20. Juni 2017 · Kommentare deaktiviert für „Die EU-Aussen-Migrationspolitik: Abschottung erfordert langen Atem“ · Kategorien: Afrika, Europa · Tags: ,

NZZ | 20.06.2017

Der Türkei-Pakt hat sich für die EU bewährt, in Afrika tragen Versuche zur Drosselung der Migration noch kaum Früchte. Für Libyen gibt es kühne Ideen, aber keine einfachen Lösungen.

Niklaus Nuspliger

Auf der zentralen Mittelmeerroute dürfte 2017 eine neue Rekordzahl von Migranten nach Europa aufbrechen. Dennoch kommen die EU-Innenminister bei der Reform des Dublin-Systems nicht vom Fleck. Aufnahme und Umsiedlung von Flüchtlingen sind so umstritten, dass die Hoffnungen auf einen Durchbruch beim EU-Gipfel vom Donnerstag gering sind. Einigkeit herrscht aber im Ziel, die Migrationsströme einzudämmen – was aber völkerrechtlich und praktisch komplizierter ist, als es markige Sprüche suggerieren. In der Grenzpolitik führt kein Weg an der Kooperation mit Herkunfts- und Transitstaaten vorbei. Paradebeispiel ist der Pakt mit der Türkei, der allen türkischen Drohungen zum Trotz noch immer hält.

Wenig Rückführungen

Der Flüchtlings-Pakt funktioniert nicht reibungslos, hat sich für die EU aber bewährt. Die Zahl der Ankömmlinge hat drastisch abgenommen, der Weg von den Ägäis-Inseln aufs europäische Festland ist versperrt. Doch die Hotspots sind hoffnungslos überfüllt. Wegen langwieriger Asylverfahren und weil die Einstufung der zunehmend autoritären Türkei als «sicheres Drittland» problematisch ist, schickt Griechenland noch immer weniger Flüchtlinge in die Türkei zurück, als Menschen aus der Türkei ankommen.

EU-Diplomaten betonen, der Türkei-Pakt lasse sich nicht einfach auf andere Länder übertragen. Doch die Reduktion der Migrationsströme streben die Europäer auch mit afrikanischen Staaten an. Laut einem Evaluationsbericht hat die EU in den letzten zwölf Monaten über den Trust-Fonds für Afrika 1,9 Milliarden Euro für Migrationsprojekte gesprochen. Als positives Beispiel wird Niger genannt, wo die Schlepper-Bekämpfung und Investitionen in ökonomische Alternativen für die Menschen in den Grenzgebieten zu einer Reduktion des Transits nach Libyen geführt habe.

Im Zentrum der vor einem Jahr initiierten Partnerschaften stehen aber die Rückführungen, denn EU-weit können nur 40 Prozent der Migranten mit Ausweisungsentscheid effektiv in ihre Heimat ausgeschafft werden. Obwohl sich die EU nicht mehr scheut, die Handelspolitik oder die Entwicklungshilfe als Hebel einzusetzen, bringt die Migrations-Aussenpolitik keine schnellen Resultate. Die Rückführungsquoten aller prioritären Partnerländer bleiben tief, zumal sich afrikanische Regierungen, die offensiv mit der EU kollaborieren, im eigenen Volk unbeliebt machen.

Nigeria spielt Katz und Maus

Nigeria ist das wichtigste Herkunftsland von Migranten auf der zentralen Mittelmeerroute. Als positives Zeichen galt darum, dass die Nigerianer Beamte nach Italien entsandten, wo sie vor Ort ihre Staatsangehörigen identifizieren sollten. Doch auf die Rückführungsquote von 25 Prozent wirkte sich dies kaum aus, da die Ausstellung von Reisedokumenten kompliziert bleibt. Nigeria hat im Oktober 2016 mit der EU Verhandlungen über ein Rückübernahmeabkommen aufgenommen – doch seither fand keine einzige Verhandlungsrunde mehr statt.

Von ganz anderer Dimension sind die Probleme in Libyen, von wo aus 170 000 Menschen im vergangenen Jahr nach Europa flohen. Mit über 200 000 Migranten und Flüchtlingen rechnet die EU für 2017. Im Februar kündigten die EU-Regierungschefs in Malta einen Zehn-Punkte-Plan zur Schliessung der zentralen Mittelmeerroute an. Doch solange Libyen nicht stabiler wird, bleibt der Plan ein Papiertiger. Zwar pumpt die EU nun 90 Millionen Euro in das Bürgerkriegsland, um in Kooperation mit den Uno-Organisationen die Lage für die Flüchtlinge zu verbessern. Erhöht hat sich die Zahl jener, die aus Libyen freiwillig in ihre Heimat zurückgehen. Die Zustände in den meisten Flüchtlingslagern spotten aber nach wie vor jeder Beschreibung.

Bescheiden ist auch die Bilanz der EU-Marine-Mission «Sophia», die nur ausserhalb der libyschen Territorialgewässer operieren darf und in knapp zwei Jahren gut 100 Schlepper verhaftet hat. Seit Jahresbeginn haben die Europäer 130 libysche Küstenwächter ausgebildet, die Flüchtlingsboote abfangen sollen. Doch das sind viel zu wenige, um eine Küste von 1770 Kilometern Länge zu sichern, und für die weitere Ausbildung finden sich kaum Kandidaten.

Grenzschutz in Libyen?

Auch zur Kontrolle der 1800 Kilometer langen Südgrenze Libyens gibt es Pläne. Im Mai forderten der deutsche Innenminister Thomas de Maizière und sein italienischer Kollege Marco Minniti eine EU-Mission an der Südgrenze – bisher ohne Erfolg. Diplomaten halten es für unwahrscheinlich, dass die EU-Staaten genug Polizisten und Soldaten stellen würden. Die EU betreibt bereits eine Grenzmission für Libyen, die aber aus Sicherheitsgründen in Tunis stationiert ist und eine «leichte Präsenz» in Tripolis erst plant. Periodisch kommt auch die Idee auf, in Nordafrika Asylzentren zu errichten, in die man im Mittelmeer gerettete Flüchtlinge zurückbringen könnte. Das Interesse Tunesiens oder Ägyptens, solche EU-Camps zu beherbergen, ist sehr gering. Und in Libyen ist derzeit nicht daran zu denken, wie die Mehrheit der EU-Aussenminister am Montag befand. Ohnehin würden sich komplexe rechtliche Probleme stellen – sowie die Frage, nach welchem Verteilschlüssel die EU-Staaten bereit wären, Flüchtlinge aus solchen Camps aufzunehmen.

Insofern wird die EU auch in der Aussen-Migrationspolitik nicht ganz um die Debatte um Zulassung und Aufnahme von Migranten und Flüchtlingen herumkommen. Um die Rückführungsquoten afrikanischer Staaten zu erhöhen, wären laut der EU-Kommission mehr legale Migrationswege für junge Berufsleute und Akademiker hilfreich. Und der Flüchtlings-Pakt mit Ankara sieht nicht nur die Visafreiheit für Türken vor, sondern mittelfristig auch ein humanitäres Aufnahme-Programm für Flüchtlinge aus der Türkei.

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