22. Juli 2018 · Kommentare deaktiviert für Europas Hilfspolizisten (II) · Kategorien: Europa, Libyen · Tags: ,

German Foreign Policy | 23.07.2018

Seenotretter, kritische Beobachter und Experten warnen einhellig vor der geplanten Stärkung der libyschen Küstenwache durch die EU. Seenotretter haben am Wochenende angekündigt, Klage gegen die Küstenwache zu erheben, weil sie mutmaßlich drei Menschen auf einem manövrierunfähigen Schlauchboot auf hoher See zurückgelassen hat. Eine Frau und ein Kind kamen elend zu Tode. Bereits im Juni haben die Vereinten Nationen Sanktionen gegen mehrere libysche Kooperationspartner der EU verhängt – darunter der Leiter der Küstenwache in Zawiya, ein Milizenführer, dessen Miliz vorgeworfen wird, Flüchtlingsboote mit Schüssen versenkt zu haben. Experten warnen, indem die EU lokale Bürgerkriegsmilizen nicht entwaffne, sondern in Einheiten der Küstenwache transformiere, belohne sie bewaffnete Banden – und unterminiere den offiziell angestrebten Wiederaufbau des libyschen Staats. Unterdessen regt sich in der italienischen Küstenwache erster Widerstand gegen die brutale Flüchtlingsabwehr: Offiziere widersetzen sich Befehlen und gehen mit Kritik an die Öffentlichkeit.

Unterstützung für die Küstenwache

Bereits am 28. Juni hatten die Staats- und Regierungschefs der EU auf ihrem Brüsseler Gipfel den weiteren Ausbau der libyschen Küstenwache beschlossen. Die Union werde „ihre Unterstützung“ für die Truppe ausweiten, hieß es in der Abschlusserklärung. So soll etwa die Ausbildung des Personals der Küstenwache intensiviert werden. Auch soll EU-Personal nach Tripolis entsandt werden, um den zuständigen libyschen Stellen bei der Überwachung ihrer Küstengewässer zu „helfen“; vermutlich soll damit sichergestellt werden, dass die libyschen Küstenwächter nicht im Nebenberuf als illegale Reiseunternehmer auftreten und ausgewählte Flüchtlingsboote in die EU passieren lassen.[1] Zudem unterstützt Brüssel mit 46 Millionen Euro den Aufbau einer eigenen Leitstelle zur Seenotrettung in Libyen.[2] Italien, das der libyschen Küstenwache bereits vier Patrouillenboote zur Verfügung gestellt hat, hat jetzt angekündigt, ihr zwölf weitere Schiffe zu übergeben. Ziel ist es, die Küstenwache zu befähigen, möglichst alle Flüchtlinge entweder am Ablegen zu hindern oder sie doch zumindest auf See zu ergreifen. Dann gerieten EU-Schiffe nicht mehr in die Lage, Flüchtlinge in internationalen Gewässern an Bord nehmen und sie in die EU bringen zu müssen. Auch die private Seenotrettung wäre damit zuverlässig außer Gefecht gesetzt.

Dem Tod überlassen

Libyens Küstenwache, die de facto ein lockeres Bündnis von mit Schiffen ausgestatteten Milizen aus libyschen Küstenstädten ist, ist für schwerste Verbrechen an Flüchtlingen berüchtigt (german-foreign-policy.com berichtete [3]). Aktuell steht sie im Verdacht, bei der Evakuierung eines Schlauchboots zwei Frauen und ein Kind auf hoher See zurückgelassen zu haben. Auf dem Boot fand die spanische Hilfsorganisation Proactiva Open Arms vergangene Woche neben zwei Toten – einer Frau und einem Kind – eine Überlebende, die sie schließlich in Palma de Mallorca in Sicherheit brachte; Italien hatte sich geweigert, die zwei Leichen an Land zu nehmen. Hatte die libysche Küstenwache zunächst rundweg abgestritten, Personen auf dem Boot nicht evakuiert zu haben, so behauptet sie mittlerweile, zwei Tote – eine Frau und ein Kind – nach vergeblichen Wiederbelebungsversuchen ihrem Schicksal überlassen zu haben.[4] Proactiva Open Arms geht hingegen davon aus, dass alle drei während der Evakuierung noch am Leben waren, sich aber weigerten, in libysche Folterlager zurückzukehren, woraufhin die Küstenwächter das Boot manövrierunfähig machten und davonfuhren. Proactiva Open Arms will jetzt Anzeige erstatten.

Mit Schüssen versenkt

Bereits im Juni hatten sich die Vereinten Nationen veranlasst gesehen, Sanktionen gegen mehrere libysche Kooperationspartner der EU und ihrer Mitgliedstaaten zu verhängen – darunter mindestens ein Funktionär der Küstenwache. Abd al Rahman al Milad, ein Milizenführer aus Zawiya westlich von Tripolis, tritt als Leiter der dortigen, von der EU unterstützten Außenstelle der Küstenwache auf. Seine Einheit sei besonders berüchtigt dafür, Gewalt gegen Bootsflüchtlinge anzuwenden, heißt es in Berichten.[5] So habe sie Flüchtlingsboote mit Schüssen versenkt und Flüchtlinge in ein Lager bringen lassen, das von einer befreundeten Miliz unterhalten werde; dort werde brutal gefoltert, teilt die UNO in ihrer Sanktionsbegründung mit. UN-Strafen sind darüber hinaus gegen Ahmed Dabbashi verhängt worden, einen Milizenführer aus Sabratha ebenfalls westlich von Tripolis, zu dessen Clan der Anführer eines einstigen lokalen IS-Ablegers gehört (german-foreign-policy.com berichtete [6]). Mit Dabbashi hatte bereits 2015 der italienische Öl- und Gaskonzern Eni eine Vereinbarung zum Schutz des nahe gelegenen Öl- und Gaskomplexes Mellitah geschlossen; 2017 kam übereinstimmenden Berichten zufolge Rom mit ihm überein, im Gegenzug gegen die Zahlung einer unbekannten Summe Geld Flüchtlinge nicht mehr in Richtung Europa einzuschiffen, sondern sie festzusetzen. Die Vereinten Nationen gehen nun gegen ihn vor, weil seine Miliz Flüchtlinge brutal misshandelt und sie „an Land sowie auf See tödlichen Umständen ausgesetzt“ hat.[7]

