http://www.jungewelt.de/2013/10-14/
EU lässt schießen
Flüchtlinge: Libysches Militär eröffnete Feuer auf See. Seit einer Woche gemeinsame Patrouillen von Libyen und Italien
Von Arnold Schölzel
Überlebende des am Freitag zwischen Malta und Lampedusa gekenterten Flüchtlingsschiffes berichten, daß sie gezielt von einem Boot der libyschen Marine beschossen wurden. Dabei habe es zwei Tote gegeben. Ihre Aussagen wurden am Sonntag auf der Internetseite der Zeitung Malta Today und in italienischen Medien wiedergegeben.
Die Zeitung Il Repubblica veröffentlichte am Sonntag außerdem auf ihrer Internetseite ein Video, in dem zu sehen ist, wie offenbar libysche Grenzpolizisten mit Waffen ein Boot daran hindert, in See zu stechen. Der Film enthält zudem Interviews mit Flüchtlingen, die Schußwunden, aber auch Folterspuren vorweisen. Bekannt wurde am Wochenende, daß die Grenzbehörden Libyens und Italiens am vergangenen Montag ein Abkommen unterzeichnet haben, wonach libysche Grenzpolizisten ab sofort unter Kontrolle italienischer Beamter auf Patrouille gehen. Die dafür benötigten Schiffe liefert Italien bereits seit 2009 an den nordafrikanischen Staat. Ob auf dem Schiff, von dem aus die Schüsse fielen, italienische Polizisten waren, ist nicht bekannt.
Nach dem Untergang des Schiffes hatte Maltas Ministerpräsident Joseph Muscat, der am Sonntag mit der libyschen Regierung in Tripolis verhandelte, in einem BBC-Interview erklärt: »Bisher hören wir von der EU nur leere Worte. Ich weiß nicht, wie viele Menschen noch sterben müssen, bevor etwas geschieht. Wie die Dinge im Moment stehen, machen wir unser eigenes Mittelmeer zum Friedhof.« Italiens Premier Enrico Letta kündigte am Samstag an, Italien werde die Überwachung im Mittelmeer verstärken. Das Land starte am heutigen Montag einen »humanitären Militäreinsatz mit Schiffen und Flugzeugen«. Das sei eine Überbrückungsmaßnahme vor einem erhofften größeren Engagement der EU. Am selben Tag äußerte der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, António Guterres, seine »tiefe Besorgnis« über die Meldungen von der Beschießung. Er äußerte seine Hoffnung, daß der Vorfall aufgeklärt und die Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden. Deutschen Sonntagszeitungen waren diese Nachrichten keine Zeile wert, in elektronischen Medien tauchten sie nicht auf.