18. Februar 2016 · Kommentare deaktiviert für „Die Ära der Mauern“ · Kategorien: Deutschland, Europa, Österreich · Tags: , , ,

Quelle: German Foreign Policy

BERLIN (Eigener Bericht) – Vor dem heute beginnenden EU-Gipfel treiben Deutschland und mehrere weitere EU-Staaten verschiedene Pläne zur Hochrüstung der Grenzen in Europa voran. Berlin setzt vorrangig auf die Abriegelung der griechisch-türkischen Seegrenze und will dazu unter anderem deutsche Polizisten an die türkische Küste entsenden. Ziel ist es, bei der Flüchtlingsabwehr den Schengen-Raum unangetastet zu lassen; darauf besteht die deutsche Wirtschaft, die bei einer dauerhaften Wiedereinführung von Grenzkontrollen ökonomische Einbußen und womöglich sogar Rückgänge bei ihren lukrativen Exporten fürchtet. Österreich und die ost- und südosteuropäischen EU-Staaten hingegen haben begonnen, ihre eigenen Grenzen stärker zu befestigen, und schließen die Abriegelung der griechischen Nordgrenze nicht aus. Auf der sogenannten Balkanroute ist in diesen Tagen eine erste Rückschiebung meist afghanischer Kriegsflüchtlinge im großen Stil vollzogen worden. Zugleich schlägt sich die Hinwendung zu neuer Grenzhochrüstung in Europa in einer aufsehenerregenden Entscheidung des Airbus-Konzerns nieder: Das deutsch-französische Unternehmen revidiert seine Pläne zum Verkauf seiner Rüstungselektronik-Sparte und behält das Geschäft mit der Grenzabschottung. Man rechne sich, heißt es, attraktive neue Profitchancen aus.

Standortvorteil Schengen

Hauptziel der Bundesregierung ist es nach wie vor, die Abschottung gegen Flüchtlinge umfassend an den griechischen Außengrenzen vorzunehmen. Dies würde es ermöglichen, den Schengen-Raum unangetastet zu lassen. Letzteres fordert vor allem die deutsche Wirtschaft.[1] Anlässlich des heute beginnenden EU-Gipfels haben sich mehrere Verbandsfunktionäre zum wiederholten Mal zu Wort gemeldet. So weist BDI-Präsident Ulrich Grillo darauf hin, dass „unsere Wertschöpfungsketten und die grenzüberschreitende Just-in-time-Produktion“ lediglich „mit einer verlässlichen Logistik“ ohne Zeitverzögerung durch Grenzkontrollen funktionierten. Jeden Tag würden „knapp eine Million Tonnen an Gütern per LKW über die Grenze von und nach Deutschland transportiert“; „300.000 Tonnen auf der Schiene“ kämen hinzu. Dauerhafte Grenzkontrollen könnten leicht zu „Zusatzkosten von zehn Milliarden Euro“ führen, schätzt DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben. Mit Blick darauf, dass die Bundesrepublik ihren Reichtum in hohem Maß durch ihre Exporte und ihre exzessiven Exportüberschüsse erzielt [2], die unter einer etwaigen Verteuerung der Transporte leiden könnten, äußert der Vorstandsvorsitzende des Vereins „Die Führungskräfte“, Ulrich Goldschmidt: „Gerade eine Exportnation wie Deutschland ist auf dauerhaft offene Grenzen angewiesen.“ Schengen sei „ein Standortvorteil, den es zu verteidigen gilt“.[3]

NATO-Einsatz in der Ägäis

Um Schengen zu erhalten, hat Berlin zunächst das Abkommen zwischen der EU und der Türkei forciert, das am 29. November unterzeichnet wurde. Es läuft darauf hinaus, dass Ankara die griechisch-türkische Seegrenze komplett abriegelt und Flüchtlinge, denen es dennoch gelingt, sie zu überwinden, zurücknimmt, sofern die EU im Gegenzug 250.000 Flüchtlinge pro Jahr aus der Türkei einreisen lässt und die Versorgung von Flüchtlingen in der Türkei mit mehreren Milliarden Euro unterstützt. Zur Zeit bemüht sich die Bundesregierung vor allem darum, die Abriegelung der Seegrenze durchzusetzen. Als Hauptschwierigkeit gilt dabei, dass die türkischen Behörden seit geraumer Zeit die Massenausreise von Flüchtlingen faktisch tolerieren, um den politischen Druck auf Brüssel zu erhöhen. Aus Sicht Berlins geht es deshalb nun darum, Ankara zur Kooperation zu zwingen. Diesem Ziel dient der Einsatz von NATO-Kriegsschiffen in der Ägäis, den die NATO-Verteidigungsminister am vergangenen Donnerstag auf deutsche Initiative beschlossen haben. Die NATO wird Daten über das gesamte Fluchtgeschehen in der Ägäis sammeln und sie umgehend an die griechischen und die türkischen Behörden weiterleiten. Uninformiertheit wird Ankara dann nicht mehr vorschützen können, um mangelnde Maßnahmen zur Flüchtlingsabwehr zu begründen.

