19. September 2015 · Kommentare deaktiviert für „Wie die deutsche Fantasie-Lösung scheitert“ · Kategorien: Balkanroute, Europa, Kroatien, Serbien, Slowenien · Tags:

Quelle: Die Welt

Das Chaos in Kroatien hält eine bittere Lehre bereit: Je weiter die reichen Ländern in Mittel- und Westeuropa das Flüchtlingsproblem von sich wegschieben, desto schwerer wird es lösbar.

Von Norbert Mappes-Niediek

Kroatien wollte alles richtig machen. Nicht einfach passiv durchschleusen wollte die Regierung in Zagreb die Menschenmassen, wie Mazedonien und Serbien es getan haben, aber auch nicht mit Gewalt aufhalten, wie Ungarn. Wie in einen Trichter sollten die Flüchtlinge aus Serbien über einen einzigen Grenzübergang ins Land geleitet werden, ordentlich registriert, zeitweise untergebracht und dann peu à peu nach Slowenien, Österreich, Deutschland, West- und Nordeuropa weitergeleitet werden.

Gerade 24 Stunden lang hielt der Plan, dann scheiterte er. Zu Tausenden liefen Flüchtlinge gestern aus Serbien überall einfach über die Grenze. Die Idee, den Flüchtlingsstrom zu kanalisieren und zu verlangsamen, kam aus Berlin. „Rückkehr zur Normalität“ war die Parole, unter der Deutschland vorübergehende Grenzkontrollen eingeführt hat. Österreich zog nach, und auch die kroatischen Behörden wollten mitmachen. Das konnte nicht klappen.

Zagreb hatte geplant, für die Flüchtlinge einen „Korridor“ einzurichten. Für den Begriff wird der kroatische Regierungschef jetzt übel gescholten. Aber wie man es auch nennt: Etwas anderes als ein Korridor war nie möglich. Niemand konnte im Ernst glauben, dass über Nacht die alte Dublin-Regel wieder in Kraft treten könnte, nach der ein Flüchtling in dem EU-Land zu bleiben hat, das er als erstes betritt. Auch die 12.000 Flüchtlinge, die sich an jedem einzelnen Tag in Serbien aufhielten, sind dort bis zum letzten Dienstag alle nur ein paar Tage geblieben und dann nach Ungarn weitergezogen; Ankömmlinge aus Mazedonien füllten die Zahl dann wieder auf. Ungarn hat zwar vor der Schließung seiner Grenze immer auf enorme Asylbewerberzahlen verwiesen, um zu beweisen, wie stark das Land belastet sei. Es hat aber geflissentlich verschwiegen, dass kaum ein Flüchtling den Ausgang seines Verfahrens in Ungarn erlebt hat. Alle sind nach Österreich weitergezogen.

Flüchtlingsproblem wächst mit der Entfernung vom Ziel

Ein Korridor muss, wenn er den Strom kanalisieren und verlangsamen soll, nach zwei Seiten offen sein. Das Licht an seinem anderen Ende aber ist nicht sichtbar. Die Regierung in Ljubljana fürchtet zu Recht, dass der Strom sich auf Sloweniens kleinem Territorium stauen würde. Sie reicht das Problem, genau wie Berlin und Wien es tun, nach Südosten weiter. Dort aber ist es umso schwerer zu bewältigen. Schon die Kooperation zwischen den Behörden in Ljubljana und Zagreb ist weitaus schlechter und weniger eingespielt als etwa die zwischen Berlin und Wien, von der Einwohnerzahl und der Wirtschaftskraft beider Länder gar nicht zu reden. Hinzu kommen erhebliche politische Animositäten, die gerade wieder aufbrechen.

Wollen die Flüchtlinge, die jetzt über die Grenze von Serbien nach Kroatien gelaufen sind, am Wochenende mit Bussen, Taxis und zu Fuß nach Slowenien, wird nichts und niemand sie aufhalten. Die slowenische Passage von Kroatien nach Österreich nimmt im Osten des kleinen Landes gerade einmal 40 Autominuten in Anspruch.

Noch schlimmer wird es, wenn auch Serbien bei der Umkehr der Flüchtlingswelle mitspielen soll. In Belgrad macht sich Häme breit gegenüber dem Nachbarn Kroatien, der ja alles so viel besser machen wollte – und Erleichterung, dass trotz des ungarischen Grenzzauns der Weg nach Westen wieder offen ist. Ein Land weiter, in Mazedonien, kämpft eine autoritäre Regierung um ihr Überleben und nutzt jede Gelegenheit, sich vom Druck aus der EU zu befreien. In Griechenland schließlich sind die Verhältnisse so elend und so chaotisch, dass es nur mit Mühe und mit viel Hilfe überhaupt noch als Korridor funktionieren kann. In den Lösungsfantasien im Westen aber, wo man jetzt in Südeuropa gerne „Hotspots“ für die Verteilung von Flüchtlingen einrichten will, spielt die Krise des Landes, die noch vor wenigen Wochen in aller Munde war, offenbar keine Rolle.

Das Flüchtlingsproblem wächst mit dem Quadrat der Entfernung vom Zielland. Vollends abenteuerlich sind Ideen, „Schutzzonen“ in Syrien oder große Flüchtlingslager in Afrika einzurichten. Eine Schutzzone in Syrien könnte und wollte niemand verteidigen, und wer ernsthaft in Libyen oder auch in Jordanien riesige Lager errichten will, schafft ein neues Palästinenserproblem – Zentren der Ausweglosigkeit und ideale Rekrutierungsfelder für allerlei extremistische Milizen.

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