09. August 2017 · Kommentare deaktiviert für So verteidigt sich „Jugend Rettet“ gegen den Vorwurf, Schlepper zu unterstützen · Kategorien: Italien, Libyen, Mittelmeer · Tags: , ,

bento | 08.08.2017

Bartholomäus von Laffert

Titus Molkenbur, 26, hätte es wohl nie für möglich gehalten, dass er sich eines Tages live im Fernsehen dafür rechtfertigen muss, dass er Menschen rettet. 2015 hat er zusammen mit Freunden den Verein „Jugend Rettet“ gegründet, um mit einem Schiff im Mittelmeer Flüchtlingsboote aus Seenot zu retten.

Die Flüchtlingskrise stand da im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit, noch sprach man in Deutschland von „Willkommenskultur“ und Köln war berühmt für den Dom und das eingestürzte Stadtarchiv, nicht für sexuelle Übergriffe in der Silvesternacht.

Seither hat sich die Stimmung gedreht. Deutschland scheint aus zwei Lagern zu bestehen: Denjenigen, deren Sorge vorwiegend den Flüchtlingen gilt. Und denjenigen, deren Sorge vor allem den Folgen von Migration gilt.

Der Kampf dieser beiden Lager findet überall statt, in den Medien, an den Küchentischen – und auch auf dem Mittelmeer.

Titus Molkenbur und sein Verein sind zum Symbol geworden:

für Menschen, die sich über geltendes Recht und politische Prozesse hinwegsetzten, finden die einen; für Menschen, die ihrer humanistischen Pflicht nachkommen, für die eigentlich das politische Europa verantwortlich wäre, sagen die anderen.

Denn die Flucht über das Mittelmeer ist lebensgefährlich, allein 2016 kamen 4000 Menschen ums Leben, schätzen die Vereinten Nationen. Doch dafür, diese Zahl möglichst klein zu halten, werden die Aktivisten von „Jugend Rettet“ längst nicht mehr bejubelt.

Für rechtsradikale „Identitären“ und andere Flüchtlingsgegner steht fest: Die Seenotretter sind keine Retter, sondern Gehilfen. Sie haben Bilder auf Twitter hochgeladen, die angeblich zeigen, wie Schlepper dem Verein ein Flüchtlingsboot übergeben. Hashtag #JugendSchleppt.

Sie schreiben davon, „Schleppern ein Gesicht zu geben“, bezeichnen die Aktivisten als „Wohlstandsverwahrlosten Moralfaschisten“ und hoffen, dass „die Italiener euch kriminellen Abschaum … für immer ins Zuchthaus“ sperren.

[…]

Aber es sind nicht mehr nur Rechtsradikale, die Vorwürfe gegen „Jugend Rettet“ erheben. Die Anklagen haben es in die Mitte der Gesellschaft geschafft – zum Beispiel in italienische Behörden und ins deutsche Fernsehen. Es sind die Fragen derer, die die Folgen der Migration fürchten und die den Rettern misstrauen.

Italienische Behörden haben das Schiff von „Jugend Rettet“ festgesetzt und drängende die Hilfsorganisationen auf dem Mittelmeer dazu, einem neuen Verhaltenskodex zuzustimmen. Und Titus Molkenbur wird im ZDF gefragt, ob er mit den Schleppern gemeinsame Sache macht.

Gibt es Beweise?

Die italienischen Behörden haben Fotos und Videos veröffentlicht, um ihren Vorwurf zu belegen. Auf einem Foto zu sehen: Ein Gummiboot mit Rettern, ein Boot voller Flüchtlinge und ein libysches Schnellboot, dessen Besatzung den Motor des Flüchtlingsboots abmontiert.

Es sieht so aus, als würden die Schlepper den Rettern die Flüchtlinge übergeben. „Dieses Material bringt deutsche Hilfsorganisation in Bedrängnis“, schreibt die „Welt“, „Ist das der Schlepper-Fotobeweis?“, fragt die „Bild“.
„Nein, ist es nicht“, sagt Titus Molkenbur von „Jugend Rettet“, der jegliche Zusammenarbeit mit Schleppern abstreitet.

Er sieht auf den Fotos einen gewöhnlichen Rettungseinsatz: „Bei unseren Rettungen begegnen wir häufig sogenannten Engine-Fishern, die die Motoren der Flüchtlingsboote klauen.“ Ob die Motorenräuber mit den Schleppern zusammenarbeiten, wisse er nicht.

Was Molkenbur aber weiß: Die Besatzungen der Schiffe sind oft bewaffnet – die Jugend Rettet-Crew nicht. „In solchen Situationen müssen wir uns freundlich und kooperativ zeigen, um unsere Crew nicht zu gefährden“, sagt der 26-Jährige.

