22. Januar 2016 · Kommentare deaktiviert für „Libyen-Mission mit Hintergedanken?“ · Kategorien: Deutschland, Libyen · Tags:

Quelle: DW

Deutschland erwägt eine Militärmission in Libyen, um eine mögliche Regierung der nationalen Einheit zu unterstützen. Doch die gibt es noch gar nicht. Kritiker glauben, in Wahrheit gehe es um die Abwehr von Migranten

Die Oppositionpartei Die Linke spricht von einem „schmutzigen Deal“. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hatte von der Möglichkeit gesprochen, dass Deutschland Soldaten nach Libyen entsendet, um eine mögliche künftige Einheitsregierung in dem zerrissenen Land zu unterstützen.

„Deutschland wird sich nicht der Verantwortung entziehen können, dabei einen Beitrag zu leisten“, sagte von der Leyen der „Bild“-Zeitung. Sollte es in Libyen eine Einheitsregierung geben, werde diese „schnell Hilfe benötigen, Recht und Ordnung in diesem riesigen Staat durchzusetzen und gleichzeitig gegen den Islamistenterror zu kämpfen, der auch Libyen bedroht.“

Jan van Aken, der außenpolitische Sprecher der Linkspartei, vermutet, als Gegenleistung für eine deutsche Unterstützung solle eine libysche Einheitsregierung mehr Migranten von der Überfahrt nach Europa abhalten.

Deutschland gehört – wie auch Italien, Frankreich und Großbritannien – zu einer Staatengruppe, die zur Zeit in Rom zusammen mit Vertretern der Europäischen Union und der Vereinten Nationen über die Zukunft Libyens verhandelt. Van Aken behauptet, der deutschen Delegation gehöre nicht nur ein Stabsoffizier der Bundeswehr an, sondern die beteiligten Länder planten auch die Entsendung von Bodentruppen.

„Die Planungen für Libyen gehen weit über eine Ausbildung libyscher Soldaten hinaus“, so van Aken in der „Osnabrücker Zeitung“. Der Linkspolitiker findet es aber auch gefährlich, libysche Soldaten auszubilden, „denn es ist aktuell nicht klar, wer gegen wen kämpft“.

„Luftangriffe gegen den IS sind nutzlos“

Das deutsche Verteidigungsministerium hat bisher keine Einzelheiten einer Militärmission in Libyen veröffentlicht (eine Anfrage der Deutschen Welle vom Dienstag blieb unbeantwortet). Mattia Toaldo von der Brüsseler Denkfabrik European Council on Foreign Relations sagt daher im DW-Gespräch, eine Einschätzung dazu sei schwierig. Doch bei den Verhandlungen in Rom sei eine Ausbildungsmission seit längerem im Gespräch, und es sei „grundsätzlich eine gute Sache, die libyschen Sicherheitskräfte auszubilden“.

In jedem Falle sei das besser als Luftangriffe. „Luftangriffe haben sich in Libyen als entweder nutzlos oder sogar schädlich herausgestellt. Wenn man den Anführer einer Terrorgruppe tötet, führt das zu einem Wettbewerb unter den Angehörigen der zweiten Garde. Bei diesem Wettbewerb geht es um Grausamkeit, nicht um Stimmen. Das heißt, solange keine libyschen Streitkräfte das Land vom IS befreien, sehe ich keine realistischen Chancen, dass das gelingt.“

Mit ihrer „Operation Sophia“ versucht die EU bereits, Menschenschmugglern auf dem Mittelmeer das Handwerk zu legen. Im Augenblick ist unklar, was eine libysche Regierung zusätzlich tun könnte, Migranten von der Überfahrt abzuhalten. „Ich vermute“, sagt Toaldo, „sobald es eine libysche Einheitsregierung gibt – falls es je eine geben sollte -, dann wird es eine der ersten Forderungen aller europäischen Länder an sie sein, „Sophia“ aufzuwerten und auch auf libyschem Boden eingreifen zu dürfen.“

Die Idee ist nicht neu

Die EU hat Libyen schon immer unter Druck gesetzt – und nicht nur Libyen, sondern alle Mittelmeeranrainer -, den Flüchtlingszustrom aufzuhalten. Bisher bestand die libysche Lösung in Internierungslagern. Der frühere Machthaber Muammar al-Gaddafi erklärte illegale Migration zum Straftatbestand. Das Gesetz ist weiterhin in Kraft.

„Migranten, die ohne Reisedokumente aufgegriffen werden, werden in diesen Internierungslagern gefangengehalten, aus denen schwere Menschenrechtsverletzungen gemeldet werden“, sagt Toaldo. „Normalerweise werden diese Lager nicht von irgendwelchen staatlichen Behörden verwaltet, sondern von Milizen.“

In der Zeit nach Gaddafi haben die Milizen das Gesetz in eine Einnahmequelle verwandelt. Sie greifen Migranten auf der Straße auf, verschleppen sie und lassen sie nur bei Zahlung eines Lösegeldes wieder frei. Toaldo erläutert, dass diejenigen, die dann wieder freikommen, umso entschlossener sind, das Mittelmeer zu überqueren. „Das ist dann ihr einziger Ausweg. Ihre Familien haben gezahlt, also müssen sie nach Europa gehen, denn sonst können sie die Schulden niemals zurückzahlen, in die sich ihre Familien gestürzt haben.“

Sie könnten auch zum Opfer eines Schleusers werden, der das Lösegeld für sie zahlt und sie dann zum Geldverdienen nach Europa schickt, damit sie ihm das Geld zurückzahlen.

„Ich fürchte, egal, was wir von der libyschen Regierung erwarten: Menschen aus Westafrika und von südlich der Sahara werden weiterhin über Libyen versuchen, über das Mittelmeer zu uns kommen“, sagt Toaldo.

Zerrissenes Land

Zusätzlich zur humanitären Krise ist auch die politische Lage in Libyen katastrophal. Zwei miteinander konkurrierende Parlamente – eines in Tripoli, eines in Tobruk – befinden sich faktisch im Krieg miteinander. Der Allgemeine Nationalkongress in Tripoli wird von der islamistischen Bewegung Libysche Morgenröte beherrscht. Nur das Parlament in Tobruk wird international anerkannt. Doch die Lage wird verkompliziert durch die Tatsache, dass schätzungsweise rund hundert verschiedene Milizen im Land operieren. Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier sagte im Dezember: „Wir müssen davon ausgehen, dass in den letzten zweieinhalb Jahren alle staatlichen Strukturen in Libyen kollabiert sind.“

In dieser Woche wurde nach einjähriger Vermittlung in Tunesien eine libysche Regierung gebildet, die die Unterstützung der UNO genießt. An der Spitze des 32 Mitglieder umfassenden Kabinetts steht der Geschäftsmann Fayez al-Sarraj. Die Regierung soll versuchen, beide Seiten miteinander zu versöhnen.

Das dürfte nicht einfach werden: Beide Parlamente erkennen die Regierung nicht an. Und die Milizen auf der islamistischen Seite in Tripoli haben bereits gewarnt, alle Kabinettsmitglieder riskierten die Festnahme, wenn sie auch nur versuchten, libyschen Boden zu betreten.

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