08. Februar 2018 · Kommentare deaktiviert für „Schrille Polemik um Migranten in Italien“ · Kategorien: Italien · Tags:

NZZ | 08.02.2018

Nach den Schüssen auf Afrikaner in Macerata wird die Zuwanderung zu einem heissen Wahlkampfthema. Die Wortführer der Rechten überbieten sich gegenseitig mit radikalen Rezepten.

Die Immigration war im italienischen Wahlkampf bisher eher ein Randthema. Nachdem die Regierung in Rom einen Pakt mit Tripolis geschlossen hatte und nur noch wenige Bootsflüchtlinge auf dem Mittelmeer gerettet und nach Italien gebracht worden waren, verlor das Problem vorübergehend an Dringlichkeit. Der Angriff eines Rechtsextremen auf afrikanische Migranten am Wochenende in den Marken hat nun aber doch noch eine Polemik über die Zuwanderung ausgelöst.

Als Erster meldete sich Matteo Salvini zu Wort, der Chef der rechtspopulistischen Lega. Die Invasion, welche die linken Regierungen in den letzten Jahren organisiert und finanziert hätten, habe zu sozialen Zusammenstössen führen müssen, stellte er fest. Wenn seine Partei an die Macht komme, werde er wieder Sicherheit nach Italien bringen.

Silvio Berlusconi wollte dem argwöhnisch beäugten Koalitionspartner nicht das Feld überlassen und doppelte nach. Die 600’000 illegal Eingewanderten, die in den letzten Jahren ins Land gekommen seien, stellten eine tickende «soziale Bombe» dar, erklärte er in Dutzenden von Fernseh- und Radiointerviews. Die meisten von ihnen lebten von Gaunerei und Kriminalität. Berlusconi will mit Soldaten in den Strassen gegen die illegalen Aufenthalter vorgehen, und das Volk soll sich an der Jagd beteiligen. Solch extreme Töne waren vom Chef der konservativen Forza Italia kaum je zu hören gewesen. Ganz offensichtlich fürchtet er, dass Salvini von einer fremdenfeindlichen Welle profitieren und ihn bei den Wahlen überholen könnte.

Auch Luigi Di Maio hat den Ton in der Migrationsfrage verschärft. Diejenigen, die kein Recht auf Asyl hätten, müssten aufgegriffen und zurückgeführt werden, fordert der Chef der Cinque Stelle. Er wirft Berlusconi vor, die «soziale Bombe» selbst kreiert zu haben. In der Tat hatte der vierfache frühere Regierungschef 2003 den Vertrag von Dublin unterzeichnet, der für Italien verheerend war, weil Asylsuchende seither in dem Land bleiben müssen, in dem sie erstmals Fuss auf europäisches Gebiet gesetzt haben. Berlusconi war 2011 auch massgeblich am Sturz des Ghadhafi-Regimes beteiligt; erst danach hat sich die Schleuse für Bootsflüchtlinge aus Libyen aufgetan. Berlusconi macht den regierenden Partito Democratico für das Problem verantwortlich. Mit 81 Jahren verliere er offenbar sein Gedächtnis, spöttelte Di Maio.

Ein Heer von Illegalen

Die Zahl der Personen, die sich illegal in Italien aufhalten, wird offiziell auf knapp 500’000 geschätzt. Wie Di Maio und Berlusconi eine solche Masse von Menschen verhaften und ausschaffen wollen, ist schleierhaft. Das Land verfügt schlicht nicht über die Strukturen, um alle einzusperren. Geschweige denn über die «staatlichen Schiffe und Flugzeuge», mit denen Berlusconi die Leute abschieben will.

Italien wird durch die Fluchtbewegung Richtung Europa unverhältnismässig stark belastet. Es tut sich aber auch schwerer als andere Staaten damit, anerkannte Flüchtlinge angemessen unterzubringen und zu integrieren. Angesichts der immer noch drückenden Wirtschaftskrise mangelt es an staatlichen Mitteln und vor allem auch an Arbeit. Die meisten Immigranten landen deshalb nach einem positiven Asylentscheid auf der Strasse. Einige finden eine Schwarzarbeit, andere rutschen in die Kriminalität ab.

Hinzu kommen Massen von abgewiesenen Asylbewerbern, die nicht zurückgeschafft werden können. 2016 gingen über 181’000 Bootsflüchtlinge in Italien an Land, 2017 knapp 120’000. Nur rund 40 Prozent der Migranten werden als Flüchtlinge anerkannt. Der Rest müsste das Land theoretisch wieder verlassen. In den letzten zwei Jahren konnten aber nur 5300 bzw. 6340 Personen in die Heimat zurückgeführt werden.

Italien hat nur mit Nigeria, Tunesien, Ägypten und Marokko Rückführungsabkommen. Angehörige anderer Nationalitäten können somit nicht einfach in ein Flugzeug gesetzt und ausgeschafft werden. Die meisten tauchen nach einem negativen Bescheid unter und bleiben schwarz in Italien. Di Maio verspricht, mehr bilaterale Verträge mit Herkunftsländern abzuschliessen. Darum bemüht sich Rom (auch im Kreise der EU) allerdings schon länger, mit geringem Erfolg.

Und so wachsen im Land die Ressentiments gegen die Zuwanderer. Während die grosse Mehrheit der Italiener die Aufnahme von Bootsflüchtlingen aus humanitären Gründen bisher gutgeheissen hat, sind heute immer mehr der Meinung, dass es nun genug sei. «Die Immigration bereitete den Italienern für eine ganze Weile unterschwellig Sorgen», erklärt Roberto D’Alimonte, Politologe an der Luiss-Universität in Rom im Gespräch. «Nun wird das Thema auch wieder die politische Debatte dominieren. Der Tod von Pamela könnte als Katalysator wirken. Vor allem die Lega, aber auch die Cinque Stelle dürften davon profitieren.»

Für die Regierungspartei kommt der Zwischenfall von Macerata höchst ungelegen. Ihr Chef Matteo Renzi hatte gehofft, das Migrationsproblem mit dem hart durchgreifenden Innenminister Marco Minniti einigermassen unter Kontrolle gebracht zu haben. Doch die jüngsten Vorfälle in den Marken dürften dem Partito Democratico weiter zusetzen.

Rechtsextreme Gewalt nimmt zu

Der Zwischenfall in Macerata war nicht der erste Übergriff auf Migranten in Italien. In Rom sind 2017 Asylbewerberheime angegriffen, ausländische Familien am Beziehen von Sozialwohnungen gehindert und dunkelhäutige Ausländer von Jugendlichen mitten auf der Strasse fast zu Tode geprügelt worden. Doch auch in kleineren Städten nehmen Übergriffe von Rechtsextremen auf Migranten und Hilfsorganisationen zu. Und Gruppen wie Casa Pound und Forza Nuova bedrohen «dreckige Neger», «linke Zecken» und «Schwule» nicht mehr nur in den sozialen Netzwerken, sondern treten immer häufiger auch öffentlich in Erscheinung.

Während die Linke das Problem der Zuwanderung aus politischer Korrektheit heraus weiter schönredet, flirtet die Rechte mit rechtsextremen Kreisen und verharmlost den Faschismus bei jeder Gelegenheit. So hat Berlusconi nicht nur die Postfaschisten in seine Koalition eingebunden. Er gab im Wahlkampf auch Sätze von sich wie «Mussolini war kein richtiger Diktator» und «Der Duce hat einiges geleistet».

 

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