08. Januar 2016 · Kommentare deaktiviert für „Schweden? Falsche Antwort!“ · Kategorien: Deutschland · Tags: ,

Quelle: Süddeutsche Zeitung

Die Bundespolizei weist an der bayerischen Grenze alle Flüchtlinge zurück, für die Deutschland nur Zwischenstation ist. Ob die Maßnahme greift, ist allerdings zweifelhaft.

Reportage von Andreas Glas, Passau

Die Notunterkunft in Passau heißt auch deshalb so, weil sie notdürftig eingerichtet ist. Es gibt keine Schreibtische, es gibt nur Biertische. Zum Beispiel in Halle zwei, die nicht nur ein Schlaflager ist, sie ist auch ein Großraumbüro. Statt Trennwänden stehen Baustellengitter herum, blickdicht gemacht mit grünen Plastikplanen. An einem Biertisch sitzen sich gegenüber: ein bärtiger Afghane und ein bärtiger Bundespolizist, daneben der Dolmetscher, kein Bart.

Der bärtige Bundespolizist fragt nach Namen, Alter und Herkunftsland, der Dolmetscher übersetzt, der bärtige Afghane antwortet. Dann stellt der Bundespolizist die wichtigste Frage: Wo der Afghane hin möchte, in welches Land? Der Dolmetscher übersetzt, der Afghane sagt: Schweden.

Es ist die falsche Antwort, aber das scheint dem Afghanen noch nicht bewusst zu sein. Der Afghane heißt Sadeq, er ist 17 Jahre jung, er muss jetzt noch ein Formular unterschreiben, dann bringen ihn die Polizisten in den Warteraum, dessen Wände ebenfalls aus Baustellengittern bestehen. Im Warteraum hocken, liegen, stehen etwa 40 weitere Menschen.

Was mit den Zurückgewiesenen geschieht

Diejenigen, die auf die wichtigste Frage nicht mit Deutschland geantwortet, sondern als Ziel Schweden genannt haben oder Dänemark oder ein anderes Land. Diejenigen, die der deutsche Staat nun dorthin zurückschickt, wo sie gerade her gekommen sind: nach Österreich. So will es die Dublin-Verordnung.

Es ist Mittwochvormittag in Passau und das dänische Fernsehen ist auch da. Ein Reporter und ein Kameramann, sie wollen wissen, wie die Nachbarn darauf reagieren, dass Dänemark neuerdings seine Grenze zu Deutschland kontrolliert, um die Zahl der Flüchtlinge in ihrem Land zu begrenzen. Manche fürchten ja einen Domino Effekt. Sie fürchten, dass nach Schweden und Dänemark auch Deutschland seine Grenzpolitik weiter verschärft. Ist das so? Die Antwort lautet: ja und nein.

Denn einerseits wird allen Flüchtlingen, für die Deutschland nur eine Zwischenetappe nach Skandinavien ist, die Einreise verweigert, sie werden direkt nach Österreich zurückgeschickt. Andererseits ist diese Praxis nicht neu, sie gilt bereits seit Mitte Dezember. Aber erst jetzt, da Schweden und Dänen ihre Grenzen wieder kontrollieren, kommt dem Verfahren ein weiterer Zweck zu: Das Einreiseverbot soll verhindern, dass sich an der deutsch-dänischen Grenze ein Rückstau bildet – oder schlimmer noch: Chaos und Gedränge, wie zuletzt an den Grenzzäunen zwischen Kroatien, Slowenien und Österreich.

Etwa 3000 Flüchtlinge kommen seit dem Jahreswechsel täglich in Bayern an. Diese Zahl verteilt sich ungefähr zur Hälfte auf die Grenzübergänge im Raum Rosenheim und auf die Grenzübergänge im Raum Passau. Allein in Passau, sagt ein Bundespolizeisprecher, werden jeden Tag zwischen 60 und 100 Flüchtlinge nach Österreich zurückgewiesen – weil sie angeben, nur deshalb nach Deutschland einzureisen, um ihre Flucht von dort aus nach Skandinavien fortzusetzen. Was in der Theorie bedeutet, dass in Dänemark und Schweden schon bald keine Flüchtlinge mehr ankommen dürften. Aber das ist natürlich ein Trugschluss.

Warum die Maßnahme wohl wirkungslos bleibt

„Es gibt vereinzelt Flüchtlinge, die am nächsten Tag wieder aufschlagen“, sagt ein Passauer Bundespolizeisprecher. Was er damit meint: Wer beim ersten Mal den Fehler gemacht hat, als Zielland beispielsweise Schweden anzugeben, der probiert es am nächsten Tag halt aufs Neue und sagt, dass er doch in Deutschland bleiben möchte. Denn von Deutschland aus hat er immer noch die Chance, sich in Richtung Schweden abzusetzen.

Nicht ohne Grund verschwinden regelmäßig Flüchtlinge spurlos aus deutschen Gemeinschaftsunterkünften. Zwar vermerken die Bundespolizisten diejenigen Personen, die sie schon einmal nach Österreich zurückgewiesen haben – doch gibt ein Flüchtling beim zweiten Mal statt Schweden doch Deutschland als Zielland an, können sie ihm die Einreise trotzdem kaum verwehren. So direkt will die Bundespolizei das nicht sagen, aber es ist ein offenes Geheimnis. Darüber hinaus lässt sich nicht prüfen, wie viele Flüchtlinge bereits beim ersten Einreiseversuch bewusst die falsche Angabe gemacht haben, in Deutschland bleiben zu wollen, obwohl es sie eigentlich woanders hin zieht.

Mit welchen Schwierigkeiten die Beamten zu kämpfen haben

Vorläufig bleibt es also dabei: Ob ein Flüchtling dauerhaft in ein europäisches Land einreisen darf, entscheiden nicht die Grenzbeamten, sondern die Asylbehörden des jeweiligen Ziellandes. Die Grenzbeamten in Passau haben in diesen Tagen sowieso mit ganz anderen Schwierigkeiten zu kämpfen. Denn war es bisher üblich, dass die Flüchtlinge ihre Fingerabdrücke bei der Einreise elektronisch abgeben mussten, stehen in der Passauer Notunterkunft plötzlich wieder Tische mit schwarzer Stempelfarbe herum. Als habe jemand die Zeit zurückgedreht.

Der Grund für den Anachronismus ist ziemlich neuzeitlich: Die Internetübertragung in der Notunterkunft ist offenbar so langsam, dass die Bundespolizei die vielen elektronischen Fingerabdrücke nicht schnell genug in die zentrale Datenbank einspeisen können. Also rollen die in Passau ankommenden Flüchtlinge ihre Daumen und Zeigefinger wie anno dazumal über ein überdimensional großes Stempelkissen und setzen ihre Fingerabdrücke auf Papier. Die Dokumente werden dann gescannt und die Abdrücke landen auf einem ziemlich umständlichen Weg in den Datenbanken. Angesichts der Internetprobleme sei dies die schnellste Variante, versichert die Bundespolizei.

Immerhin: Der Schnee und die Kälte machen den Flüchtlingen und der Bundespolizei weniger zu schaffen als befürchtet. Wer als Flüchtling in Bayern ankommt, muss nur dann kurz raus in die Kälte, wenn er aus dem Bus steigt, der ihn von Österreich direkt zu den Notunterkünften bringt oder zu den sogenannten Übergabepunkten, wie es sie zum Beispiel in Simbach am Inn gibt. Wer trotzdem noch friert, der tut das freiwillig: in der Raucherecke auf dem Hof der Passauer Notunterkunft.

Beitrag teilen

Kommentare geschlossen.