01. Januar 2016 · Kommentare deaktiviert für Wie Schweizer Flüchtlingen helfen · Kategorien: Nicht zugeordnet · Tags:

Quelle: NZZ

«Ich glaube wieder an die Menschlichkeit»

Sie reisen an die mazedonisch-serbische Grenze, nach Griechenland oder sammeln in der Schweiz: Bürgerinnen und Bürger packen im Elend der Flüchtlingskrise mit an.

von Nadine Jürgensen

«Ich konnte die Bilder der Menschen in Not nicht mehr länger ertragen», sagt Zora Schaad, Mutter zweier Kleinkinder. Sie beschloss kurzerhand, selber etwas zu unternehmen. Dreimal bereits reiste sie in den vergangenen Monaten in die Krisengebiete, nach Ungarn, Serbien und nach Griechenland. Die Flüchtlinge warteten in Presevo, an der mazedonisch-serbischen Grenze, stundenlang in der Kälte auf ihre Papiere, erzählt sie. Schaad verteilte zusammen mit anderen Freiwilligen Kleider, Rettungsdecken und Tee, kaufte nahrhafte Lebensmittel im Supermarkt ein, weil es aus hygienischen Gründen verboten war zu kochen. Kleine Kinder, die in der Schweiz im Kinderwagen geschoben würden, marschierten kilometerweit. Viele litten unter Unterkühlung. «Mein Einsatz ändert nichts an der Flüchtlingskrise. Im Kleinen hat er sich aber gelohnt», sagt Zora Schaad. «An vielen Hotspots übernehmen Freiwillige die Hauptarbeit, und es fehlt an Strukturen. Ich wünschte, es würde professioneller und geordneter ablaufen.»

Enormes Hilfsbedürfnis

Eine ähnliche Erfahrung hat auch Oscar Steffen gemacht. Der Unternehmer, der bis vor kurzem in der Konzernleitung eines grossen Schweizer Luxusjuweliers arbeitete, reiste verschiedene Male schon auf die griechischen Inseln Lesbos, Samos und Leros, zuletzt mit dem Volunteer-Programm der österreichisch-schweizerischen Privatinitiative «Echo100plus», die nach wie vor Freiwillige sucht. Es sei ein enormes Bedürfnis für humanitäre Hilfe vorhanden, und jede noch so kleine Initiative sei höchst willkommen.

«Ich glaube wieder an die Menschlichkeit», dieser Satz, den ihm dankbare Flüchtlinge immer wieder sagten, habe sich ihm tief eingeprägt. «Wir stehen vor der grössten humanitären Krise seit dem Zweiten Weltkrieg, und ein Ende ist nicht in Sicht», zitiert Steffen Carla Del Ponte, ehemalige Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag.

Überforderter Staat

Auf Leros strandeten täglich 300 bis 600 Flüchtlinge, völlig durchnässt, oft traumatisiert durch Krieg und die Entbehrungen der gefährlichen Reise übers Meer, erzählt er. Während die Flüchtlinge auf die Registrierung durch Frontex warteten und von der Organisation Médecins sans frontières, Freiwilligen und dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) versorgt würden, fehle es an einer zentralen Stelle, welche den Einsatz der rund 300 Helfer vor Ort sinnvoll koordiniere. Der griechische Staat sei überfordert, die wenigen tausend Inselbewohner ebenso, die zwischen geschäftlichem Profit und persönlichem Einsatz balancierten. Es gebe bloss rudimentär organisierte Abläufe, etwa die Vergabe von Tickets, um gespendete Kleider nach Bedarf zu verteilen. Oscar Steffen wünschte, die Griechen könnten mit offizieller Hilfe der mitteleuropäischen Länder lernen, erprobte Modelle, wie etwa jenes der Schweizer Armee, das in Katastrophenfällen zum Einsatz kommt, umzusetzen.

Wer von hier aus helfen will, wird schnell auf Facebook fündig. Das soziale Netzwerk fungiert als Plattform für Spendenaufrufe für Winterkleider, Kindertragehilfen oder Milchpulver. Diese Waren werden zentral gesammelt und in privaten Aktionen in die Krisengebiete gebracht. Eine Seite etwa heisst «Mamalicious for Refugees». Auf den Seiten von Mamalicious, auf denen Mütter sonst gebrauchte Kleider verkaufen und kaufen, gibt es zahlreiche Aufrufe oder Links, auch für Hilfe in den Asylzentren in der Schweiz.

Hinter den Aktionen stehen nicht nur Einzelpersonen, sondern auch Organisationen, die teilweise überwältigt sind von der Solidarität aus dem Volk. Dazu gehört «h-elfen», eine Initiative von drei jungen Frauen, die am 1. November ihren Spendenaufruf verbreiteten und bereits 26 Tage später einen LKW mit gesamthaft 577 Kartons Winterkleidung an die mazedonischen Grenze schickten und Ende Dezember einen weiteren nachsenden konnten. Es gibt zahlreiche weitere Projekte, wie etwa das Ceribal-Projekt, dessen Organisatoren Kleider nach Lesbos bringen. Andere private Aktionen helfen direkt in Syrien, wie «Swiss4Syria», eine Organisation, die von Jessica Mor-Camenzind – sie ist halb Schweizerin, halb Libanesin – gegründet wurde und in den libanesischen Flüchtlingscamps die Situation der Syrer zu verbessern sucht.

Der Einsatz geht weiter

Zora Schaads wie auch Oscar Steffens Mission ist noch nicht vorbei. Schaad engagiert sich für ein Kinderheim in Athen, das minderjährigen Flüchtlingen Schutz bietet. Sie hat bereits 4500 Franken gesammelt – genug, um die Kinder ein Jahr lang zu ernähren. Steffen will auf die griechischen Inseln zurückkehren und hofft, dass es «Echo100plus» gelingen wird, die organisatorische Unterstützung und die notwendige behördliche Erlaubnis zu erhalten, damit ein Athener Caterer, der auch eine Bootswerft besitzt, seine Ressourcen auf den Inseln einsetzen kann.

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