Telepolis | 09.06.2017
Menschenrechte bleiben auf der Strecke: Von einer Politik der Toleranz gegenüber Flüchtlingen hin zu einer restriktiven Durchsetzung der Gesetze
Wassilis Aswestopoulos
Die EU-Kommission äußert sich besorgt über die jüngste Entwicklung bei der Anwendung des Asylrechts in Griechenland. Dieses Mal geht es nicht um Syrer, Afghanen, Pakistani oder Iraker. Vielmehr bemängelt der EU-Kommissar Nils Muižnieks, dass die Menschenrechte von Türken verletzt werden. Türken, die aus dem von der EU weiterhin als sicheren Drittstaat angesehenen Nachbarland über den Evros oder das Meer nach Griechenland kommen, werden von griechischen Behörden mittels des international geächteten push-back Verfahrens kurzerhand zurück über die Grenze befördert.
Das Paradoxon des Flüchtlingspakts
Seitens der EU ist an der Einstufung der Türkei als sicherer Drittstand nichts geändert worden, obwohl der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan nach den Beamten, Militärs, Richtern und Staatsanwälten und Journalisten mittlerweile auch Vorsitzende von Menschenrechtsorganisationen mit fadenscheinigen Beschuldigungen in Haft befördert. Seit dem Putsch vom 15. Juli sind mehr als 50.000 Personen der Opposition gegen Erdogan in türkischen Gefängnissen gelandet. Aktuell bemüht sich Erdogan, den oppositionellen die Staatsbürgerschaft und somit die Bürgerrechte zu entziehen.
Für die Griechen ergibt sich in diesem Zusammenhang ein mehrfaches Problem. Einerseits werden sie von der Türkei beschimpft und bedroht, weil acht Hubschrauberflüchtlingen, die während des Scheiterns des Putsches mit ihrem Fluggerät über die Grenze flüchteten, Asyl gewährt wurde. Griechenland liegt als erster Anrainerstaat direkt im Fokus der Vereinbarung der EU mit der Türkei bezüglich der Flüchtlinge. Scheitert der Pakt, so muss das weiterhin von den Kreditgebern im künstlichen wirtschaftlichen Koma gehaltene Land mitten in der Tourismussaison mit einem neuen Ansturm von Flüchtlingen fertig werden.
Bei dem aktuellen, durch den Terrorismus verschärften antiislamischen Klima in Europa kann die griechische Regierung nicht auf eine ähnliche Solidarität der offenen Grenzen wie 2015 hoffen. Daran ändern die stetigen Appelle des griechischen EU-Immigrationskommissars Dimitris Avramopoulos nichts. Avramopoulos erinnert die EU-Mitgliedstaaten bei jeder Gelegenheit daran, dass die in Italien und Griechenland ankommenden Schutzsuchenden auf die übrigen Länder verteilt werden sollten, wie es die EU beschlossen hatte. Er versucht, die panische Angst vor islamistischem Terrorismus zu relativieren und verweist darauf, dass keineswegs jeder Moslem als potentieller Terrorist anzusehen ist.
Flüchtlingspolitik ist für die Regierung nicht mehr lieb sondern nur teuer
Allerdings ist das Klima auch in der Regierung selbst vergiftet. Der Abgeordnete der Unabhängigen Griechen, des Koalitionspartners von Syriza, Kostas Katsikis ließ es sich nicht nehmen, im Parlament Stellung gegen Flüchtlinge und Immigranten zu beziehen. In einem Schlagabtausch in einer Ausschusssitzung wollte Katsikis dem Vertreter des Forums der Immigranten, Samsitin Intrisou, mit einer derart üblen Verbalattacke das Recht, Menschenrechtsverletzungen zu erwähnen, entziehen, dass die Goldene Morgenröte Katsikis als natürlichen Verbündeten ansah.
Syriza hat jedoch keine Handhabe gegen den bereits mehrfach als rassistischen, homophoben und Kommunisten- und Sozialistenhasser auftretenden Katsikis. Die nominell linke Partei ist für ihre Wirtschaftspolitik und die Fortsetzung der Regierungsfähigkeit im Ganzen auf das Votum Katsikis angewiesen.
Die wirtschaftliche Realität ist ebenfalls ein Grund für den Schwenk der Regierung von einer Politik der Toleranz gegenüber Flüchtlingen hin zu einer restriktiven Durchsetzung der Gesetze. So wurde mehr als ein Jahr nach der Räumung des Lagers an der Grenze bei Idomeni pünktlich zu Beginn des Monats Juni das Lager am ehemaligen internationalen Flughafen von Athen, Ellinikon, in einer Nacht- und Nebelaktion mit dem Einsatz massiver Polizeikräfte und unter Ausschluss sämtlicher Journalisten geräumt.