Deutsche Polizisten an türkischen Stränden

Demselben Ziel dienen Schritte, auf die sich die Innenministerien Deutschlands und der Türkei in langwierigen Verhandlungen am Montag und Dienstag dieser Woche geeinigt haben. Dabei geht es laut Auskunft des Bundesinnenministeriums um Maßnahmen in den Bereichen „Migration, grenzpolizeiliche Zusammenarbeit sowie Schleusungs- und Terrorismusbekämpfung“. Detaillierte Angaben macht das Ministerium nicht.[4] Berichten zufolge konnte die Berliner Verhandlungsdelegation unter Leitung der Staatssekretärin im Innenministerium Emily Haber der türkischen Seite allerdings nicht nur Zugeständnisse in puncto Rücknahme der Flüchtlinge abtrotzen, sondern auch die Erlaubnis, deutsche Polizisten in Zukunft gemeinsam mit türkischen Kollegen an der türkischen Küste auf Streife zu schicken. Auch dies soll Ankara das Druckmittel nehmen, Flüchtlinge bei Bedarf in Massen zu übersehen und sie in die EU ausreisen zu lassen. Die Zustimmung zu der Maßnahme ist der türkischen Regierung leichter gefallen, nachdem Kanzlerin Merkel sich am Montag, dem ersten Tag der Verhandlungen, für eine Flugverbotszone über Syrien ausgesprochen und damit eine alte Forderung der Türkei erfüllt hat. Am gestrigen Mittwoch hat Merkel ihre Zustimmung zu der Flugverbotszone wiederholt. Am heutigen Donnerstag werden die Staats- und Regierungschefs mehrerer EU-Staaten vor dem Gipfel mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu zusammentreffen, um weitere Details festzuklopfen.

Plan B

Allerdings bleibt zweierlei unklar: zum einen, ob die Flüchtlingsabwehr angesichts der Länge der türkischen Küste im gewünschten Maß wirksam sein kann; zum anderen, ob sich mit Ankara angesichts der politischen Unwägbarkeiten in Nah- und Mittelost ein auf Dauer verlässlicher Deal schließen lässt. Deswegen treiben Österreich und die EU-Staaten Ost- und Südosteuropas weiterhin einen „Plan B“ voran. Er besteht schlicht darin, die nationalen Grenzen wieder zu befestigen und insbesondere die Nordgrenze Griechenlands von Bulgarien wie auch von dem Nicht-EU-Staat Mazedonien aus mit aller Macht hochzurüsten (german-foreign-policy.com berichtete [5]). Österreich verschärft seine Kontrollen an insgesamt 13 Grenzübergängen und bereitet sich auf die gewaltsame Abwehr verzweifelter Flüchtlinge vor.[6] Zudem werden ab Freitag höchstens 3.200 Flüchtlinge am Tag ins Land gelassen und maximal 80 Asylanträge täglich akzeptiert. Die Länder der Visegrad-Gruppe [7] kamen am Montag überein, für den Fall, dass die Abriegelung der griechisch-türkischen Grenze scheitert, Mazedonien bei der Hochrüstung seiner Grenze zu Griechenland noch intensiver als bisher zu unterstützen. Auf der sogenannten Balkanroute sind jetzt erstmals Flüchtlinge in größerer Zahl zurückgeschoben worden: Slowenien hat in diesen Tagen 217 meist afghanische Flüchtlinge an Kroatien überstellt, das sie wiederum nach Serbien abtransportierte. Serbien hat seinerseits angekündigt, seine Grenzen definitiv zu schließen, sollte es nicht mehr möglich sein, Flüchtlinge in Richtung Westeuropa ausreisen zu lassen.

Abschottungsprofiteur

Die neue Ära der Grenzhochrüstung hat, wie gestern bekannt wurde, den Airbus-Konzern zu einer aufsehenerregenden Kurskorrektur veranlasst. Das deutsch-französische Unternehmen wird nicht, wie zunächst geplant, seine komplette Rüstungselektronik-Sparte veräußern, sondern nur die Produktion von Radarsystemen für Kriegsflieger und von Zielerfassungsgeräten für Panzer und U-Boote abstoßen. Im Konzern verbleiben soll dagegen das Grenzhochrüstungs-Geschäft. Airbus hat in den vergangenen Jahren die rund 9.000 Kilometer lange Außengrenze Saudi-Arabiens abgeriegelt und die Grenzen Rumäniens und Algeriens abgeschottet. Die Firmenpalette umfasst, wie es in einem Bericht heißt, unter anderem „die Lieferung von biometrischen Einreisekontrollen, die Installation von Radarsystemen und elektronischen Kameras oder auch den Aufbau von Kontrollzentren, die sämtliche Daten von den Außenstationen speichern und auswerten“.[8] Airbus hält damit bereit, was die EU und ihre Mitgliedstaaten zu benötigen meinen, um sich gegen die Massenflucht aus den Ländern Afrikas und Asiens abzuschotten, die der Westen ökonomisch und militärisch in den Ruin getrieben hat.[9] Der Konzern kann mit ansehnlichen Profiten rechnen.

Mehr zum Thema: Die Grenzen der EU, Der innere und der äußere Ring und NATO-Einsatz gegen Flüchtlinge.

[1] S. dazu In der Zerreißprobe.
[2] S. dazu Billionenschwere Allzeitrekorde.
[3] Schengen retten – Europa zusammenhalten. www.netzwerk-ebd.de 16.02.2016.
[4] Deutschland und Türkei vertiefen bilaterale Zusammenarbeit. www.bmi.bund.de 16.02.2016.
[5] S. dazu Der innere und der äußere Ring.
[6] Gerald John, Colette M. Schmidt: Schärfere Kontrollen an 13 Grenzübergängen in Österreich. derstandard.at 16.02.2016.
[7] Der Visegrad-Gruppe gehören Polen, die Slowakei, Tschechien und Ungarn an.
[8] Ulrich Friese: Airbus will künftig die Grenzen Europas sichern. www.faz.net 17.02.2016.
[9] S. dazu Auf die Flucht getrieben (I), Auf die Flucht getrieben (II), Auf die Flucht getrieben (III) und Auf die Flucht getrieben (IV).

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