08. September 2015 · Kommentare deaktiviert für „Flüchtlingskrise: Die Schuld der anderen“ · Kategorien: Deutschland · Tags: , ,

Quelle: Spiegel Online

Ein Kommentar von Maximilian Popp

Die Deutschen inszenieren sich in der Flüchtlingskrise als die Guten. Doch die Bundesregierung hat die Misere mitverursacht. Ihre Asylpolitik ist bis heute im Kern egoistisch.

Am Bahnhof in Budapest hielten in den vergangenen Tagen verzweifelte Menschen Schilder in die Luft: „Germany!“ und „Mother Merkel, help us!“

Die Rollen scheinen in der Flüchtlingskrise klar verteilt zu sein: Das hilfsbereite, couragierte Deutschland auf der einen Seite, die skrupellose ungarische Regierung und eine unfähige Europäische Union auf der anderen. Wer die Schlagzeilen in Zeitungen und Onlinemedien dieser Tage liest, könnte glauben, der nächste Friedensnobelpreis sei für Bundeskanzlerin Angela Merkel reserviert.

Doch so einfach ist das nicht. Deutschland handelt in der Flüchtlingspolitik nicht weniger egoistisch als die meisten anderen EU-Staaten – oder kaum.

Das Dublin-Regime, diese perfide Regel, wonach Flüchtlinge lediglich in jenem europäischen Land, welches sie zuerst betreten, Asyl beantragen und dauerhaft leben dürfen, ist mehr oder weniger eine deutsche Erfindung. Die Logik dahinter: Randstaaten, Krisenländer wie Griechenland oder Bulgarien, sollen sich um die Flüchtlinge kümmern, nicht die reichen Nationen im Zentrum des Kontinents. Erst als das System offensichtlich kollabierte und die Länder an den Außengrenzen begannen, Flüchtlinge weiterzuschicken, stellten deutsche Politiker das Abkommen in Frage.

Im Grundsatz hält die Bundesregierung weiter an Dublin fest. Sie betont lediglich mit Nachdruck, dass Italiener, Griechen und Bulgaren die Flüchtlinge gefälligst bei sich behalten sollen. Erst vor wenigen Wochen hat die Koalition eine Asylrechtsverschärfung beschlossen, die es den Behörden künftig ermöglicht, so gut wie jeden Flüchtling, der über einen EU-Staat nach Deutschland einreist, zu inhaftieren. Dies ist keine Abkehr von Dublin, sondern eine Radikalisierung des Regimes.

Merkel ist keine Flüchtlingskanzlerin

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) hat nun mit großer Geste verkündet, das Dublin-Abkommen für Syrer auszusetzen. Flüchtlinge aus Somalia, Iran, dem Irak werden jedoch weiterhin ins Elend nach Bulgarien oder Ungarn abgeschoben.

Und noch eine Randbemerkung: Wo war eigentlich Angela Merkel, als vor zwei Jahren Flüchtlinge auf dem Berliner Oranienplatz für ihre Rechte demonstrierten? Innensenator Frank Henkel trieb die Räumung des Platzes damals voran. Und die Groupies von der Jungen Union applaudierten: „Danke, Frank!“

Nein, Angela Merkel ist keine Flüchtlingskanzlerin.

Würde es die Bundesregierung mit ihrer Solidarität für Geflüchtete ernst meinen, dann würde sie eine gerechte, europaweite Verteilung von Asylbewerbern nicht nur fordern, sondern den skeptischen Staaten im Süden und Osten Europas etwas bieten, etwa finanzielle Hilfe. Die Kluft zwischen dem Westen und Osten Europas in der Frage nach einer Flüchtlingsquote ist das Ergebnis politischen Versagens.

Eine engagierte Regierung würde die Toten an den Grenzen außerhalb und innerhalb Europas nicht nur scheinheilig bedauern, sie würde endlich legale Fluchtwege schaffen. Niemand hindert Deutschland daran, ernsthaft in das Resettlement-Programm der Vereinten Nationen zu investieren, das Flüchtlinge sicher und unbürokratisch an Aufnahmeländer vermittelt. Die etwas mehr als 20.000 Resettlement-Plätze, die die EU überwiegend Syrern in der Türkei und Jordanien nun versprochen hat, sind ein Witz. Sie taugen noch nicht einmal für Symbolpolitik.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker will am kommenden Mittwoch eine Grundsatzrede zur Lage der Union im Europaparlament halten. Er wird mehr Solidarität mit Geflüchteten fordern und eine Umverteilung von Schutzsuchenden in Europa. Angela Merkel sollte ihn in diesem Vorhaben unterstützen. Die Krise verlangt nicht nach weniger Europa, sondern nach mehr.

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