http://www.nzz.ch/aktuell/international/reportagen-und-analysen/
„Flucht nach Europa
In Eritrea bleiben heisst bei lebendigem Leibe sterben
Eritrea ist eines der repressivsten Länder der Welt. Viele der vor Lampedusa ertrunkenen Flüchtlinge stammten von dort. Zwei Eritreer, denen die Flucht nach Europa gelang, erzählen von ihrer Odyssee.
Sabine Mohamed
Nennen wir ihn Jonas. Das ist nicht sein richtiger Name, aber er möchte seine Liebsten in Eritrea nicht in Gefahr bringen. Jonas packt den Geldbeutel aus mit den Bildern von Freunden und Familie. Aufgenommen in einem Fotostudio, vor einer Tapete mit Sonnenuntergang. Auf einer Foto sind fünf coole Teenager zu sehen. Er zeigt auf einen lachenden Freund. Der war auf dem Boot, das am 3. Oktober 369 Passagiere vor der Küste Lampedusas in den Tod riss. Sie sind zusammen in Äthiopien im Flüchtlingslager Mai Ayni gewesen. Seit einem Monat lebt der 16-jährige Eritreer im Jugendheim in der Nähe von Frankfurt am Main, nach drei Jahren Flucht. Mit 13 hat er realisiert, dass er keine Zukunft mehr hat, und flieht. Lässt seine Eltern und Geschwister zurück. Nachts bringt ihn ein Auto an die eritreisch-äthiopische Grenze, den Rest geht er mit einem Schulfreund zu Fuss. Er hat jemanden dafür bezahlt. Er wird noch oft zahlen. In äthiopischen Birr, sudanesischen Pfund, libyschen Dinar und Dollars. Den Anfangsbuchstaben des Namens seiner Mutter hat er auf seinen Arm tätowiert. Er vermisst sie. Aber er will nicht auf unbestimmte Zeit zum Militärdienst. Manche sind ihr Leben lang in den Baracken, andere bereits mit ihren Vätern in der zweiten Generation. […]
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