26. Januar 2017 · Kommentare deaktiviert für We need VAN · Kategorien: Italien · Tags:

Crowdfunding-Aufruf von „Campagne in lotta“

zur Finanzierung eines Kleinbusses, der als mobile Beratungsstelle und zur Unterstützung der Kämpfe von Migrant_innen in der Landarbeit (v.a. in Süditalien) dienen soll. Die Crowdfunding-Kampagne läuft noch bis Ende Januar: WE NEED VAN

Was ist WE NEED VAN!?

Die Kampagne WE NEED VAN soll den Kauf eines Kleintransportwagens für das Landarbeiter_innenkomitee und das Netzwerk „Campagne in Lotta“ (Italien) ermöglichen. Als mobile Beratungsstelle zu Fragen rund um Arbeit, Papiere, Wohnen und Gesundheit wird der Wagen in der Provinz Foggia (Apulien), in der Ebene von Rosarno (Kalabrien) sowie in den Gegenden um Neapel und Caserta (Kampanien) unterwegs sein, um Erntearbeiter_innen, die in diesen Gebieten – den Epizentren landwirtschaftlicher Produktion Italiens und Europas – ausgebeutet werden, zu unterstützen.

WE NEED YES ist eine Kampfparole, mit der die Landarbeiter_innen im vergangenen Jahr vor die Amtssitze von Entscheidungsträger_innen sowie zu den Arbeitgeber_innen gezogen sind, um ein „Ja“ zu ihren Forderungen nach Papieren, rechtmäßigen Verträgen, Wohnungen und Mobilität einzufordern.

Diese Kampagne ist getragen von der Stärke und Entschlossenheit der Landarbeiter_innen.


Was ist „Campagne in Lotta“?

Das Netzwerk „Campagne in Lotta“ ist ein Zusammenschluss von prekären Arbeiter_innen und Erwerbslosen, Migrant_innen und Italiener_innen, Einzelpersonen und organisierten Kollektiven. Es entstand mit dem Ziel, die Kämpfe in den verschiedenen Bereichen der industriellen Landwirtschaft Italiens zusammenzuführen und den Kampf gegen Ausbeutung zu unterstützen.

Unsere ersten gemeinsamen Erfahrungen haben wir im August 2011 gemacht, in unmittelbarer Folge auf die Revolte von Rosarno (Kalabrien) im Jänner 2010 und den Streik in Nardò (Apulien) im August 2011. Diese Kämpfe haben die extrem harten Arbeits- und Wohnverhältnisse, unter denen die Landarbeiter_innen leben mussten und müssen, ans Tageslicht gebracht – aber auch ihre Bereitschaft zu kämpfen. Die im August 2011 gestarteten Aktivitäten knüpfen an Erfahrungen vorangegangener Kämpfe an, allen voran an jene der Lagerarbeiter_innen im Logistiksektor. Ziel ist eine Neuorganisation solcher Kämpfe entlang der Produktions- und Vertriebsketten in der Agrarindustrie und darüber hinaus.

In den letzten Jahren ist der Kampf der Landarbeiter_innen sehr gut vorangekommen, er hat eine starke Ausbreitung von Klassenbewusstsein und Protagonismus der im Landarbeiter_innenkomitee organisierten Arbeiter_innen erfahren. Blockaden, Streiks, Demonstrationen sind die Früchte eines langen Prozesses, der an den Wohnorten von Landarbeiter_innen tagtäglich weitergeführt wird und einen Kampf ins Leben gerufen hat, der bereits wichtige Siege verzeichnen kann: beispielsweise mit der Blockade der größten Tomatenfabrik Europas oder der italienweiten Demonstration am vergangenen 12. November. Erst dadurch kam es zu einem Treffen mit dem Innenministerium, um Lösungen für die Forderungen der Arbeiter_innen zu finden. Und unser Kampf geht weiter.

Als Netzwerk haben wir im Laufe der Jahre in verschiedenen Regionen Aktivitäten aufgebaut und Interventionen durchgeführt, vor allem in der Capitanata (Apulien) und in der Ebene von Gioia Tauro (Kalabrien), aber auch in der Gegend um Saluzzo (Piemont), im Vulture-Gebiet bei Potenza (Basilikata) sowie von den Provinzen Napoli und Caserta (beide Kampanien) bis zur Ebene von Sibari (Kalabrien). Die Provinz Foggia (Apulien) ist eines der größten Zentren der Tomatenproduktion Italiens und Europas und der damit verbundenen Ausbeutung. In der Capitanata (Provinz Foggia, Apulien) werden 40% der Tomaten Italiens produziert.

Diese Produktion basiert zur Gänze auf Ausbeutung, Armut und Ausgrenzung, ohne die die Made-in-Italy-Tomate nicht existieren würde.

