27. Juli 2016 · Kommentare deaktiviert für „Serbien: Endstation Niemandsland“ · Kategorien: Balkanroute, Bulgarien, Serbien, Ungarn

Quelle: Süddeutsche Zeitung

An der serbisch-ungarischen Grenze bei Horgoš stranden immer mehr Flüchtlinge, denen der Weg in die EU versperrt bleibt.

Von Nadia Pantel

Die Menschen am Zaun von Horgoš können weder vor noch zurück. In welche Richtung sie sich auch wenden, treffen sie auf Außengrenzen der Europäischen Union. Ungarn im Norden, Rumänien und Bulgarien im Osten, Kroatien im Westen. Und das Land, in dem sie gerade feststecken? Serbien – das so zum Sammelbecken für Flüchtlinge wird, die nicht mehr weiterkommen. Ungefähr 1300 Menschen harren nach Zählungen des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen im Niemandsland zwischen Serbien und Ungarn aus. Mehr als 60 Prozent von ihnen sind alleinreisende Männer aus Afghanistan, darunter viele Minderjährige, mehr als 20 Prozent sind Frauen und Kinder aus Syrien. Auch Iraker, Iraner und Pakistaner leben in dem improvisierten Lager. Das staatliche serbische Flüchtlingslager an der Grenze ist völlig überfüllt.

„Es wäre gut, wenn alle EU-Staaten, die für die Menschen Transitländer sind, eine gemeinsame Politik verfolgen würden,“ sagte der serbische Sozialminister Aleksandar Vulin am Montagabend dem Nachrichtenportal B 92. Serbien könne nicht zum Auffanglager „für Afghanen und Pakistanis werden, die in der EU kein Bleiberecht“ hätten.

Die Situation an der Grenze zu Ungarn verschärft sich seit dem 5. Juli kontinuierlich. An diesem Tag trat in Ungarn eine neue Regelung in Kraft, die es den Grenzpolizisten erlaubt, Migranten, die bis zu acht Kilometer von der Landesgrenze entfernt aufgegriffen werden, direkt nach Serbien zurückzuschicken. Allein am vergangenen Wochenende transportierte die ungarische Regierung nach eigenen Angaben 217 Menschen zurück nach Serbien.

Ärzte ohne Grenzen (MSF) berichtet, dass diese Ausweisung aus Ungarn oft gewaltsam geschieht. „In den vergangenen Monaten erzählt eine steigende Zahl unserer Patienten von Misshandlungen durch ungarische Beamte“, sagt Simon Burroughs, Leiter der MSF-Mission in Serbien. „Migranten werden zunehmend wie Kriminelle behandelt.“ Zurück auf der serbischen Seite der Grenze sind Hygiene und Versorgung das zentrale Problem. Es gibt kaum Toiletten und keine Duschen. Freiwillige aus verschiedenen europäischen Ländern bemühen sich gemeinsam mit Hilfsorganisationen um die Versorgung der Gestrandeten. Doch gerade Kleinkinder leiden unter Mangelernährung. Eine Situation, die an das aufgelöste Lager im griechischen Idomeni erinnert.

Aus Protest gegen ihre Situation traten am Freitag in Belgrad mehr als 140 Geflüchtete in einen Hungerstreik und marschierten anschließend gemeinsam zur ungarischen Grenze. Sie fordern die Möglichkeit, in der Europäischen Union einen Asylantrag zu stellen. Serbien hatte die Menschen aus Afghanistan, Syrien, Pakistan und dem Irak, die in der Nähe des Bahnhofes campierten, lange toleriert. Am Freitag begann die Stadt Belgrad den Park umzupflügen, in dem die Migranten zelteten.

Die Balkan-Route gilt offiziell als geschlossen. Unüberwindbar sind die Grenzen aber nicht

Seit März gilt die Balkanroute, über die im vergangen Jahr eine Million Menschen Deutschland erreichten, offiziell als geschlossen. Doch die Internationale Organisation für Migration zählte allein in der Woche vom 17. bis zum 24. Juli 513 Flüchtlinge, die von der Türkei nach Bulgarien einreisten. Die meisten dieser Menschen kamen aus Syrien und Afghanistan. Nach Bulgarien ist ihr nächstes Ziel Serbien. Viele der Flüchtenden werden in Bulgarien jedoch zunächst festgesetzt. Bulgariens Regierungschef Bojko Borissow sagte am Montag, dass täglich bis zu 200 Migranten in seinem Land festgenommen würden. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International berichten seit mehr als einem Jahr darüber, dass Flüchtlinge in bulgarischen Gefängnissen häufig misshandelt werden.

Die zentrale Methode des bulgarischen Umgangs mit Geflüchteten ist es, möglichst wenige von ihnen ins Land zu lassen. Seine 270 Kilometer lange Grenze zur Türkei hat das Balkanland auf 160 Kilometern mit einem Zaun versehen. Als Reaktion auf den Putschversuch in der Türkei und die erwartete Instabilität im Nachbarland will Bulgarien nun seine Militärpräsenz an der Grenze weiter verstärken. Die Türkei hat gut 2,7 Millionen Syrer aufgenommen, die vor dem Bürgerkrieg in ihrem Land geflohen sind. Die Lebensbedingungen für viele Syrer sind in der Türkei so schlecht, dass sie auf eine Weiterreise in die EU hoffen. Trotz des sogenannten Türkei-Deals, der Ankara dafür belohnt, dass Flüchtlinge an der Überquerung des Mittelmeeres gehindert werden, sind allein im April 18 Menschen bei dem Versuch ertrunken, per Boot von der Türkei auf die griechischen Inseln überzusetzen.

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