04. Juli 2018 · Kommentare deaktiviert für Europas Achsen · Kategorien: Deutschland · Tags:

German Foreign Policy | 03.07.2018

Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Fraktionen der deutschen Wirtschaft begleiten den aktuellen Machtkampf innerhalb der Unionsparteien um die Flüchtlingsabwehr. In dem Machtkampf haben die größten Unternehmerverbände Bundeskanzlerin Angela Merkel jetzt demonstrativ den Rücken gestärkt. Berlin müsse „auf ein gemeinsames Vorgehen innerhalb der Europäischen Union“ setzen, erklären BDI, BDA, DIHK und ZDH; „nationale Alleingänge“ richteten „mehr Schaden als Nutzen an“. Die Intervention stellt eine klare Kritik am Versuch der CSU und des rechten Flügels der CDU dar, über die Flüchtlingsabwehr nationalistisch-chauvinistische Positionen durchzusetzen. Vor allem die CSU hatte bereits zuvor gemeinsam mit Spitzenvertretern regierender Rechtsaußen-Parteien wie FPÖ und Fidesz allgemein Vorstöße nach rechts diskutiert. Sie entspricht damit Positionen, wie sie von Organisationen mittelständischer Unternehmen vertreten werden, die rund die Hälfte der deutschen Wertschöpfung erwirtschaften. Aus deren Reihen wurde bereits die Gründung der AfD unterstützt.

„Der Wille zu Europa“

In einer gemeinsamen Erklärung haben die bedeutendsten deutschen Unternehmerverbände Ende vergangener Woche im Streit zwischen CDU und CSU um die Flüchtlingsabwehr Bundeskanzlerin Angela Merkel den Rücken gestärkt. In der Erklärung heißt es, die deutsche Wirtschaft sei überzeugt, „dass nationale Alleingänge mehr Schaden als Nutzen anrichten“. Berlin müsse angesichts der weltpolitischen Entwicklung und mit Blick auf die großen „Herausforderungen“, mit denen Deutschland und die EU gegenwärtig konfrontiert seien, „auf ein gemeinsames Vorgehen innerhalb der Europäischen Union“ setzen. Als „Herausforderungen“ benennen die Unterzeichner die zunehmenden Handelskonflikte, die Digitalisierung, den demographischen Wandel und den Kampf um den Erhalt der „Wettbewerbsfähigkeit“. All dies erfordere „den politischen Willen zu europäischen Lösungen, die nachhaltig und der Zukunft zugewandt“ seien, heißt es.[1] Viele „Menschen und Unternehmen“ fragten sich, ob die „Politik noch die richtigen Prioritäten setze“, da sie, anstatt um die „beste Lösung in der Sache“ zu ringen, eine „zunehmend abgekoppelte Diskussion“ führe, die sich in zentralen Themen von den „Menschen und Unternehmen“ entferne. Die Unternehmerverbände bezeichnen in diesem Zusammenhang die Europäische Union als einen großen demokratischen „Freiheits-, Friedens-, Rechts-, Wirtschafts- und Wohlstandsraum – ohne Beispiel in der Geschichte“. Die EU habe „uns ein Leben in Demokratie und Wohlstand ermöglicht“ und stehe für 60 Prozent des deutschen Handelsvolumens; sie dürfe folglich nicht aufs Spiel gesetzt werden.

Nationale Interessen

Die Erklärung ist von den Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Dieter Kempf, der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Ingo Kramer, des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Eric Schweitzer, und des Zentralverbands des Deutschen Handewerks (ZDH), Hans Peter Wollseifer, unterzeichnet worden. Damit üben die bedeutendsten deutschen Wirtschaftsverbände scharfe Kritik [2] an der offen chauvinistischen Politik eines Flügels innerhalb der Regierungsparteien CDU und CSU, der zunehmend auf eine dezidiert nationalistische Machtpolitik orientiert und die Flüchtlingspolitik zum Anlass genommen hat, um Kanzlerin Merkel herauszufordern. Die Drohung von Bundesinnenminister Horst Seehofer, die Grenzen der Bundesrepublik für Flüchtlinge zu schließen und den Koalitionsbruch zu riskieren, falls Merkel bei der Durchsetzung einer rigiden Abschottungspolitik auf EU-Ebene scheitern sollte, setzt dabei lediglich frühere Vorstöße fort. Bei öffentlichen Auftritten mit führenden Vertretern regierender ultrarechter Parteien wie der FPÖ oder des ungarischen Fidesz plädierten CSU-Spitzenpolitiker wie Horst Seehofer und der bayrische Ministerpräsident Markus Söder für die Realisierung deutscher Interessen im Rahmen nationaler Allianzbildungen jenseits des institutionellen Rahmens der EU – konkret einer Achsenbildung zwischen Berlin, Wien und Rom respektive Budapest. Der bayrische Ministerpräsident Söder proklamierte in einem Interview sogar explizit ein Ende des europäischen „Multilateralismus“, der durch die unmittelbare Machtprojektion starker „Einzelländer“ abgelöst werden solle.[3] Deutschland sei laut Söder in der Lage, „unsere Interessen selbst wahrzunehmen“, und werde gerade deshalb „respektiert“.

