06. Juli 2016 · Kommentare deaktiviert für „Ein Hotel für Flüchtlinge – griechische Hausbesetzer als Krisenhelfer“ · Kategorien: Griechenland · Tags:

Quelle: Qantara

Mitten in Athen übernehmen Hausbesetzer ein Hotel. Syrer, Iraker, Iraner und Afghanen ziehen ein. Sie wollen in der Flüchtlingskrise ein Vorbild sein.

Von Mey Dudin

Auf der Straße sind Kinder zu hören. «City Plaza, City Plaza, City Plaza», rufen etwa ein Dutzend Jungen und Mädchen, die gerade um die Ecke kommen, jedes Kind eine Tüte mit dem bunten Logo eines großen Spielzeugladens in der Hand. Eine große, blonde Dänin, die zwei Monate nach Griechenland gekommen ist, um den dort gelandeten Flüchtlingen zu helfen, führt ihre Schützlinge zurück in ihr vorübergehendes Heim.

Das wuchtige Gebäude im Zentrum von Athen, ein ehemaliges Hotel, hatte sieben Jahre leer gestanden, als politische Gruppen und Flüchtlingsinitiative sich im April zusammentaten und es besetzten. Es habe sich bestens für das geplante Vorhaben geeignet, sagt Nassim Lomani, Mitinitiator des Projekts. Die Zimmer seien möbliert gewesen, die Küche zum Kochen für viele Leute ausgerüstet.

Heute leben dort rund 400 Menschen aus Syrien, Afghanistan, dem Irak oder dem Iran, die gemeinsam mit den Besetzern ihren Alltag organisieren – völlig unabhängig von staatlichen Behörden. Viele wollen in andere europäische Länder weiterziehen, manche richten sich aber auch darauf ein, in Griechenland zu bleiben.

Als «das beste Hotel Europas» wird das Athener «City Plaza» mit seinen 120 Zimmern derzeit von Flüchtlingsorganisationen auf Spendenaufrufen beworben. Bislang gibt es in Griechenland sieben besetzte Häuser, die nach demselben Prinzip funktionieren – sechs in Athen und eines in Thessaloniki. Es sind vor allem öffentliche Gebäude, darunter auch ehemalige Schulen. Der griechische Staat – wegen der Wirtschaftskrise selbst überfordert mit der Aufgabe, die rund 60.000 Flüchtlinge im Land zu versorgen – duldet es.

Idee sei es gewesen, ein Gegenmodell zu den staatlichen Flüchtlingscamps zu präsentieren, sagt Nassim Lomani, der selbst afghanische Wurzeln hat und vor 16 Jahren nach Athen kam. «Und wir wollen die Flüchtlingskrise sichtbar machen.» Er kritisiert die offiziellen Lager, die oft an abgelegenen Orten seien, ohne ausreichende Waschgelegenheiten, ohne Sicherheit, ohne Privatsphäre. Die Camps würden abgeschottet, freiwillige Helfer müssten sich zunächst registrieren lassen, um dort überhaupt mitarbeiten zu dürfen.

In den besetzten Häusern darf sich jeder engagieren. Wer darin leben will, muss sich aber an einige Regeln halten: Alkohol und Drogen sind nicht erlaubt, Gewalt, Rassismus und Sexismus werden nicht geduldet. Verstößt jemand dagegen, muss er gehen.

Um die Versorgung kümmern sich rund hundert Aktivisten überwiegend aus dem Athener Stadtteil Exarchia, bekannt für seine Künstler und Anarchisten. Hier werden Lebensmittel gesammelt, Medikamente und Dinge für den täglichen Gebrauch. Soziale Zentren bieten in kleinen Klassenräumen Sprachkurse kostenlos an – Griechisch, Englisch und manchmal auch Deutsch.

Es gibt Demonstrationen und Solidaritätskonzerte. Anwälte und Mediziner kommen regelmäßig vorbei, für Beratungsstunden und Untersuchungen. «Wir wollen, dass alle Flüchtlinge Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem haben sowie zum Asylverfahren», sagt Nassim Lomani. In Sachen Bildung erzielten die Flüchtlingshäuser jüngst einen Erfolg: Einige lokale Schulen lassen nun Flüchtlingskinder am Unterricht teilnehmen.

Hinter der Rezeption im Erdgeschoss führt eine Treppe nach oben zum Speisesaal und zum Café des ehemaligen Hotels. Die Aufzüge stehen still. Der angezapfte Strom der städtischen Versorgungsleitungen reicht dafür nicht aus. Im Speisesaal ist gerade nichts los. Es ist früher Nachmittag und die Stühle sind ordentlich auf die Tische gestellt, bis am Abend wieder die Essensausgabe ansteht.

Im Café nebenan steht hinter einem Tresen eine junge Deutsch-Ägypterin mit dunklen Locken und Nasenring, die zwei neue angekommene freiwillige Helfer einweist. Sie selbst will zwei Monate mithelfen und wohnt in der Zeit auch im Hotel. «Die Selbstverwaltung funktioniert gut, eigentlich brauchen die Leute uns hier gar nicht», sagt sie. «Wir sind hier eher aus Gründen der Solidarität.» (epd)

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siehe auch: taz

Selbsthilfe in Griechenland: Ein Hotel nur für Flüchtlinge

Seit dem 22. April ist das ehemalige City Plaza Hotel in Athen von Anarchisten besetzt. 400 Menschen aus aller Welt dient es nun als Unterkunft.

von Elena Beis

ATHEN taz | „Auf unserer Reise haben wir viel über das Leben gelernt“, sagt die 24-jährige Nour Tamin. Ihre Wortwahl ist so schlicht wie ihr Auftreten. Mit der „Reise“ meint sie ihre Flucht aus Jarmuk bei Damaskus, das palästinensische Lager, das UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon als „tiefste Hölle im syrischen Horror“ bezeichnete, bis hierher ins City Plaza Hotel in Athen mit seiner ausgelassenen Atmosphäre. Das City Plaza ist ein vor zwei Monaten von griechischen Anarchisten besetztes Hotel, das seitdem als autonome Flüchtlingsunterkunft geführt wird.