Die Erntearbeit liegt quasi komplett bei migrantischen Arbeiter_innen, die nie mehr als 3,50 Euro pro Gemüsegroßkiste für eine Arbeit unter katastrophalen Bedingungen erhalten und gezwungen sind in abgeschieden Barackensiedlungen ohne Wasser, ohne Sanitäranlagen, ohne Strom zu leben – oftmals auch ohne Aufenthaltspapiere, was zu Illegalisierung führt und die Arbeiter_innen noch leichter erpressbar macht.

Wild wachsende Niederlassungen, besetzte leerstehende Landhäuser oder auch Barackensiedlungen, die in unmittelbarer Nähe von institutionellen „Aufnahmezentren“ entstehen – bewohnt von Arbeiter_innen aus afrikanischen Ländern oder Osteuropa – sind eine Quelle für Low-Cost-Arbeitskräfte und als solche auch den Institutionen bestens vertraut. Deren einzige Vorschläge für Ausweichmöglichkeiten sind bislang nichts anderes gewesen als die Errichtung von Zeltstädten und Containersiedlungen; insofern nichts weiter als weitere Barackensiedlungen, gegen die sich die Arbeiter_innen konsequent quer gelegt haben. Die Wohnorte der Arbeiter_innen befinden sich weit auseinanderliegend und abgeschieden zwischen den Feldern, sodass alle – wie auch wir –, die sich für einen gemeinsamen Kampf mit den Arbeiter_innen engagieren, auf ein eigenes, unabhängiges und zweckmäßiges Fahrzeug angewiesen sind.

Ein Kleintransporter also! Vielmehr: eine Kleintransporterin! Die Geschichte von der gestohlenen Kleintransporterin …

Die Kleintransporterin war ein Campingbus, den eine Genossin aus dem Netzwerk „Campagne in lotta“ gekauft und für alle Interventionen in der Capitanata (Apulien), in Kalabrien und an allen anderen Orten, wo Landarbeiter_innen wohnen und kämpfen, zur Verfügung gestellt hat. Es war eine Kleintransporterin, eine Frau, weil sie so auf die Welt kam und entschieden hat eine zu sein, weil sie – abgesehen vom Kampf gegen Arbeitsausbeutung – auch den Kampf gegen Unterdrückung aufgrund des Geschlechts unterstützt hat.

Die Kleintransporterin hat Aktivist_innen und Arbeiter_innen mehrere Jahre lang von und zu den diversen Lebens- und Arbeitsorten gebracht, zu Versammlungen und Mobilisierungen, zu den Amtssitzen von Entscheidungsträger_innen, um dort Rechte zu beanspruchen, zu Krankenhäusern und anderen Versorgungs- und Pflegeorten. Sie hat Mobilität vereinfacht, sie hat Infomaterialien über die Rechte von Landarbeiter_innen und Sexarbeiter_innen sowie über die Rechtslage betreffend medizinische Versorgung und Aufenthaltspapiere transportiert.

Sie hat geplatzte Reifen erlebt, sich verbeult, staubig gemacht und verschiedenste Autowerkstätten Süditaliens besucht, aber sie ist immer wieder aufgestanden, um weiterzukämpfen.

So ging es bis die Kleintransporterin eines Morgens Ende Juni 2016 gestohlen wurde. Wie haben sie nie mehr wiedergefunden, und das hat eine große Lücke bei uns allen hinterlassen, aber vor allem hat uns das mit einem großen Problem zurückgelassen: Wie sollen wir uns in diesen verlassenen Gegenden bewegen, um die Arbeiter_innen zu erreichen und ihren Kampf zu unterstützen?

Aus all den genannten Gründen ist klar, dass die Kleintransporterin aus logistischer und organisatorischer Perspektive ein außerordentlich nützliches Verkehrsmittel ist. Sie ermöglicht es, die diversen Barackensiedlungen und andere Orte, an denen Arbeiter_innen leben, zu erreichen, Infomaterialien zu transportieren, weiterhin eine Beratungsstelle zu Arbeitsrechten, Aufenthaltspapieren, Fragen rund um Wohnen, Verkehrsmittel und Gesundheit anzubieten.

All das geschieht aus einem Blickwinkel abseits von Assistenzialismus und humanitärer Sorge, sondern in Hinblick darauf, Erfahrungen, Wissen und Praxen zu teilen, die Aktivist_innen und Arbeiter_innen miteinander austauschen, und voneinander zu lernen. Arbeiter_innen, die an entlegenen Orten leben, die Mobilität zu erleichtern und miteinander in Verbindung zu bringen, ermöglicht, dass sie sich treffen, gemeinsam an Versammlungen teilnehmen und sich für den Aufbau von Kampfpraktiken organisieren. Das ist der maßgebliche Beitrag, den die Kleintransporterin zur Arbeit des Landarbeiter_innenkomitees und des unterstützenden Netzwerks „Campagne in lotta“ leisten wird.

Unsererseits ist das ein Beitrag zum Abbau eines kleinen Stückchens an kapitalistischer Ausbeutung und zum Aufbau neuer Machtverhältnisse.

 

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