Ist also alles ganz anders, als es auf den Bildern scheint?

Kommen die angeblichen Beweise von Rechtsextremen?

Laut Recherchen der italienische Wochenzeitung „Famiglia Cristiana“ und der ARD sollen Aufnahmen, die „Jugend Rettet“ angelastet werden, von einer Sicherheitsfirma mit Verbindungen zu Rechtsextremen stammen. Die Firma soll einen Mitarbeiter auf einem Rettungsschiff von „Save the Children“ platziert haben.

In einer geschlossenen Facebook-Gruppe der Sicherheitsfirma soll auch der Kapitän der „C-Star“ Mitglied sein. Die „C-Star“ sollte im Auftrag der rechtsextremen „Identitären“ die Arbeit der Seenotretter auf dem Mittelmeer behindern, wurde allerdings von italienischen Behörden festgesetzt.

Auf Facebook freuten sich italienische „Identitäre“ am 3. August, dass die „Nachforschungen“ des Kapitäns über die freiwilligen Retter „Früchte tragen“. (Tagesschau)

Wenn dem so wäre, könnte es sein, dass mit diesen Bildern nicht nur gezielt Stimmung gemacht wird – sondern auch, dass die Strategie der Rechten aufginge, weil sie die Stimmung und die Debatte prägen.

Und warum hält sich „Jugend Rettet“ nicht einfach an den Verhaltenskodex?

Italien hat einen Verhaltenskodex aufgestellt. Unter anderem sollen gerettete Flüchtlinge nicht mehr von kleinen Rettungsschiffen an größere Schiffe übergeben werden dürfen. Die Helfer fürchten: Wenn sie nach einem Rettungseinsatz immer erst einen Hafen ansteuern müssen, gibt es weniger Helfer vor Ort auf dem Meer und mehr Tote.

„Jugend Rettet“, „Ärzte ohne Grenzen“ und „Sea Watch“ haben deswegen den Verhaltenskodex nicht unterschrieben. Der italienische Innenminister Marco Minniti hatte gewarnt, dass „die Helfer ihre Arbeit nicht fortsetzen können, falls sie den neuen Verhaltenskodex nicht unterschreiben“.

Warum erschwert Italien die Arbeit der Freiwilligen?

In Italien sind allein in diesem Jahr mehr als 96.000 Menschen an Land gegangen, die über das Mittelmeer geflohen sind. Weil die anderen EU-Staaten den Italienern nicht helfen, versuchen diese, die Krise alleine zu lösen.

Um die Fluchtroute über das Mittelmeer zu schließen, hat das italienische Parlament vergangene Woche einen Militäreinsatz in Libyen beschlossen. In Zukunft sollen italienische Kriegsschiffe zusammen mit der libyschen Küstenwache Menschenschmuggel bekämpfen und Flüchtlingsströme kontrollieren.

Die libysche Küstenwache gilt jedoch als korrupt. Der libysche Staat steckt seit Jahren in einer Krise und hat aktuell drei verschiedene Regierungen. In überfüllten Flüchtlingslagern herrschen menschenverachtende Zustände, zum Teil kommen Menschen nur gegen Lösegeld frei. (SPIEGEL ONLINE)

Wie geht es weiter?

Die Jugend-Rettet-Crew ist inzwischen zurück in Malta, von wo aus sie vor fast drei Wochen gestartet ist. Ihr Schiff, die „Iuventa“, liegt erst einmal in Trapani. Wann die italienischen Behörden das Schiff wieder freigeben, weiß auch Titus Molkenbur nicht.

Doch bis die Europäische Union nicht entschieden hat, wie sie mit den Flüchtlingen umgehen will, wird eines weiter gehen:

Der Streit der beiden Lager, in den Medien, am Küchentisch und wahrscheinlich auch auf dem Mittelmeer.

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Berliner Zeitung | 09.08.2017

Schlepper-Vorwürfe: Deshalb stehen Berliner Seenotretter in Italien in der Kritik

Das Schiff der Berliner Hilfsorganisation „Jugend rettet“ tritt derzeit in ganz Europa eine Debatte los. Es geht um die Moral der Helfer, die im Mittelmeer Flüchtlinge von Schlauchbooten bergen. Stein des Anstoßes: Die „Iuventa“, der Fischtrawler der Berliner, den die Polizei vor gut einer Woche in einem Hafen auf Sizilien an die Kette gelegt hat.

Der Vorwurf der italienische Staatsanwaltschaft lautet: Die Helfer hätten die Machenschaften von Schleppern unterstützt und hinderten die Behörden an der Aufklärung des Falls. Alles Quatsch, wehrt sich „Jugend rettet“. Wer aber sind die jungen Berliner, deren Fall gerade auch das Auswärtige Amt aufhorchen lässt?

