24. Januar 2016 · Kommentare deaktiviert für „Grenzpläne in Mazedonien: Frontstaat gegen die Flüchtlinge“ · Kategorien: Balkanroute, Europa, Mazedonien, Ungarn · Tags: ,

Quelle: Spiegel Online

Die Zäune sind schon geliefert: Mazedonien wird zum Pufferland gegen Flüchtlinge aufgebaut – reichlich Hilfe kommt aus osteuropäischen Nachbarstaaten. Der Westen guckt wohlwollend zu. Es dürfte ein teurer Deal werden.

Feierlich verabschiedete Generalmajor János Balogh, der Chef der ungarischen Bereitschaftspolizei, seine Untergebenen: „Ihr werdet fern der Heimat sein, in unbekanntem Land, aber mit bekannter Aufgabe. Illegale Migranten treten häufig gewalttätig auf. Ihr könnt dabei helfen, Ordnung zu schaffen und aufrechtzuerhalten. Seid euren Kollegen Verbündete!“

Die Zeremonie fand Anfang Januar in Budapest statt. Noch am selben Tag reisten die 31 Angehörigen der Spezialeinheit an die mazedonisch-griechische Grenze. Dort unterstützen sie mazedonische Polizisten personell und technisch dabei, unerwünschte Flüchtlinge abzuhalten. Auch beim Bau neuer Grenzzäune packen sie mit an.

Die Entsendung war ein Indiz für die neue Rolle, die Mazedonien in der Region einnehmen soll – und die nun immer klarer wird. Das kleine Zwei-Millionen-Land wird derzeit zum Front- und Pufferstaat gegen Flüchtlinge auf- und ausgebaut. Gewissermaßen als Ad-hoc-Lösung, weil weder eine gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik noch eine tragfähige Grenzschutz-Kooperation mit Griechenland in Sicht ist.

Am Freitag schlug Ungarns Regierungschef Viktor Orbán sogar vor, dass Mazedonien und Bulgarien ihre Grenze zu Griechenland komplett mit Zäunen absperren sollten, um die „Migrantenflut zu bremsen“,

Nicht nur Ungarn hilft aktuell beim Grenzschutz in Mazedonien. Auch Tschechien und die Slowakei haben beschlossen, Polizeieinheiten an die mazedonisch-griechische Grenze zu schicken. Die Auswirkungen sind bereits spürbar. Schon seit Ende November lässt Mazedonien nur noch syrische, irakische und afghanische Flüchtlinge weiterreisen, am Mittwoch dieser Woche schloss es die Grenzen für Flüchtlinge zeitweise ganz.

Ausrüstung und Baumaschinen hatte der ungarische Staat bereits im Dezember nach Mazedonien geschickt:

  • 10.000 Rollen Nato-Stacheldraht mit einer Gesamtlänge von rund hundert Kilometern
  • 16.000 Betonpfeiler
  • 48.000 Befestigungsdorne sowie Stemmbohrgeräte

Bereits Ende vergangenen Jahres hatten die Visegrád-Länder Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei und gemeinsame Initiativen zum Schutz der EU-Außengrenzen und der Grenzen einiger Westbalkanländer angekündigt. Schon seit Längerem bewacht Polizei der Visegrád-Länder mehrere Grenzen der Region, darunter in Slowenien und Serbien.

Doch inzwischen liegt der Fokus auf Mazedonien.

Schweigendes Wohlwollen

Westliche EU-Staaten sehen das Engagement mit schweigendem Wohlwollen – während sie zugleich osteuropäische Länder für ihre Haltung in der Flüchtlingsfrage kritisieren. Von der EU als Ganzes ist eine ähnliche Unterstützung Mazedoniens bisher ausgeblieben. Doch die Regierung in Skopje fordert immer lauter auch von Brüssel umfangreiche logistische und finanzielle Hilfe dafür, dass es Pufferzone spielen soll.

Der Preis dafür ist vor allem auch ein politischer, kritisieren Bürgerrechtlicher und unabhängige Intellektuelle im Land. Die EU legitimiere das undemokratische Regime im Land, das Mazedoniens starker Mann, Nikola Gruevski, in den vergangenen zehn Jahren aufgebaut habe. Diesen Vorwurf erhebt der Publizist Saso Ordanoski. Er nennt das „Abkehr von der Wertepolitik und Rückkehr zur Realpolitik“.

Aufwind für Gruevski

Einst war Mazedonien aussichtsreicher EU-Kandidat. Doch Griechenland blockierte Aufnahmeverhandlungen wegen eines absurden Streites um den Staatsnamen Mazedonien. Im Jahr 2006 kam Gruevski als Regierungschef an die Macht und errichtete ein nationalistisch-autoritäres Klientel-Regime. Unter diesem wurden Wahlen gefälscht, Anhänger der Regierungspartei VMRO-DPMNE bedient und Kritiker bedroht, inhaftiert oder mutmaßlich auch ermordet. Auf den Indizes für weltweite Pressefreiheit steht Mazedonien weit hinten, die Justiz ist Gruevski-hörig, Gewaltenteilung existiert praktisch nicht.

In den vergangenen Jahren gab es zunehmend stärkere Proteste durch zivile Initiativen, Minderheitengruppen und Oppositionsparteien, die zum Teil in gewaltsame Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht mündeten. Um die innenpolitischen Konflikte zu lösen und faire Wahlen zu ermöglichen, vermittelte der EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn vergangenes Jahr ein Abkommen zwischen Regierung und Opposition. Es sah einen Rücktritt Gruevskis und vorgezogene Neuwahlen vor.

Eine gefährliche Logik

Gruevski trat vergangene Woche tatsächlich zurück, doch die für Ende April angesetzten Wahlen werden wohl wenig fair verlaufen. Der Verdacht besteht, dass Gruevskis Regierungspartei das Wahlergebnis – wie schon bisher – durch zahlreiche Karteileichen in den Wählerverzeichnissen fälschen lässt. Doch derartige Probleme geraten durch die Flüchtlingskrise aus dem Fokus – sie scheint geradezu ein Geschenk für Gruevski und seinen Führungszirkel zu sein.

Eine gefährliche Logik, sagt der Balkan-Experte Dusan Reljic der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). „Vereinbarungen, die den Anschein erwecken würden, dass die mazedonische Regierung im Auftrag der EU den weiteren Zustrom von Migranten aus dem Nahen und Mittleren Osten an der Grenze zu Griechenland blockieren sollen, würden Gruevski Aufwind geben“, so Reljic.

Ginge es nach dem Ungarn Orbán, dann sollte sich die EU auf einen derartigen Deal einlassen. Als er Gruevski Ende November in sehr herzlicher Atmosphäre in Budapest empfing, sagte er: Im Rahmen der Lösung der Flüchtlingskrise müsste Mazedonien in die EU und die Nato aufgenommen werden.

Kommentare geschlossen.