06. September 2015 · Kommentare deaktiviert für „Das Neonazi-Netz hinter den Flüchtlingsangriffen“ · Kategorien: Deutschland · Tags:

Quelle: Die Welt

Die NPD triumphiert. Sie nutzt die Verunsicherung in der Nähe von Flüchtlingsheimen. Besonders gelingt das dort, wo Rechte kommunal verankert sind. Ein Plan, der in ganz Deutschland aufgehen könnte.

Besser hätte es nicht laufen können, jedenfalls aus Sicht der Rechtsextremisten. Da war die Kanzlerin ins sächsische Heidenau gereist, um vor Ort klare Kante zu zeigen. Doch statt Beifall zu ernten, stieß Angela Merkel auf eine Wut, die sie bei ihren Auftritten noch nie erlebt hatte: „Blöde Schlampe“, „Volksverräterin“, schallte es ihr entgegen. Damit hatte niemand gerechnet. Aber war es wirklich Zufall, dass sich hier, in einer kleinen, 16.000-Seelen-Gemeinde nahe Dresden, rassistische Hetze gegen die Kanzlerin Bahn brach?

Aus Sicht von Jens Baur keinesfalls. Am Tag nach den rechtsextremen Pöbeleien gegen Merkel tönt der sächsische Landesvorsitzende der NPD, die Katastrophe von Heidenau sei ein „voller Erfolg“ für seine Partei. Immer wieder hatten er und seine Leute in jüngster Zeit Proteste und Demonstrationen gegen den massenhaften Zustrom von Flüchtlingen organisiert, zuletzt in Dresden und Riesa. Bislang jedoch konnte man nur die ohnehin bekannten Sympathisanten mobilisieren. „Das hat sich nun geändert“, sagt Baur zufrieden. „Jetzt schließen sich Leute aus dem bürgerlichen Lager an.“

Dabei geht es längst nicht mehr nur um Proteste und Demonstrationen. Inzwischen sind Brandstiftungen auf geplante und schon existierende Flüchtlingswohnheime an der Tagesordnung. Aue, Nauen, Salzhemmendorf, Heidenau – das sind die Orte, die allein in dieser Woche in den Schlagzeilen waren. Deutschland erlebt eine Welle rechtsradikaler Gewalt.

Noch vor einem Jahr schien es schwer vorstellbar, dass brennende Flüchtlingsunterkünfte wieder die Schlagzeilen bestimmen würden. Zu lebendig waren die Erinnerungen an Hoyerswerda und Solingen, an Rostock und Mölln. Doch jetzt scheint die Stimmung im Land gekippt zu sein. Seit Monaten schon melden sich rechtspopulistische Protestler wie Pegida oder rassistische Bürgerinitiativen gegen Asylbewerberheime immer lauter zu Wort. Und den Worten folgen zunehmend Taten: 487 flüchtlingsfeindliche Aktionen registrierte die Amadeu-Antonio-Stiftung allein in 2015, fast zehnmal so viele wie zwei Jahre zuvor.

Hemmungslos gebärdet sich die NPD

Die Angriffswelle wirft eine entscheidende Frage auf, die sich auch Verfassungsschutz und Polizei in diesen Tagen stellen: Wie viel System steckt dahinter? Gibt es eine Verbindung zwischen den verschiedenen rechtsextremistischen Aktionen im Land? Muss Deutschland eine neue dunkle Wolke fürchten, die sich vor das schöne Bild von jener Bevölkerung schiebt, die einst das „Sommermärchen“ möglich machte?

Dem Bundeskriminalamt liegen bis dato keine Informationen vor, dass es sich bei den Attacken um „vernetzte oder bundesweit gesteuerte Aktivitäten“ handeln könnte. Wissenschaftler wie der Bielefelder Konfliktforscher Andreas Zick konstatieren aber längst eine gefährliche „Verbindung von Rechtspopulismus und Rechtsextremismus“. Stimuliert durch die ersten Wahlerfolge der rechtspopulistischen AfD im vergangenen Jahr, die anschließenden rassistischen Proteste von Pegida und begleitet von einer entfesselten Internethetze gegen alles – von Flüchtlingen über demokratische Politiker bis zur „Lügenpresse“ –, wurde das Land von einer neuen fremdenfeindlichen Bewegung erfasst, die dezentral aufeinander zuläuft und immer häufiger gewaltsam eskaliert.