Die Presse in Italien beäugt die Deutschen kritisch. „Ihr primäres Ziel ist es nicht, sich mit den italienischen Behörden zu koordinieren und das Rettungssystem zu erleichtern“, schreibt die italienische Huffington Post. Stattdessen versuche „Jugend rettet“, so viele Menschen wie möglich bei der Flucht zu unterstützen und an die italienische Küste zu bringen – zur Not ohne die Behörden.

„Wir maßen uns nicht an, zu entscheiden, wer Asyl bekommen sollte und wer nicht“

Bei den Mitgliedern handle es sich um „Kinder der reichen Bevölkerungsschichten, vor allem aus Westdeutschland“, deren Mentalität tief im linken, antinationalistischen Berlin verwurzelt sei. Auch in anderen Berichten werden die Retter als Wohlstandskinder bezeichnet und ihnen wird unterstellt, nicht nur humanitäre Ziele zu haben, sondern auch eine politische Agenda.

In der Tat ist „Jugend rettet“ im Spektrum der meist linken Hilfsorganisationen auf dem Mittelmeer am linken Rand zu verorten, sagen Kenner der Szene. In dem kleinen Büro nahe dem Alexanderplatz, wo das etwa zehnköpfige Kernteam aus Ehrenamtlichen sich trifft, streitet man eine politische Stoßrichtung aber ab. „Wir maßen uns nicht an, zu entscheiden, wer Asyl bekommen sollte und wer nicht“, sagt Sprecher Julian Pahlke. „Unser Ziel ist bloß, so viele Menschen wie möglich zu retten.“

Von sich reden machte der Verein auch mit hitzigen Aktionen. So brachten Besatzungsmitglieder einst ein Transparent am Schiff an, auf dem „Fuck IMRCC“ stand. Das IMRCC ist die Koordinierungsstelle der Küstenwache in Rom – die auch die Einsätze der „Iuventa“ regelt und eigentlich Partner der Helfer ist.

„Wenn Menschen ertrinken, schickt man eben ein Schiff – das war der Ansatz“

Dann setzte „Jugend rettet“ einen öffentlichkeitswirksamen Notruf ab, weil der Fischtrawler überfüllt und allem Anschein nach manövrierunfähig war. Doch nach einem Tag ruderte der Verein zurück, Navigierunfähigkeit habe nicht bestanden. Die Zeitung „Die Welt“ schreibt von jugendlichem Größenwahn.

Julian Pahlke entschuldigt sich für solche Vorfälle. „Das Plakat war peinlich und entspricht nicht der Haltung des Vereins.“ Pahlke ist 25 Jahre alt und Student. Wie er sind viele der Ehrenamtlichen noch in der Ausbildung. Jakob Schoen, der Gründer des Vereins, hatte gerade das Abitur in der Tasche, als er 2015 anfing, Spenden für ein Schiff zu sammeln.

Pahlke beschreibt ihn als Pragmatiker: „Wenn Menschen ertrinken, schickt man eben ein Schiff – das war der Ansatz.“ Die jungen Leute lasen Bücher über Seerecht, übers Navigieren und Asylgesetze, schließlich fanden sie einen 65 Jahre alten Fischtrawler und bauten ihn aus. Seitdem finanziert der Verein die Missionen ausschließlich mit Spenden. Im vergangenen Jahr kamen etwa 500.000 Euro zusammen.

Ein Blick auf die Taten

Fragt man Julian Pahlke, was die Truppe von anderen Hilfsorganisationen unterscheidet, sagt er: „Wir sind vielleicht agiler. Wir sind jung, brauchen keinen Schlaf, kommunizieren ständig.“ Die meisten Mitstreiter haben mehrere Chat-Apps auf dem Handy, sie schicken in Windeseile Nachrichten und streiten in Videokonferenz über den Kauf eines zweiten Schiffs.

Sie brüsten sich mit ihrem Engagement, gern auch in den sozialen Netzwerken – das macht man heute eben so. Eine junge Frau schreibt auf ihrem Blog, in ihrer Freizeit mache sie etwas mit Charity. Das klingt eher selbstgefällig als selbstlos.

„Na, und!“, sagt Julian Pahlke. „Wir haben über 14000 Menschen aus der Seenot gerettet. Das spricht doch für sich.“ Auch Pahlke gibt sich eher pragmatisch als übertrieben idealistisch – so, wie es für viele seiner Generation typisch ist. So, als wolle er sagen: Messt uns einfach an unseren Taten, anstatt ständig unsere Motive zu hinterfragen.

 

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