09. August 2015 · Kommentare deaktiviert für „Gestrandete Flüchtlinge in Ungarn und Österreich: Menschenverachtung mit System und Kalkül“ · Kategorien: Balkanroute, Ungarn · Tags: ,

Quelle: Pester Lloyd

Während es Proteste gegen zwei neue Flüchtlingslager in Ungarn gibt, richten Behörden und NGO´s gemeinsam – und ohne die Genehmigung der Stadtregierung abzuwarten – „Transitzonen“ in Budapest ein, um die größte Not zu lindern. Die zwangsläufige Verwahrlosung von sich selbst überlassenen Flüchtlingen ist von der Politik kalkuliert, aber längst kein ungarisches Phänomen.

Die ungarische Regierung hat die Errichtung zweier neuer Flüchtlingslager bestätigt. Sowohl in bzw. bei Sormás als auch in Mártonfa sollen ab Ende August bis Mitte September Container und Zelte errichtet werden. Auf einer Anwohnerversammlungin Sormás protestierten rund 100 Menschen gegen diese Pläne, die mit der Schließung alter Aufnahmestellen in Großstädten und bewohnten Gebieten einhergehen, wie sie Orbán angeordnet hat. Regierungspolitiker schilderten, ganz im Duktus der xenophoben Angstmacherei, dass sie die „Befürchtungen der Anwohner vor gewalttätigen Übergriffen und Belästigungen“ durch entsprechende Sicherheitsmaßnahmen (Zäune, bewaffnete Lagerwachen, willkürliche Verlegungen, Verhaftungen) ausräumen wollen. Rechtsextreme Gruppen kündigten Widerstand an.

In Budapest haben mittlerweile sogar die Sicherheitskräfte der Untätigkeit des Oberbürgermeisters Tarlós, Fidesz, eigene Aktionen entgegengesetzt. Feuerwehr, Polizei, Erste Hilfe und Katastrophenschutz richten – gemeinsam mit bereits vor Ort tätigen freiwilligen Initiativen – sogenannte „Transitzonen“ an den Bahnhöfen Keleti, Déli und Nyugati ein, die u.a. Duschen, Wechselwäsche, Kommunikationsmöglichkeiten und medizinische Grundversorgung anbieten werden. Spezielle Shuttle-Busse sollen die Flüchtlinge – an den Öffis vorbei – von Bahnhof zu Bahnhof bringen. Polizei und Sozialarbeiter sollen die Maßnahmen „begleiten“. NGO´s begrüßen die Maßnahmen vorbehaltlich der Art der Umsetzung und sehen darin eine Chance zur Linderung der Umstände, wenn auch keine wirkliche Lösung. Jobbik warnt vor „Ausländerghettos mitten in Budapest.“ und schlägt stattdessen Lager zur Konzentration am Stadtrand vor.

Der Leiter der Koordinierung der Exekutivorgane der ungarischen Hauptstadt hat den OB lediglich darüber „informiert“, dass man die o.g. Maßnahmen jetzt ergreifen wird. Seine Genehmigung hat er nicht abgewartet. Tarlós selbst will nämlich erst im September einen Aktionsplan vorlegen – riskiert also eine humanitäre Eskalation, um die Stimmung gegen Flüchtlinge weiter aufzuheizen.

Das ist übrigens die gleiche Taktik, die von der menschenverachtend (nicht) handelnden österreichischen Regierung (SPÖ/ÖVP) mit der Farce um das Aufnahmelager in Traiskirchen und die Bereitstellung von Quartieren gefahren wird, somit kein ungarisches Phänomen darstellt, auch wenn die dortige Umsetzung neue Standards der Menschenverachtung setzt. Künstliche Verknappung bzw. Verweigerung der Ressourcen, Vortäuschung von verwaltungstechnischen Problemen, Schaffung von Katastrophenszenarien auch ohne Not, damit Aufwiegelung der (medial und von Hetzparteien wie der FPÖ) manipulierten Bevölkerung ist im Nachbarland ebenfalls systemisch. Das Land hat Anfang der Neunziger fast 100.000 Bosnier aufgenommen, in den Fünzigern – also kurz nach dem Krieg – 200.000 Ungarn! Immerhin ist auch in Österreich Menschlichkeit erkennbar, ebenso wie in Ungarn – auf lokaler, privater und NGO-Ebene. Politisch herrscht jedoch das Kalkül, dass das gestiftete Chaos die Stimmung gegen die Ausländer anheizt und so repressive Maßnahmen erleichtert.

Wie sehr die unvermeidliche Verwahrlosung mittelloser, sich selbst überlassener Flüchtlinge ohne jede Infrastruktur politisch ausgeschlachtet wird, demonstrierte gestern Fidesz-Sprecher Máté Kocsis (früher Jobbik) auf Facebook. Dort echauffierte er sich über auf Wiesen in Budapest (sogar auf dem Johannes Paul II. Platz!) kampierende Flüchtlinge, die Müll verursachten, Feuer machen und eine Bedrohung für die Anwohner darstellen, weshalb man ihnen mit strengsten Exekutivmaßnahmen beikommen solle. Ja, er habe sogar Flüchtlingskinder gesehen, die auf ungarischen Spielplätzen Fußball spielen! Die Antwort war ein veritabler Shitstorm, bei dem ihm Bürger erläuterten, dass sich die angesprochenen Flüchtlinge zivilisierter benähmen als die meisten Ungarn bei Volksfesten. Ihren Müll sammeln sie ein, sie belästigen niemanden, könnten sich aber angesichts ausbleibender Alternativen auch nicht in Luft auflösen – wie die Menschlichkeit bei Fidesz.

In Ungarn federführend bei der Flüchtlingshilfe ist migszol.com

Weitere Nachrichten zur Flüchtlingsthematik: pesterlloyd.net

Eine umfangreiche Linksammlung und Chronologie zum Thema: pesterlloyd.net

Kommentare geschlossen.