Zunehmend hemmungslos gebärdet sich etwa die NPD. Offiziell distanziert sich die Partei zwar von der Gewalt. Aber die Agitation vor Ort ist ihr Nährboden, wenn nicht sogar mehr. „Die NPD muss sich die gewalttätigen Übergriffe anrechnen lassen“, sagt der oberste sächsische Verfassungsschützer Gordian Meyer-Plath mit Blick auf die jüngsten Geschehnisse in Heidenau, wo mehr als 30 Polizeibeamte verletzt wurden. „So etwas habe ich in Sachsen noch nicht erlebt.“

Tatsächlich scheint es in Sachsen einen engen Zusammenhang zwischen der Präsenz der NPD vor Ort und den Ausschreitungen zu geben. Schaut man genau hin, zeigt sich der Zusammenhang: Demos gegen Flüchtlinge gibt es besonders häufig dort, wo die NPD im Stadt- oder Gemeinderat sitzt. Die NPD in Sachsen hält seit der letzten Kommunalwahl rund 59 solcher Mandate, unter anderem in den Orten, in denen die meisten flüchtlingsfeindlichen Vorfälle gezählt werden: Dresden, Heidenau und Freital. In ganz Deutschland erfasste das BKA bis zum 27. August bereits 335 rechtsextremistisch motivierte Straftaten gegen Asylbewerber-Unterkünfte – womit sich die Zahl im Vergleich zum Vorjahreszeitraum bereits verdoppelt hat.

Bernd Wagner, Gründer der Neonazi-Aussteigerinitiative Exit, sieht dahinter eine Art Masterplan, ein Konzept der Eskalation, das sogar für ganz Deutschland aufgehen könnte: „Dort, wo Rechtsextremisten in Kommunalparlamenten sitzen, wo es Anlaufstellen wie rechte Szeneläden gibt, können sie ihren Plan entfalten, sobald sich lokaler Widerstand gegen ein Flüchtlingsheim regt.“

Die NPD kapert lokale Initiativen

Wie so etwas in der Praxis aussieht, zeigt das sächsische Heidenau, aus Sicht von Rechtsextremismusforscher Wagner sogar eine Art „Best-practice-Beispiel der Bewegung“. Der Heidenauer Bürgermeister Jürgen Opitz (CDU) deutete das schon an, als er am vergangenen Sonntag mit den Flüchtlingen vor dem Baumarkt stand, das Haar zerzaust, aber im aufgebügelten schwarzen Anzug: „Das hat alles angefangen, seitdem Herr Rentzsch bei uns im Rathaus sitzt“, sagte er mit leichtem Kopfschütteln.

Der Neonazi Rico Rentzsch war im Frühsommer 2014 für die NPD in den Stadtrat eingezogen, nachdem die rechtsextreme Partei mehr Stimmen sammeln konnte als SPD oder Grüne. Vor vier Monaten dann gründete sich ein Ortsverband der Partei. Der Stadtrat, der als Beruf Maler angibt, gehört außerdem zu den führenden Köpfen hinter „Nein zum Heim“ – jener Initiative, mit der die NPD seit zwei Jahren versucht, bundesweit Initiativen von Flüchtlingsgegnern auf lokaler Ebene zu kapern. „Überparteilich“, wie sie selbst behauptet.

Ohne Hinweis auf die Partei betreiben Aktivisten flüchtlingsfeindliche Facebook-Gruppen, jeweils mit lokalen Ablegern und immer nach identischem Muster. Auf diesem Weg gelang es der NPD etwa, die fremdenfeindliche Stimmung in den östlichen Berliner Stadtteilen Köpenick, Buch und Marzahn-Hellersdorf zusätzlich anzufachen, sodass sie sich mehrfach aggressiv entlud.

Die virtuelle Hetze wird flankiert von im Netz verbreiteter Propaganda wie dem „Leitfaden zum Umgang mit Asylanten in der Nachbarschaft“: Man solle Flüchtlingen „bloß keine Geschenke machen“, heißt es darin, und niemals „ohne Zeugen mit ihnen sprechen“. Hinzu kommen gezielt organisierte Demonstrationen wie in Heidenau. Nachdem kurzfristig bekannt geworden war, dass Flüchtlinge im Baumarkt einziehen sollten, meldete Rentzsch persönlich eine Kundgebung an. Rund 1000 Menschen folgten dem Aufruf. In Marzahn-Hellersdorf hatte die NPD so bereits eine ähnliche Menge hinter sich versammelt. Auch dort sitzt sie in der Bezirksverordnetenversammlung. Auch dort ist ihr Mandatsträger der Kopf hinter der „Nein zum Heim“-Kampagne. Auch dort gab es vor Kurzem einen versuchten Brandanschlag auf ein Flüchtlingsheim.

