21. Februar 2018 · Kommentare deaktiviert für „Spaniens Bürokratie treibt Flüchtlinge nach Deutschland“ · Kategorien: Deutschland, Spanien

Wirtschaftswoche | 20.02.2018

Nach 18 Monaten enden in Spanien alle Sozialleistungen für Flüchtlinge. Weil der Staat wenig in die Integration investiert, ziehen afrikanische Flüchtlinge zum großen Teil weiter nach Deutschland.

von Stefanie Claudia Müller 

Abgesehen von wenigen Ausnahmen zeichnet sich Spanien durch eine große Toleranz gegenüber Fremden aus. Aber Flüchtlinge aus Afrika sind dort trotz aller öffentlicher spanischer Bekundungen eher nicht willkommen. Wie eine gerade veröffentlichte Studie der Madrider Elite-Universität ICAI-Icade ergibt, sind diese auch nicht sehr daran interessiert, in dem Sonnenland zu bleiben. Spanien ist nur das erste europäische Land, das sie von Marokko aus mit dem Schlauchboot erreichen können. 31.000 Hilfesuchende kamen im vergangenen Jahr über Landweg oder Meer in Spanien an, nur ein paar Hunderte davon blieben wirklich im Land.

Die spanische Sozialversicherung hat gerade bekannt gegeben, dass die Zahl der ausländischen Versicherten im Januar um fast acht Prozent gestiegen ist. Allerdings geht dies vor allem auf Rumänen, Marokkaner, Chinesen, Italiener und Lateinamerikaner zurück. Die Zahl der versicherten aus Subsahara-Afrika ist kaum gestiegen – trotz der Hunderttausenden, die seit Jahren an Spaniens Südküste oder in den Exklaven in Nordafrika ankommen.

Die Gründe sind offensichtlich, auch wenn die Regierung versucht, diese zu vertuschen: “Nicht nur die Bürokratie ist schleppend in Spanien. Es gibt auch nur sehr wenige offizielle Residenzen und Familien, um die Hilfesuchenden unterzubringen. Gerade mal etwa 8700 Personen können versorgt werden. Die Bearbeitung eines Asylantrags dauert zudem durchschnittlich sieben Monate. Manchmal gibt es auch einfach gar keine Antwort von staatlicher Seite auf die Anträge. Die Flüchtlinge rutschen deswegen nicht selten in die Obdachlosigkeit und Illegalität ab“, beschwert sich Azucena Lorenzo Melero, Präsidentin der Hilfsorganisation Asilim in Madrid.

Tausende afrikanische Immigranten kommen derzeit über den Seeweg illegal ins Land, aber die spanische Regierung integriert diese Menschen nicht. Anders als in Deutschland gibt es nach maximal 18 Monaten keine Sozialhilfen mehr. Weil die meisten aber nicht arbeiten können, rutschen sie nicht selten in die Obdachlosigkeit ab. Das ist das Resultat der Studie der ICAI-Icade.

Die von den Jesuiten gegründete und geleitete Uni will das ändern und hat deswegen sogar einen eigenen Lehrstuhl für Flüchtlingspolitik eingerichtet: „Wir sehen das Thema Migration als eine der größten Zukunfts-Herausforderungen unsere Gesellschaft, auch aus finanzieller Sicht“, sag Juan Iglesias, Leiter des Lehrstuhls. In Spanien geht seiner Ansicht nach die Bearbeitung von Asylanträgen im internationalen Vergleich besonders schleppend voran. 41 Prozent der Anträge, die seit 2105 gestellt wurden, sind gemäß Regierungsangaben noch nicht bearbeitet.

Wer es sich leisten kann, geht nach Deutschland

Von den rund 16.000, die nach Angaben der spanischen Hilfsorganisation CEAR, im Jahr 2016 in Spanien Asyl angefragt haben (darunter unter anderem aus Venezuela 3960, aus Syrien  2975 und aus der Ukraine 2570), wurde nur 355 Menschen Asyl gewährt. 90 Prozent davon waren Syrer. Deren Notwendigkeit, vor dem Krieg zu flüchten, scheint niemand zu bestreiten. „Für Menschen aus Mauretanien, Mali oder der Elfenbeinküste ist es dagegen fast unmöglich, Asyl zu erlangen“, sagt  Lorenzo Melero.

Wer Geld auftreiben kann, sucht ein besseres Leben. Er verlässt Spanien über die nicht kontrollierten Schengen-Grenzübergänge nach Frankreich und schlägt sich von dort aus weiter durch nach Deutschland. „Einige kommen natürlich irgendwann wieder zurück, weil ihr Erstaufnahmeland Spanien ist und sie von Deutschland oder Schweden wieder zurückgeschickt werden“, erzählt Lorenzo Melero aus ihren Erfahrungen mit den Flüchtlingen in ihren Spanisch-Sprachkursen. Das gilt sogar für solche, die vielleicht schon Asyl haben und auch die spanische Staatsbürgerschaft, die sie nach fünf Jahren beantragen können: „Es gibt hier einfach zu wenig Infrastruktur für diese Menschen“, sagt Lorenzo Melero.