Nour spricht leise, während gefühlt 185 Kinder – so viele leben tatsächlich hier – um sie herum toben: „Ich habe Maschinenbau studiert, aber in meiner Universität sind ständig Bomben eingeschlagen.“ Schließlich sei sie mit ihrer Mutter, ihrer Schwägerin und deren Kindern geflohen. „Sechs Mal sind wir bis zur Grenze gekommen, aber die Polizei hat uns mit Gewehren bedroht und zurückgeschickt“, erzählt Nour. Das siebte Mal hatten sie Glück.

Um nach Griechenland zu gelangen, hätten sie 1.700 Dollar pro Person an Schlepper gezahlt: „Das Boot füllte sich mit Wasser und die Schlepper hatten unsere Westen geklaut.“ Die Küstenwache habe sie gerettet. „Doch das Härteste war: hier anzukommen und nichts vorzufinden.“

Auf Umwegen hat die Familie vom City Plaza gehört, vor einem Monat sind sie eingezogen: „Wir fühlen uns hier endlich sicher.“ Neben Nour sitzt ihre Mutter am Tisch und hilft ihrem Neffen in einen Spiderman-Anzug, den sie aus der Kleiderkammer des City Plaza von „Solidarys“ – so nennen sich die Aktivisten und freiwilligen Helfer – ergattert hat. Sein Freund präsentiert einen neuen Haarschnitt, den er im improvisierten „Barbershop“ im Eingangsbereich des Hotels bekommen hat.
Nothilfe trotz Krise

Im Café herrscht ein Stimmengewirr aus Griechisch, Arabisch, Englisch und Farsi. Die 27-jährige Lina Theodorou, eine der Aktivistinnen der „Solidaritätsinitiative für Flüchtlinge“, die das 2010 in Konkurs gegangene und seitdem ungenutzte City Plaza besetzt hat, sagt: „Als die Grenzen geschlossen wurden, wollten wir ein Exempel statuieren und zeigen, dass man trotz Krise Menschen in Not versorgen kann. Wir wussten, dass dieses Hotel das notwendige Inventar wie Betten und Küchenausstattung hat.“ Also haben sie am 22. April das Hotel besetzt und für Flüchtlinge geöffnet.

Seit der Grenzschließung sind 55.000 Flüchtlinge in Griechenland gestrandet, laut UNHCR sind 60 Prozent davon Frauen und Kinder. Die staatlichen Flüchtlingslager sind überbesetzt, die Unterkünfte bestehen meist aus Zelten. Oft gibt es nur gut zehn Bäder für mehrere hundert Einwohner und nur unzureichendes Essen.

Im City Plaza leben nun 400 Menschen aus Syrien, Afghanistan, Iran, Irak, Pakistan, Palästina sowie Kurden. Die Gruppen seien anfangs unter sich geblieben, so Lina. Denn in den staatlichen Lagern wurden einige Nationalitäten benachteiligt. „Bei uns wird jeder gleich behandelt. Und das gemeinsame Arbeiten führt dazu, dass Menschen sich näherkommen.“ Alle essen zusammen im Speiseraum, und sich abwechselnde Köche bereiten jeden Tag Frühstück und 900 warme Mahlzeiten zu.
Keine offizielle Unterstützung

An den Wänden der Lobby hängen neben Putz- und Kochplänen auch Kurspläne. Solidarys geben Sprachkurse in Griechisch, Englisch, Arabisch und Farsi. Da viele Bewohner noch kein Englisch sprechen, läuft viel Kommunikation über die Übersetzer. Rabee Abotara, 25, aus Damaskus, ist einer von ihnen – und den ganzen Tag auf Achse. Soeben übersetzte er in der „Klinik“, einen zum Behandlungszimmer umfunktionierten Raum für die Kinderärztin, jetzt kommt der syrische Koch auf ihn zu: Die Familie, die heute mithelfen sollte, sei nicht gekommen. „Jeden Tag müssen einige Zimmer putzen, andere kochen“, erklärt Rabee. Wer sich nicht daran halte, müsse das Hotel verlassen.

Im Gegensatz zu den meisten hier ist Rabee als Flüchtling registriert. Mittlerweile können sich Flüchtlinge nur noch an bestimmten Tagen über Skype registrieren. Eine nervenzehrende Prozedur, die Monate dauern kann. Umso wichtiger ist es, dass sie in dieser Zeit unter menschenwürdigen Bedingungen leben.

In der Lobby werden jetzt Tische und Sofas verschoben. Gleich beginnt eine Versammlung, auf der Bewohner und ­Solidarys das Zusammenleben und politische Aktionen planen. Das City Plaza bekommt weder vom Staat noch von NGOs finanzielle Hilfe. Alles wird durch individuelle Spenden gedeckt. Doch trotz Krise teilt man hier. Statt Menschen in Not in Camps an den Rand der Gesellschaft zu verbannen, werden sie hier in das Herz der Stadt integriert. „Ich habe so viel gelernt“, sagt Lina, „offener sein, besser zu­hören – und was gelebte ­Solidarität ist.“

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