Nicht ohne Grund war die Zahl der flüchtlingsfeindlichen Übergriffe in Sachsen mit 100 in den ersten Monaten 2015 so hoch wie nirgends sonst in Deutschland. Nirgendwo ist die NPD so stark. Dabei schien die Partei noch im vergangenen Winter endgültig auf dem Abstellgleis. Seit vier Jahren hat die NPD ständig Mitglieder verloren, bundesweit waren es zuletzt keine 5000 mehr. In Sachsen war die Partei bei der letzten Landtagswahl an der Fünfprozenthürde gescheitert. Wenig später musste sie zusehen, wie die Pegida-Bewegung Zehntausende Menschen im Hass gegen die sogenannte Islamisierung des Abendlandes vereinte – und sie selbst keine Rolle spielte. Pegida-Anführer Lutz Bachmann verbot der NPD, bei seinen Demonstrationen als Partei in Erscheinung zu treten. Das jedoch nur aus Kalkül: Er fürchtete, den Zulauf aus der bürgerlichen Mitte zu gefährden.

Nun scheint die NPD wieder kampagnenfähig, und davon möchten Leute wie Sebastian Schmidtke profitieren. Der Berliner NPD-Vorsitzende fühlt sich im Aufwind, ständig fingert er auf seinem Smartphone herum, verfasst Facebook-Einträge. Nebenbei skizziert er den „rechten Bewegungsplan“. Der sportlich trainierte Mann mit der Brille personifiziert „Nein zum Heim“. Schmidtke, ein vorbestrafter 30-jähriger Neonazi, gehört zu den bundesweit gefragtesten Kundgebungsrednern, wenn es gegen Flüchtlinge geht. „Da bin ich besonders rhetorisch geschult“, sagt er und schlürft seinen Mezzo-Mix im türkischen Imbiss am S-Bahnhof Schöneweide. „Klar versuchen wir, überall anzuknüpfen, wo sich erkennbar Protest regt. Mal wenden sich die Leute an uns, mal sprechen wir sie an.“

Aus der Mahnwache wurde eine Neonazi-Demo

Wie in Berlin-Köpenick im vergangenen Herbst, als die NPD eine junge Bürgerinitiative kaperte. Sozialsenator Mario Czaja (CDU) hatte gerade verkünden lassen, dass Container für Flüchtlinge aufgestellt würden. Noch bevor eine Bürgerversammlung einberufen wurde, gründete ein Mann namens Ingolf Pabst seine Initiative dagegen. Über eine Nachbarin, deren Freund schon als NPD-Kreisvorsitzender in Marzahn-Hellersdorf erfolgreich war, fand dieser schnell zahlreiche Unterstützer: „Die NPD brachte dann den Lauti, hat eben ihre ganze Propagandamaschine angeschmissen und lauter Hools hinter sich hergezogen, die das Ganze absichern“, erzählt Pabst.

Später zog er sich aber frustriert zurück. Denn aus seiner Mahnwache war eine wiederkehrende Neonazi-Demo geworden, begleitet von großem Polizeiaufgebot und gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Antifa. „Die werden jetzt wieder mehr“, sagt Pabst über Schmidtke und seine NPD. „Heidenau war ja ein Riesending für die.“

Das motiviert Nachahmer. Im Westen, wo die NPD längst nicht mehr Fuß fassen kann, versuchen andere rechtsnationale Bewegungen, die Stimmung für sich zu nutzen. Etwa die völkisch-neurechte Identitäre Bewegung. Oder die neonazistische Bewegungspartei Die Rechte, die Mitglieder verbotener Kameradschaften hinter sich versammelt, aber nur in Nordrhein-Westfalen nennenswert aktiv ist. Ein Kristallisationspunkt ist auch die Kleinstpartei Der Dritte Weg, die sich – demselben Muster folgend – in Bayern formiert hat, um einem späteren Kameradschaftsverbot vorzubeugen. Sie alle arbeiten an einer Eskalation der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland.

So provozierte Die Rechte in Dortmund gleich nach dem gewalttätigen Wochenende in Sachsen über ihren Internetversandhandel mit einem „Heidenau-Rabatt“. Jeder Bewohner der Sächsischen Schweiz würde bei Bestellung von Aufklebermotiven wie „Asylheime dichtmachen“ die doppelte Menge erhalten. Und bei der Bestellung einer Steinschleuder „Zwille“ gebe es „50 Stahlkugeln gratis dazu“. So sorgte Die Rechte für den erhofften Skandal.

Wie in Sachsen, Berlin oder Brandenburg ist auch in NRW die Zahl der fremdenfeindlichen Angriffe dort am höchsten, wo die rechtsextremen Bewegungen noch am ehesten auf kommunaler Ebene verankert sind. Nur haben sie es im Westen schwerer, bürgerliche Mitläufer zu mobilisieren. Das will bislang kaum gelingen. Noch nicht.

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