Quelle: NZZ
Ungarn schiebt illegal über die Grenze gelangte Migranten nach Serbien zurück. Dabei verzichtet Budapest auf jede Koordination mit Belgrad.
von Andreas Ernst
Seit Ungarn ein neues Regime an seiner Südgrenze aufgezogen hat, verschlechtert sich die humanitäre Lage auf dem serbischen Abschnitt der Balkanroute – die es nach EU-Sprachregelung eigentlich gar nicht mehr gibt. Am 5. Juli hat Budapest eine Verstärkung von Grenzpolizei- und Armeetruppen angekündigt, die Überwachung der 175 Kilometer langen, stacheldrahtbewehrten Schengen-Aussengrenze wurde verschärft. Wer in einem acht Kilometer breiten Streifen ohne Legitimation aufgegriffen wird, wird ausgeschafft.
Gestrandet im Grenzstreifen
Der Chef des Uno-Flüchtlingshilfswerks in Serbien, Hans Friedrich Schodder, spricht von täglich etwa hundert «push-backs», also Abschiebungen. Sie werden ohne Absprache mit der serbischen Seite vollzogen. Nach Aussagen von Betroffenen werden auf diesem Weg auch Flüchtlinge aus dem Landesinnern nach Serbien abgeschoben.
An der Grenze bei Horgos und Kelebija lagern auf serbischer Seite etwa 1100 Personen in Zelten und warten auf eine Gelegenheit zum Grenzübertritt. Die hygienischen Verhältnisse sind miserabel und bleiben es. Die legale Einreise nach Ungarn ist fast unmöglich: Die Ungarn führen zwar Asyl-Schnellverfahren in einer sogenannten «Transitzone» am Stacheldraht durch. Nach verschiedenen Berichten werden aber höchstens ein paar Dutzend Gesuche pro Tag bearbeitet.
Steigende Zahlen
Kurz nach der Schliessung der Balkanroute im März hielten sich im serbischen Abschnitt durchschnittlich nur noch etwa 900 Personen auf. Seit einem Monat ist diese Zahl fast um das Dreifache auf 2600 Personen gestiegen. Sie wird dank dem neuen ungarischen Grenzregime wohl weiter zunehmen. Während die Lage an der serbischen Nordgrenze prekär ist, sind die Kapazitäten zur Unterbringung im Land noch nicht ausgeschöpft, wie das staatliche Kommissariat für Flüchtlinge mitteilt. Ein Brennpunkt ist wie immer Belgrad. Die Stadt ist Verkehrsknoten,
Informationsdrehscheibe und Marktplatz für Schlepper.
Die von Hilfswerken angebotene Unterstützung in Belgrad wird vom Ansturm der Flüchtlinge periodisch überfordert. Einwohner reklamieren vermehrt über die Dauerpräsenz von Fremden in ihren Strassen. Insgesamt begegnet die Öffentlichkeit den Ankömmlingen aber immer noch gelassen und zum Teil mitfühlend, auch weil man weiss, dass diese Besucher eigentlich nicht gekommen sind, um zu bleiben.
Obwohl verschiedene Minister die einseitigen Massnahmen der ungarischen Behörde scharf kritisieren, ist ein formeller Protest Belgrads bisher ausgeblieben. Doch die zunehmend labile Lage in Serbien zeigt klar, dass auch die seit März geltende Abwehrpolitik gegen Flüchtlinge zwischenstaatlich koordiniert werden muss, wenn neue Konflikte vermieden werden sollen.