Quelle: Telepolis | 03.01.2017
Schweden gilt als das ideologische Ursprungsland einer Pro-Asyl-Politik, von der sich das Land immer weiter verabschiedet
Begonnen hat die offene Asylpolitik mit der im Radio übertragenen Weihnachtsansprache des damaligen Verkehrsminister Olof Palme im Jahr 1965, als er die Bevölkerung auf die moralische Verpflichtung einschwor, Menschen anderer Kulturen und Länder aus Gründen der Not und der Verfolgung aufzunehmen.
Im Jahre 2015 war das rot-grün regierte Schweden neben Deutschland das Land in Europa, das die meisten Asylsuchenden pro Kopf aufnahm, insgesamt waren es 162.000. Für das Jahr 2016 zog die Minderheitsregierung unter Stefan Löfven mittels Personenkontrollen an der Grenze und schärferen Bestimmungen die Notbremse und verzeichnete nur noch 30.000 Asylantragssteller. Doch wie geht es nun weiter? Welchen Weg wird die Regierungspolitik einschlagen, welchen die Opposition?
Das „Migrationsverket“, die schwedische Ausländerbehörde, geht mit der Prognose von 29.000 Menschen im kommenden Jahr von einem leichten Rückgang der Asylsuchenden aus. Der schwedische Premierminister Stefan Löfven erklärte das Jahr 2017 als „finanziell belastet“, denn die Flüchtlinge aus dem Jahr 2015 müssen noch versorgt werden.
Für die Migranten sollen 50.000 nicht näher erläuterte Bereitschaftsarbeitsplätze zur Verfügung gestellt werden. Allgemein sollen die Asylsuchenden nun besser überwacht werden und die Polizei mehr Ausweiskontrollen umsetzen, sowie Fingerabdrücke abnehmen.
Gleichzeitig wächst der Druck des Staates auf die Kommunen, mehr Menschen aufzunehmen. Ab dem ersten Januar gilt ein entsprechendes Gesetz. Ylava Johannsson, Ministerin für den Arbeitsmarkt, kündigte kürzlich Sanktionen an, sollten sich Gemeinden weigern, Flüchtlinge aufzunehmen. Diese Sanktionen, das Gesetz ist noch in Vorbereitung, sollte nicht finanzieller Art sein, denn sonst könnten sich die Kommunen freikaufen.
In diesem Jahr mussten in Schweden mit seinen rund 10 Millionen Einwohnern 70.000 Asylsuchende, die eine Aufenthaltsgenehmigung bekamen, untergebracht werden. Davon konnten sich die meisten eine Unterkunft selbst suchen, 21.702 wurden zugewiesen. Die schwedische Regierung will die Anzahl der Zuweisungen erhöhen, da es zu Ghettobildung komme. Generell lassen sich die Migranten dort nieder, wo schon viele ihrer Verwandten oder Landsleute leben.
In Schweden gibt es ein großes Ungleichgewicht, was die Verteilung von Flüchtlingen betrifft. Erst seit dem vergangenen März ist in Schweden ein Gesetz in Kraft getreten, das Kommunen zur Aufnahme verpflichtet. Doch einige Kommunen sperren sich, vor allem diejenigen, die von einem Bürgermeister geleitet werden, der den konservativen Moderaten angehört.
Vielleicht wird die relative Einigkeit, die zwischen den Allianzparteien (dem Bündnis der konservativ-liberalen Parteien, die von 2006 bis 2014 regierten) und der rotgrünen Regierung bezüglich der Flüchtlingspolitik bald zerbrechen wie die gemeinsame Front gegen die migrationsfeindlichen Schwedendemokraten.
So bedauern derzeit wichtige Politiker der Moderaten ein Abkommen von 2011 lautstark. Damals gingen die Moderaten als Regierende auf die Pro-Einwanderungsforderungen der oppositionellen schwedischen Grünen ein – um die aufsteigenden Schwedendemokraten zurück zu weisen, die Grünen gegenüber der konservativen Minderheitsregierung milde zu stimmen und als eventuellen Koalitionspartner für die nächsten Wahlen zu gewinnen. Mit dabei in der Abmachung waren mehr soziale Absicherungen für Einreisende ohne Papiere sowie allgemein eine Erleichterung der Familienzusammenführung von Asylsuchenden.
Mikael Sandström, ein enger Mitarbeiter des ehemaligen Regierungschefs Frederik Reinfeldt, hält nun dieser Regierung große Verfehlungen in Fragen der Einwanderungspolitik vor. Auch der ehemalige Finanzminister Anders Borg gab kürzlich zu, dass seine Partei zu großzügige Regelungen verantwortet hat, die nun das Land finanziell belasteten.
Die aktuelle Parteichefin der Moderaten, Anna Kinberg Batra, betrachtete Ende November ihre Schrift aus dem Jahr 2011 über die Freizügigkeit als „ideologisch“, wandte sich gegen die irreguläre Einwanderung und plädierte für eine souveräne Kontrolle der Landesgrenzen Schwedens.
Auch die Front gegen die rechtspopulistischen Schwedendemokraten (SD) scheint nun endgültig zu zerbröseln. Vor zwei Jahren wurde von den etablierten Parteien das sogenannte Dezemberabkommen beschlossen, das beinhaltet, nicht mit der SD im Parlament zusammenzuarbeiten, um die migrationsfeindlichen Partei als nicht wählbar hinzustellen. Gleichzeitig sollte die als Minderheit regierende Koalition nicht durch eine Opposition zusammen mit den Schwedendemokraten überstimmt werden.
Nun gibt es immer mehr Stimmen im konservativen Lager, sich von diesem Abkommen zu verabschieden. Vor allem die „Kristdemokrater“ betonen nun zum Jahresende, sich einen Premierminister der Allianz in einer Minderheitsregierung und mit Unterstützung der Schwedendemokraten vorstellen zu können. Zwar steht, sollte es nicht zur Neuwahl kommen, die nächste Parlamentswahl erst im Herbst 2018 an, aber das Signal ist von Bedeutung. Denn sollte die Regierung von Stefan Löfven schwierige Entscheidungen zu Migrationsfragen im kommenden Jahr treffen, so ist nicht unbedingt mit der Zurückhaltung der konservativen Allianz zu rechnen.
Den Schwedendemokraten mangelt es trotz einiger antisemitischer Aussetzer nach Umfragen nicht an Unterstützern. 20,6 Prozent wollten der Partei eine Stimme geben, so die Umfrage der Zeitung Aftonbladet von Mitte Dezember, die traditionell eher den Sozialdemokraten zugeneigt ist. Die Partei macht sich nun über die Konservativen lustig, die immer noch mit der Regierung kooperieren.
Sollte es zum Thema Flüchtlingspolitik zu einer Krise kommen, so kann sich die rotgrüne Minderheitsregierung nicht mehr auf das konservative Lager verlassen.