23. Juni 2017 · Kommentare deaktiviert für „Schafft Athen illegal Türken aus?“ · Kategorien: Griechenland, Türkei · Tags:

NZZ | 23.06.2017

Griechische Sicherheitskräfte sollen politische Flüchtlinge aus der Türkei zurückgeschafft haben. Zuerst dementierte die Regierung, jetzt lässt sie die Vorwürfe doch untersuchen. Athen steht wegen des EU-Flüchtlingspakts mit der Türkei unter Druck.

von Markus Bernath, Athen

Das Grenzgebiet entlang des Flusses Evros in Nordgriechenland ist in diesen Wochen Schauplatz verzweifelter Fluchtversuche. Türkische Offiziere, entlassene Hochschullehrer und andere Staatsangestellte, die den Säuberungswellen im Land von Präsident Recep Tayyip Erdogan zum Opfer gefallen sind und von Prozessen bedroht sind, wollen sich über den Grenzfluss in die Freiheit retten, manche von ihnen in Begleitung ihrer Ehepartner und Kinder.

In wenigstens zwei Fällen sollen maskierte Angehörige der griechischen Sicherheitskräfte türkische Asylsuchende über den Evros zurückgebracht und am türkischen Ufer ausgesetzt haben. Das bedeutet einen Bruch der Flüchtlingskonvention. Zurück im eigenen Land, wurden die Flüchtlinge sogleich verhaftet. Die griechische Regierung habe die Vorwürfe sofort abgestritten, sagt Dimitris Christopoulos, der Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte. Sie habe sich nicht einmal die Zeit genommen, die Vorfälle zu untersuchen.

Wackliges Dementi

Griechische Behörden führten keine Rückschaffungen durch, hatte Regierungssprecher Dimitris Tzanakopoulos kategorisch erklärt. Vier Wochen nach der ersten der abgestrittenen, jedoch durch Zeugen dokumentierten Rückschaffungen ist sich die linke Regierung in Athen offenbar doch nicht mehr so sicher. Am Dienstag gab Migrationsminister Yiannis Mouzalas bekannt, eine Untersuchung sei eingeleitet worden.

Am 24. Mai war der Chefredaktor des türkischen Politikmagazins «Nokta», Murat Çapan, zusammen mit zwei Freunden über den Evros geflüchtet. Nach der Überquerung des Flusses tat er in einer griechischen Polizeiwache seinen Wunsch nach Asyl kund, doch wurde er anschliessend, so wird behauptet, an den Händen gefesselt wieder auf die türkische Seite zurückgebracht.

Çapan war wenige Tage zuvor von einem türkischen Gericht als angeblicher Terrorist und Mitglied der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen zu mehr als 22 Jahren Haft verurteilt worden. Dem ebenfalls verurteilten Co-Chefredaktor Cevheri Güven gelang dagegen mit Frau und Kindern die Flucht nach Griechenland. Am 2. Juni sollen griechische Sicherheitsleute eine weitere Gruppe von zehn türkischen Flüchtlingen, unter ihnen vier Kinder, mit Gewalt zurückgebracht haben.

Migranten als Druckmittel

Berichte über illegale Rückschaffungen von Flüchtlingen in Griechenland sind allerdings nicht neu. Derartige Vorfälle auf offener See wie zu Land wurden vor allem während der Regierungszeit des konservativen Ministerpräsidenten Antonis Samaras (von 2012 bis Anfang 2015) immer wieder von Menschenrechtsgruppen gemeldet. Seit dem Putschversuch in der Türkei im Vorjahr und dem umstrittenen Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und Ankara steht Griechenland derzeit aber besonders unter Druck.

Ein griechisches Höchstgericht hatte im vergangenen Januar die Auslieferung von acht türkischen Soldaten abgelehnt, die sich nach dem vereitelten Staatsstreich in der Türkei mit einem Helikopter nach Alexandroupolis in Nordgriechenland abgesetzt hatten. Die Abfuhr für die türkische Justiz hat das Verhältnis zwischen den beiden Ländern deutlich angespannt. Die Zahl der türkischen Kampfflugzeuge, die über griechische Inseln in der Ägäis donnern, nahm seither noch zu.

Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras pochte auf die Unabhängigkeit der Justiz, die zu respektieren sei, als sein türkischer Amtskollege Binali Yildirim zu Beginn dieser Woche in Athen zu Besuch weilte. Yildirims Entgegnung konnte man auch als Drohung verstehen. Putschisten sollte nicht erlaubt werden, den Beziehungen zwischen der Türkei und Griechenland zu schaden. Dass die Türkei wieder Tausende von Flüchtlingen täglich auf griechische Inseln fahren lässt wie auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015, ist Athens Schreckensszenario.

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