01. August 2017 · Kommentare deaktiviert für „Aid groups split over Italy’s new rules for migrant rescues“ · Kategorien: Italien, Libyen, Mittelmeer · Tags: ,

EurActiv | 01.08.2017

Five aid groups that operate migrant rescue ships in the Mediterranean refused to sign up to the Italian government’s code of conduct on Monday (31 July), the Interior Ministry said, but three others backed the new rules.

Charity boats have become increasingly important in rescue operations, picking up more than a third of all migrants brought ashore so far this year against less than one percent in 2014, according to the Italian coastguard.

Italy fears the groups are facilitating people smuggling from North Africa and encouraging migrants to make the perilous passage to Europe, and it proposed a code containing around a dozen points for the charities.

Those who refused to sign the document had put themselves “outside the organised system of sea rescues, with all the concrete consequences that can have”, the ministry said.

Italy had previously threatened to shut its ports to NGOs that did not sign up, but an Interior Ministry source said in reality those groups would face more checks from Italian authorities.

Doctors Without Borders (MSF), which has taken part in many of the rescues of some 95,000 migrants brought to Italy this year, attended a meeting at the Interior Ministry but refused to sign the code.

MSF objected most strongly to a requirement that aid boats must take migrants to a safe port themselves, rather than transferring people to other vessels, which allows smaller boats to stay in the area for further rescues.

“Our vessels are often overwhelmed by the high number of (migrant) boats … and life and death at sea is a question of minutes,” MSF Italy’s director Gabriele Eminente wrote in a letter to Interior Minister Marco Minniti.

“The code of conduct puts at risk this fragile equation of collaboration between different boats,” Eminente continued, adding that MSF still wanted to work with the ministry to improve sea rescues.

But Save The Children gave its backing, saying it already complied with most of the rules and would monitor constantly to be sure that applying them did not obstruct their work.

“We would not have signed if even one single point would have compromised our effectiveness. This is not the case, not one single point of the code will hinder our activities,” Save The Children Italy director Valerio Neri said after the meeting.

The Malta-based Migrant Offshore Aid Station (MOAS) and Spanish group Proactiva Open Arms agreed to the conditions, but Germany’s Sea-Watch, Sea-Eye and Jugend Rettet, and France’s SOS Mediterranee abstained.

MSF, SOS Mediterranee and Jugend Rettet also called for clarity on the rules and took issue with a clause in the code which would oblige groups to accept police officers on board.

“For us the most controversial point … was the commitment to help the Italian police with their investigations and possibly take armed police officers on board,” Jugend Rettet coordinator Titus Molkenbur said.

“That is antithetical to the humanitarian principles of neutrality that we adhere to, and we cannot be seen as being part of the conflict.”

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Spiegel Online | 01.08.2017

Seenotretter verweigern Unterschrift unter Verhaltenskodex

Die italienische Regierung wünscht sich einen Verhaltenskodex für Seenotretter im Mittelmeer. Doch die Hilfsorganisationen weigern sich – und nennen zwei Gründe.

Zwischen der italienischen Regierung und vielen Hilfsorganisationen gibt es vorerst keine Einigung über einen Verhaltenskodex für private Seenotretter auf dem Mittelmeer. Die meisten Organisationen haben ihre Unterschrift verweigert.

Auch die Ärzte ohne Grenzen haben das Dokument nicht unterschrieben. Das erklärte Generaldirektor Gabriele Eminente nach einem Treffen im Innenministerium in Rom laut italienischen Nachrichtenagenturen. Tommaso Fabbri, Vorsitzender der Organisation, sagte: „Wir werden unsere Rettungseinsätze ohne Änderungen fortführen.“ Die deutsche Gruppe Jugend Rettet stimmte ebenfalls nicht zu.

Mit dem Kodex will die italienische Regierung Rettungsaktionen für Migranten auf dem Meer besser regeln. Einen Großteil der Rettungen von Flüchtlingen übernehmen mittlerweile die Nichtregierungsorganisationen (NGOs), vor allem die Ärzte ohne Grenzen sind mit einem großen Schiff beteiligt.

„Aufgrund unserer Prinzipien konnten wir nicht unterschreiben“

Durch einen Kodex hätten sich die Hilfsorganisationen kriminalisiert gefühlt. Für ihre Ablehnung nannten sie vor allem zwei Gründe:

Zum einen hätte der Kodex bedeutet, dass bewaffnete Polizisten auf den Booten mitfahren sollen.
Zum anderen wären Transfers von kleineren Rettungsbooten auf größere erschwert worden.

Italien hatte von den Organisationen außerdem verlangt, die Ortungsgeräte ihrer Boote nicht auszuschalten und nicht mit Schleppern zu kommunizieren. Nach Angaben der Helfer werden diese Vorgaben bereits jetzt eingehalten.