Geschäftsmodell Eurozone

Damit nähern sich Spitzenpolitiker der CSU, laut Beobachtern auch getrieben durch Angst vor Stimmenverlusten an die Rechtsaußenopposition bei den bayrischen Landtagswahlen im Herbst, ultrarechten Positionen an, wie sie von der AfD propagiert werden – während die großen Wirtschaftsverbände, die sich öffentlich demonstrativ hinter Merkel stellen, für die Fortführung der gegenwärtigen europapolitischen Linie plädieren, die deutsche Interessen vermittelt durch EU-Institutionen und -Strukturen realisiert. Die entlang deutschen Wirtschaftsinteressen strukturierte Eurozone mit ihrer in Relation zur deutschen Wirtschaftsleistung unterbewerteten Währung bildet die Grundlage der erfolgreichen deutschen Exportoffensive der vergangenen zwei Dekaden. Dieser fundamentale Strukturvorteil des „deutschen Europa“, die Grundlage des exportorientierten „Geschäftsmodells“ der bedeutendsten deutschen Wirtschaftsfraktionen, droht – dies befürchten BDA, BDI, DIHK und ZDH – durch eine nationalistische Machtentfaltung nach dem Konzept des rechten Flügels von CDU und CSU in Gefahr zu geraten.

Deutschlands „Mittelstand“

Allerdings positionieren sich Teile der deutschen Wirtschaftseliten jenseits der großen Verbände, wie es in Medienberichten heißt, in dem aktuellen Machtkampf auf Seiten des rechten Flügels von CDU und CSU.[4] Demnach fürchten kleinere und mittelgroße Unternehmen – der „Mittelstand“, der ungefähr die Hälfte der deutschen Wertschöpfung erwirtschaftet -, die EU werde zu einer „Transferunion“ ausgebaut. Konkret hegt etwa der Wirtschaftsverband „Die Familienunternehmer“, dem 6.000 mittelständische Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als einer Million Euro angehören, Befürchtungen, die Bundesregierung könne „zu weitreichenden Zugeständnissen auf dem Feld der Wirtschafts- und Währungspolitik bereit sein“; dies müsse verhindert werden. Der Präsident von „Die Familienunternehmer“, Reinhold von Eben-Worlée, warnt, es steige die Gefahr eines politischen Kuhhandels, bei dem im Gegenzug zu Zugeständnissen in der Flüchtlingsabwehr beispielsweise das von Frankreich geforderte Eurozonen-Budget eingerichtet werde. Es hätten auch auch andere EU-Partner teure Wünsche geäußert, warnte Eben-Worlée.

Divergierende Interessen

Damit wiederholt sich eine Konfliktkonstellation, wie sie auch beim Ausbruch der Eurokrise die deutschen Wirtschaftseliten spaltete – vor allem beim Vorgehen gegenüber Griechenland.[5] Während damals „Die Familienunternehmer“ darauf drängten, Griechenland aus der Eurozone zu drängen und notfalls deren Desintegration hinzunehmen, beharrte der von den großen Konzernen dominierte BDI darauf, die Eurozone durch ein Austeritätsdiktat gegenüber den EU-Krisenländern nach deutschen Interessen umzugestalten. Der BDI, der sich letztendlich durchsetzte, hatte dabei das Gesamtinteresse der hochgradig exportabhängigen deutschen Wirtschaft im Sinn, während bei „Mittelständlern“ wie den „Familienunternehmern“ ein eher betriebswirtschaftliches Kostenkalkül dominierte; es drückte sich zunehmend in nationalistisch-chauvinistischen Forderungen aus.

Wurzeln der AfD

Die Affinität der „Mittelständler“ zu ultrarechten Positionen hat dabei auch organisatorische Spuren hinterlassen. So sind Funktionäre und Mitglieder des Verbandes „Die Familienunternehmer“ sowie der – von dem Verband unabhängigen – „Stiftung Familienunternehmen“ ab spätestens 2012 in die Vor- und dann in die Gründungsgeschichte der AfD involviert gewesen und haben auch später noch Verbindungen zu der Partei unterhalten.[6] Die „Stiftung Familienunternehmen“ etwa ließ im Jahr 2014, als die AfD ihre ersten Erfolge erzielte, deren damaligen Vorsitzenden Bernd Lucke in ihrem „Haus des Familienunternehmens“ am Pariser Platz in unmittelbarer Nähe zu den Berliner Machtzentralen öffentlich referieren – zum Thema „Nachteile der EU“. Überdies leitete jahrelang der ehemalige Berliner AfD-Landeschef Matthias Lefarth die Repräsentanz der Stiftung in Berlin. Laut Medienberichten blieb der AfD’ler Lefarth auch nach seinem Übertritt zur „Stiftung Familienunternehmen“ der Partei weiterhin „verbunden“: Er arbeite „eng für den Landesverband und die Partei“, hieß es noch 2016.[7] Lefarth war auch als „Steuerexperte“ für die Stiftung tätig, die unter anderem mit einer aggressiven Lobbykampagne im Bundestag die weitgehende Aushöhlung der Erbschaftssteuer durchgesetzt hat.

[1] BDA, BDI, DIHK, ZDH: Aus Verantwortung für Deutschland und Europa. Gemeinsamer Appell der deutschen Wirtschaft. 29. Juni 2018.
[2] Wirtschaft stärkt Merkel im Asylstreit den Rücken. handelsblatt.com 29.06.2018.
[3] S. dazu Der Lohn des Chauvinismus.
[4] Dorothea Siems: Allianz hinter der Kanzlerin. welt.de 30.06.2018.
[5] Michael Inacker: Euro-Rettung spaltet die deutsche Wirtschaft. handelsblatt.com 25.06.2012. S. dazu Brüche im Establishment.
[6], [7] Reich, mächtig, im Zentrum der Hauptstadt – die Lobby der superreichen Firmenerben. blog.campact.de 02.08.2016.

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