Es gibt kein Kindergeld und auch Sozialwohnungen nach deutschem Muster stehen den Immigranten nicht zur Verfügung. Kein Wunder, dass die meisten nach Deutschland wollen. Dort versuchen sie zu finden, was Spanien nicht bietet: eine schnellere Abwicklung der Asylanträge, eine schnellere Bestätigung der Ausbildungszeugnisse und einen funktionierenden Arbeitsmarkt. „20 Prozent der Flüchtlinge haben einen Ausbildungsabschluss, der aber leider oft in Spanien nicht anerkannt wird. Aber abgesehen davon gibt es auch zu wenige Chancen auf unserem Arbeitsmarkt, wo immer noch 16 Prozent der Menschen keinen Job haben“, sagt Iglesias von der ICAI-Icade. Auch viele einheimische spanische Akademiker suchen schon seit Jahren ihr Glück in Deutschland, weil sie in Spanien keine Arbeit finden.

In Integration wird nicht investiert

Iglesias kritisiert, dass diese bürokratischen Barrieren für die Immigranten nicht abgebaut werden und dadurch eine wirkliche Integration der Ausländer nicht möglich wird: „Das gilt auch für diejenigen, die schon viele Jahre hier sind. Die meisten wollen aber arbeiten, deswegen machen sie sich auf nach Deutschland, wo Fachkräfte gesucht werden. Wer sich nicht um die Integration von Ausländern kümmert, muss sich nicht über eine steigende Kriminalität auf den Straßen wundern“, mahnt der Uni-Professor. Der auch kritisiert, dass sich die spanische Regierung und die spanischen Medien zu wenig mit der Problematik befassen: „Sicher auch weil das Thema Katalonien derzeit die Nachrichten beherrscht“.

2018 wird eine große Herausforderung für Spanien

Für Spaniens Steuerzahler bedeutet der Weiterzug der Immigranten eine Entlastung. Zwar wendet die spanische Regierung mit monatlich 1000 Euro pro Flüchtling im ersten Jahr fast genauso viel auf wie Deutschland, die staatliche Begleitung dauert allerdings nur 18 Monate an. Danach sind die Menschen auf sich selbst gestellt. Der Staat zieht sich weitgehend zurück und Hilfsorganisationen wie UNHCR, Mensajeros de la Paz, Asilim, CEAR oder Caritas übernehmen die Versorgung der Obdachlosen. „Wir bieten in unserer Kirche Gratis-Essen an und versuchen auch, die Menschen irgendwie von der Straße zu holen“, erzählt Pater Ángel, Gründer der Mensajeros de Paz: „Wir schneiden ihnen auch gratis die Haare, pflegen die Füße. Sie können sich bei uns duschen und wir helfen ihnen bei administrativen Sachen.“

Das Hochkommissariat für Flüchtlinge der Vereinten Nationen (UNHCR) rechnet damit, dass Spanien in diesem Jahr eines der Hauptankunftsländer für Afrikaner sein wird und sich deren Zahl verdoppeln könnte. Für den in Barcelona lebenden Abuy Nfubea, afrikanischer Experte für Immigration und Buch-Autor, ist dieses wachsende Interesse an Europa normal: „Angesichts der enormen Korruption und Gewalt in vielen afrikanischen Ländern, teilweise auch mitverursacht durch deutsche und spanische Waffenlieferungen, wundert es nicht, dass diese Menschen sich in die Hände von Organisationen begeben, die ihnen den Weg nach Europa möglich machen. In den europäischen Medien wird es so dargestellt, dass diese Kriminelle sind. Aber: Sind das wirklich Mafiosi? Oder ist das einfach ein wirtschaftlicher Mechanismus von Nachfrage und Angebot?“

Die in Marokko liegenden spanischen Exklaven Ceuta und Melilla praktizieren zwar in einer gesetzlichen Grauzone die direkte Abschiebung (devolución en caliente) von afrikanischen Einwanderern, aber dennoch steigt auch hier der Druck. Zwischen Spanien und Marokko sowie Algerien gibt es ein Abkommen, das vorsieht, dass die Grenzen in beiden Ländern möglichst dichtgehalten werden und algerische oder marokkanische Einwanderer direkt in die Heimat deportiert werden können.

„Wir kennen den Kooperationsvertrag allerdings nicht genau. Es ist ungewöhnlich, dass viele Monate nichts passiert und jetzt wieder viele Menschen versuchen, über Ceuta und Melilla nach Spanien zu kommen“, sagt Iglesias. „Wir haben keines unserer Versprechen, was die internationale Flüchtlingspolitik betrifft, eingehalten. Nur 14 Prozent der von der EU auferlegten 17.000 Asylanten wurden bisher von Spanien aufgenommen – eine sehr traurige Bilanz“

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