„Aufgrund unserer Prinzipien konnten wir nicht unterschreiben“, sagte Titus Molkenbur von Jugend Rettet. Wie es jetzt weitergehe, sei unklar. „Wir werden aber weiter retten und uns auf das Seerecht beziehen.“

Drei weitere Organisationen sagten Italien dagegen ihre Unterstützung zu. Dabei handelt es sich um Save the children, Moas und Proactiva Open Arms. Viele der anderen Seenotretter seien bei dem Treffen nicht dabei gewesen, hätten folglich auch nicht unterzeichnet, so Molkenbur.

Seit vergangener Woche verhandeln die NGOs mit der Regierung in Rom über das Dokument. Italien ist von dem Flüchtlingszustrom besonders betroffen. Am Montag war die Frist für die Unterzeichnung abgelaufen.

Das Engagement der privaten Helfer war in den vergangenen Monaten immer wieder kritisiert worden, weil Einsätze immer näher an der libyschen Küste stattfinden. In diesem Jahr starben bereits rund 2400 Migranten im Mittelmeer.

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taz | 01.08.2017

NGOs lehnen Italiens Kodex ab

Rom will mehrere Seenotretter mit einem Regelkatalog ausbremsen. Die Organisationen weigern sich – der Kodex könnte die Zahl der Toten erhöhen.

Christian Jakob

BERLIN taz | Der Streit über die Seenotrettung im Mittelmeer geht weiter: Fünf der acht aktiven NGOs verweigerten der italienischen Regierung am Dienstag die Unterschrift unter einen Verhaltenskodex.

Es war das dritte Treffen innerhalb weniger Tage, zu dem Mario Morcone, Präfekt im italienischen Innenministerium, die Seenotretter in seinen Amtssitz geladen hatte. Doch die Fronten waren verhärtet. Die meisten der NGOs kritisieren den Kodex als einen Versuch, ihre Arbeit auszubremsen. Sie stören sich vor allem an zwei der insgesamt elf Punkte: Der Verpflichtung, bewaffnete Polizisten an Bord zu lassen und gerettete Flüchtlinge selbst nach Italien bringen zu müssen, statt sie auf andere Schiffe umsteigen zu lassen. Der Regelkatalog werde zu mehr Todesfällen im Mittelmeer führen, fürchten sie.

Die Seenotrettungsinitiativen SOS Méditerranée, Sea Watch, Ärzte ohne Grenzen, Jugend rettet und Sea Eye unterschrieben deshalb nicht. Die NGOs MOAS, Save the Children und Proactive Open Arms stimmten dem Kodex hingegen zu.

Die italienische Regierung hatte den widerspenstigen NGOs angedroht, ihnen den Zugang zu italienischen Häfen zu verweigern. Am Dienstag sagte ein Regierungssprecher, sie würden aus dem „Organisationssystem der Rettung auf Hoher See ausgeschlossen“. Was das genau bedeutet, blieb unklar.

Keine gesetzliche Grundlage

„Wir erkennen die Situation Italiens an, isoliert und ohne angemessene und ausreichende Unterstützung von den europäischen Mitgliedsstaaten zu sein“, schrieb Sophie Beau, die Vizepräsidentin von SOS Méditerranée, an Italiens Innenminister Marco Minniti. Doch der Kodex in seiner jetzigen Form behindere ihre Arbeit.

Auch Ärzte ohne Grenzen erklärte das im Kodex enthaltene Verbot, Gerettete auf andere Schiffe, etwa der Küstenwache, zu transferieren, für inakzeptabel, da es Einsätze für schiffbrüchige Flüchtlinge erschwere. Zugleich bekräftigte die Organisation, die von Italien geforderte finanzielle Transparenz sei längst der Fall.

Wie Italien nun weiter vorgeht, ist offen. Am Mittwoch veröffentlichte der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags ein Gutachten zu dem Kodex. Dieser habe „völkerrechtlich keine rechtsverbindliche Wirkung“, schreiben die Juristen. Italien müsste erst ein Gesetz erlassen, um die NGOs zur Zustimmung zwingen zu können. Der Kodex sei „eine politische Kampfansage, juristisch ist er aber bedeutungslos“, sagt der Linken-Abgeordnete Andrej Hunko, der das Gutachten angefordert hatte. Italien dürfe den NGOs die Einfahrt in seine Häfen nicht verweigern.

In den letzten Tagen ging die Zahl der Ankünfte im Mittelmeer leicht zurück: Seit dem 1. Januar erreichten insgesamt 94.800 Menschen Italien – nur noch ein Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. In den vergangenen Wochen hatten die Werte deutlich über jenen des Vorjahres gelegen. 2.221 Flüchtlinge und Migranten ertranken im zentralen Mittelmeer.

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