profilieren wollen. Verbunden damit ist auch die Frage, ob Großbritannien in der EU bleiben soll. Der Eurotunnel ist damit direkt verbunden, schließlich verbindet er die eigenbrötlerische Insel direkt mit dem europäischen Festland.

Politisch haben die Briten wie auch sonst die Europäer kein Konzept, wie sie mit dem Flüchtlingsstrom zurechtkommen sollen, der nicht zuletzt durch die transatlantische Geopolitik, also den Afghanistan- und Irakkrieg, die Intervention in Libyen und jetzt den Islamischen Staat mit geschaffen wurde. Gerade Großbritannien hat als „Pudel“ der der US-Interventionspolitik einen nicht unerheblichen Anteil, will aber die Folgen nicht tragen. Lieber warnt die Innenministerin May die Flüchtlinge, die britischen Straßen seien auch nicht vergoldet. Das mag sein, aber im Land herrscht kein blutiger Krieg wie in Syrien oder im Irak, wo Briten mit Amerikanern und anderen einen Luftkrieg führen, unter dem auch Zivilisten leiden.

Wie schon im Kalten Krieg werden Zäune, Mauern, Festungen: Gated Nations über Abschreckungsstrategien (Migranten: Britische Regierung setzt auf Kürzungen und Strafen) zum Allheilmittel, um den Status quo aufrechtzuerhalten. Obgleich aus den europäischen Ländern sich über Jahrhunderte eine aggressive Auswanderungswelle vor allem nach Nord- und Südamerika, aber auch nach Afrika, Asien und Australien geschwappt war, verteidigt man jetzt die Fiktion des Nationalstaats, als hätte es auch in Europa nie Einwanderungswellen gegeben. Einst nahmen sich die Europäer im Ausland die Macht über die „Eingeborenen“, umgekehrt soll das aber nicht geschehen, selbst wenn die Flüchtlingsströme durch die frühere Kolonialpolitik und die aktuelle Geopolitik mit verursacht werden.

Aber Abschotten und das Errichten von Mauern hilft nur bedingt. Das ist bei Wohnungen und Häusern ähnlich wie bei Computern. Technische Sicherheitsvorkehrungen sind immer zu knacken. Die Sicherheitszäune zum Eurotunnel wurden von Flüchtlingen jedenfalls auch überwunden. So berichten Reporter des Telegraph, dass um die 30 Migranten eine Sicherheitstür im Zaun ohne Probleme öffnen konnten und damit in den geschützten Bereich vordringen konnten. Die Tür ist mit einem Sicherheitsschloss gesichert, das mit der Eingabe eines Codes öffnen kann. Die Migranten haben herausgefunden, dass bestimmte Zahlen „dreckiger“ waren, also öfter eingegeben wurden, während die übrigen Tasten sauberer, also unbenutzter waren. Nach dem Bericht wurde die Tür mit einem Schloss gesichert, aber der Vorfall zeigt nur, dass technische Abwehreinrichtungen immer überwindbar sind.

Vermutlich werden die meisten der Migranten festgenommen worden sein. Wie lange der Code schon bekannt war, ist nicht klar. Inzwischen wurde bekannt, dass ein Sudanese den Eurotunnel zu Fuß bewältigt haben und nach Großbritannien gelangt sein soll. 11 Stunden soll er für seine riskante Durchquerung des 50 km langen Tunnels gebraucht haben, durch den immer wieder Züge mit großer Geschwindigkeit rasen. Der Abstand zwischen den Zügen und der Wand soll gerade einmal 80 cm betragen. Gut möglich, dass die Erfolgsgeschichte, sollte sie denn stimmen, weitere Migranten motiviert, das Risiko auf sich zu nehmen, was weitere Todesfälle verursachen wird. Und es wird dazu führen, dass weitere Millionen in Zäune und Techniken gesteckt werden, um unerwünschte Zuwanderer abzuwehren.

Wer sein Leben riskiert, um über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen, wird sich nicht so einfach abschrecken lassen, auch wenn er im Gegensatz zu islamistischen Terroristen nicht das tödliche Abenteuer sucht, sondern aus der Bedrohung durch Tod oder Armut ein besseres Leben erstrebt, also durchaus den Willen zur Selbsterhaltung besitzt. Aber wer keine Zukunft für sich sieht, nimmt vielleicht lieber den Tod in Kauf als das Leben im Elend. Das war auch die Devise von vielen, die nach Amerika auswanderten. Auch deren Nachfahren in den USA preisen zwar gerne die „Pilgerväter“, errichten aber auch an der Grenze zu Mexiko Mauern, um die neuen Pilger abzuwehren. Die Mayflower ist nur Vorbild für die Schiffe, die nun die Migranten in die Festung Europa bringen.

Kommentare geschlossen.