Die Insassen wurden in weiteren Lagern des Landes interniert. Sie können sich nun nicht mehr, wie von Ellinikon aus, frei in ihrer Umgebung bewegen. Somit wurde der Weg frei, für eine Milliardeninvestition von Thomas Cook und Investoren aus Abu Dhabi und China. Sie wollen den zum Flüchtlingslager gewordenen Flughafen in ein touristisches Luxusressort verwandeln.
Was die übrigen nichtstaatlichen Unterkünfte der Flüchtlinge in Athen angeht, versucht die Regierung mit staatsanwaltschaftlichen Anordnungen die Hausbesetzungen räumen zu lassen, in denen Flüchtlinge beherbergt werden. Diese Praxis der Schaffung von Obdach war 2015 und 2016 noch von den gleichen Politikern der Regierung, die nun die Anwendung des Gesetzes begrüßen, als beispielhafte humane Aktion gelobt worden.
Allerdings gibt es auch hier ein Paradoxon. Die für ihre gegenüber Flüchtlingen übliche Haltung nicht unbedingt als freundlich eingestufte griechische Polizei verweigert durch Nichtstun die angeordneten Räumungen, so dass die staatsanwaltschaftlichen Anordnungen bislang folgenlos verfallen.
Geopolitische Unsicherheiten
Zu allem Überfluss hat Erdogan den nationalistischen Geschichtsrevisionismus als weiteres Betätigungsfeld entdeckt. Er goutiert nicht, dass Griechenland beim Zerfall des osmanischen Reiches und in der Folge des zweiten Weltkriegs die Hoheit über die Ägäis erhielt. Außer um die Inseln der Ägäis geht es bei dem von der Türkei wieder aufgeflammten Streit natürlich auch um die Erdgasvorkommen in der Ägäis.
Erdogan nutzt bei seiner Taktik geschickt den Deckmantel der NATO und lässt Seegebiete rund um griechische Inseln für als dem Verteidigungspakt dienende Seemanöver mit scharfer Munition sperren. Im Wissen darüber, dass die griechische Luftwaffe krisenbedingt um jeden Liter Kerosin feilschen muss, lässt er seine Kampfflieger täglich im Tiefflug über die griechischen Inseln fliegen. Schließlich wird er seitens der NATO oder der übrigen Verbündeten beider Länder nicht für sein Vorgehen bestraft, sondern lediglich freundlich aufgefordert, die Provokationen doch zu unterlassen.
Staat zur Asylbehörde geht es direkt zur türkischen Polizei
Es gibt keinen Staatsbesuch eines Regierungsmitglieds oder Präsidenten eines EU-Landes oder der USA in Griechenland, ohne dass die stetigen Luftraumverletzungen, verbalen Angriffe oder rechtswidrig in der Ägäis kreuzenden türkischen Kriegs- und Forschungsschiffe angesprochen werden. Außer warmen Worten und gespielter Empörung haben die Griechen von ihren Verbündeten bislang nichts erhalten.
Zudem kursieren in der türkischen Presse aktuell Szenarien, wonach ein neuer Putschversuch gegen Erdogan am 15. Juni von Griechenland aus, speziell von der Insel Rhodos gestartet werden soll.
Die griechische Regierung zog aus all dem den Schluss, dass es besser sei, heimlich, still und leise die türkischen Oppositionellen, die nach Griechenland flüchten zurück zu ihren Jägern zu schicken. Bei den mehrfach registrierten Vorfällen des push-back Verfahrens ist, wie bei allen wichtigen Ereignissen in der Flüchtlingsfrage die Presse ausgeschlossen. In offiziellen Statistiken tauchen die sofortigen Rückführungen nicht auf.
Sie laufen nach einem einfachen Muster ab. Sobald sich ein aus der Türkei stammender Flüchtling nach erfolgtem Grenzübertritt bei der Polizei meldet oder von ihr aufgegriffen wird, hat er die Möglichkeit Asyl zu beantragen. Die Beamten erklären dann, dass dieser Antrag nur bei der Behörde zu stellen ist, und bitten den Asylanten in einen Streifenwagen oder ein nach außen hin neutrales Fahrzeug. Dann geht die Fahrt zurück zur Grenze und endet mit der Übergabe des überraschten Flüchtlings an seine Häscher.
Zu den bekannten Opfern gehört auch der regimekritische Journalist Murat Çapan. Er war in Abwesenheit zu 22,5 Jahren Haft verurteilt worden, konnte jedoch zunächst entkommen. Die griechische Regierung übergab ihn trotz seines Berufens auf das Recht, einen Asylantrag zu stellen, an die türkische Polizei.