Milizen bewaffnen

Grundlegende Kritik an der Praxis, örtliche Milizen in Einheiten der libyschen Küstenwache zu transformieren, üben Experten. Besonders Italien sei seit dem vergangenen Jahr bemüht, Milizen, die zuvor mit dem Ausschleusen von Flüchtlingen in Richtung Europa Geld verdient hätten, für die Flüchtlingsabwehr zu gewinnen, heißt es in einer umfassenden Studie, die das Institute for Security Studies, ein Think Tank mit Büros in Südafrika, Kenia, Äthiopien und Senegal, Ende 2017 publizierte. Ab Juli 2017 habe diese Strategie, für die man freilich die jeweiligen Milizen bezahlen müsse, tatsächlich zu einer Verringerung der Zahl neu eintreffender Flüchtlinge in Europa geführt. Langfristig sei dieses Vorgehen allerdings überaus schädlich: Schließlich erlaube man es den Milizen, sich an der Seite der EU vorteilhaft zu positionieren; diejenigen, die sich als Küstenwache tarnten, könnten sogar von einer gewissen Aufrüstung durch die EU profitieren. Mit ihnen bestünden allerdings genau diejenigen Strukturen fort, die eine Stabilisierung des libyschen Staates unmöglich machten; die Zukunft des Landes und seiner Bewohner werde faktisch dem Ziel der EU geopfert, möglichst schnell und umfassend die Einreise weiterer Flüchtlinge zu stoppen. Die dringend nötige Entwaffnung der Bürgerkriegsmilizen bleibe hingegen aus.[8]

2000 Jahre Zivilisation

Jenseits der zunehmenden Proteste gegen die Kollaboration mit der libyschen Küstenwache zeichnet sich mittlerweile erster Widerstand innerhalb der italienischen Küstenwache gegen die brutale Flüchtlingsabwehr ab. So hat sich ein Admiral der Guardia Costiera kürzlich offen gegen den Kurs des italienischen Innenministers Matteo Salvini gestellt und darauf hingewiesen, dass – laut italienischen Gerichtsurteilen – Libyen für aus Seenot gerettete Flüchtlinge kein „sicherer Ort“ sei. Leider müsse man auf Drängen Roms seit Juni Rettungsaufträge, wenn irgend möglich, an die libysche Küstenwache delegieren – gerade weil diese die Flüchtlinge nach Libyen zurückbringe. Mehrere Offiziere der Guardia Costiera haben zudem gegenüber italienischen Medien geschildert, wie sie sich am 13. Juli dem Befehl aus Rom widersetzten, 450 Flüchtlinge nicht von einem manövrierunfähigen Fischerboot zu retten, sondern dies maltesischen Stellen zu überlassen.[9] Nach einem heftigen Konflikt konnten die Flüchtlinge letzten Endes in Italien an Land gehen. In einer Gedenkfeier zum 153. Gründungstag der Guardia Costiera erinnerte deren Kommandeur Admiral Giovanni Pettorino vergangene Woche zudem an den ehemaligen italienischen U-Boot-Kommandanten Salvatore Todaro, der im Zweiten Weltkrieg erhebliche Risiken einging, um feindliche Marinesoldaten vor dem Ertrinken zu retten. Den Protest eines deutschen Admirals, im Krieg tue man „diese Dinge nicht“, habe Todaro nicht gelten lassen, erinnerte Pettorino, als er in Anwesenheit von Vertretern der neuen italienischen Ultrarechtsregierung Todaro, nach dem ein U-Boot der heutigen italienischen Marine benannt ist, zitierte: „Wir sind italienische Seeleute. Wir haben 2000 Jahre Zivilisation hinter uns, und wir tun diese Dinge.“

[1] Michael Stabenow: Die Hoffnung auf Libyen. Frankfurter Allgemeine Zeitung 17.07.2018.
[2] Linke und Seenotretter kritisieren Millionen-Hilfe für Libyens Küstenwache. spiegel.de 02.07.2018.
[3] S. dazu Rückschub in die Hölle und Europas Hilfspolizisten.
[4] Migranti, i libici: „Madre e bimbo erano già morti. In acqua non c’era nessun altro“. Palazzotto: „Salvini si scusi“. ilfattoquotidiano.it 20.07.2018.
[5] Patrick Wintour: UN accuses Libyan linked to EU-funded coastguard of people trafficking. theguardian.com 08.06.2018.
[6] S. dazu Europas Hilfspolizisten.
[7] Patrick Wintour: UN accuses Libyan linked to EU-funded coastguard of people trafficking. theguardian.com 08.06.2018.
[8] Mark Micallef, Tuesday Reitano: The anti-human smuggling business and Libya’s political end game. Institute for Security Studies (ISS): North Africa Report 2. December 2017.
[9] Italian coastguard staff break silence to express concern over government migrant policy. thelocal.it 20.07.2018.

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