29. Januar 2017 · Kommentare deaktiviert für „Wer die Heimat verliert, verliert einen Teil der Seele“ · Kategorien: Deutschland, Lesetipps

Telepolis | 29.01.2017

Abbas Khider erhält den Chamisso-Preis, der in diesem Jahr zum letzten Mal vergeben wird. Anlass für ein Gespräch über Flucht, Fremdsein und Literatur als Debattenbeitrag

Vor 16 Jahren hast du, nach der Flucht aus dem Irak, in Deutschland Asyl erhalten. Inzwischen hast du vier gefeierte Romane auf Deutsch veröffentlicht und machst Lesungen im ganzen Land. Fühlst du dich angekommen?

Abbas Khider: Man fühlt sich nie hundertprozentig angekommen. In manchen Situationen schon, aber in anderen verliert man das Zugehörigkeitsgefühl wieder. Das hat viel mit der politischen Lage und der herrschenden Stimmung zu tun. Ich habe dieses Jahr eine ausgedehnte Lesereise gemacht, war in ganz Deutschland unterwegs. Und immer wenn es irgendwo Anschläge gab, kippte die Stimmung. Im Zug und am Flughafen gab es ständig Polizeikontrollen, und natürlich haben die ich ständig rausgefischt. Schwarzkopfkontrollen nenne ich das.

Aber auch sonst im Alltag: Wenn man wegen der dunklen Hautfarbe oder wegen des ausländischen Namens komisch angeguckt wird. Das ist unangenehm. Ganz anders war die Stimmung abends bei den Lesungen, bei Publikum, Presse und so weiter. Das war meistens ganz wundervoll, und da fühlte ich mich wieder angekommen. Es geht immer hin und her. Das ist wohl das Schicksal, wenn man fremd ist.

Was geht in dir vor angesichts der Flüchtlingsdebatte von heute und dem Erstarken rechtsradikaler Parteien wie der AfD?

Abbas Khider: Es ist ja nicht nur Deutschland. Überall erstarken diese rechten Bewegungen. In Europa, in den USA. Und in der arabischen Welt gibt es die Islamisten. Wir leben zur Zeit in einem schwarzen Loch. Aus dem müssen wir rausklettern. Als die Flüchtlingsdebatte 2015 aufbrandete, taten alle so, als wäre das Thema neu, dabei ist es schon immer dagewesen. Und statt die Probleme zu lösen haben wir alles nur noch komplizierter gemacht. Haben einem Erdogan die Möglichkeit gegeben, Flüchtlinge als politisches Druckmittel einzusetzen.

„Das ewige Warten zermürbt einen“

Dein Roman „Ohrfeige“ ist der verbale Wutausbruch eines Geflüchteten unter anderem auf die deutsche Bürokratie, die Menschen, die hierherkommen, zu schaffen macht. Wie war das bei dir? Was waren die größten Probleme, mit denen du bei deiner Ankunft damals konfrontiert warst?

Abbas Khider: Am schlimmsten war das Verwaltungssystem, das Probleme produziert, anstatt sie zu lösen. Und da hat sich bis heute nicht viel geändert. Man hat, wenn man als Flüchtling ankommt, nicht viele Optionen. Man kann kein normales Leben führen. Das ewige Warten zermürbt einen. Es ist, als befände man sich in einem defekten Fahrstuhl. Man drückt den Alarmknopf und erhält die Nachricht: Warten Sie! Vielleicht kommen wir in zwei Wochen, vielleicht in zwei Jahren. Und in dieser Lage wir erwartet, dass man ruhig bleibt.

Das ist wie bei Kafka. Man hat keinerlei Sicherheit. Man wartet auf den Asylbescheid. Dann wieder auf die Aufenthaltsgenehmigung. Auf die Arbeitserlaubnis. Man wartet und wartet. Da kann natürlich keine Integration stattfinden. Man hat Angst, hat keinen Halt, keine Perspektive. Es gibt keine Normalität.

Integration ist so ein Debattenschlagwort … Gibt es typisch deutsche Eigenschaften, die du bis heute nicht verstehst?

Abbas Khider: Was ist schon typisch deutsch? Es gibt typisch bayerische oder typisch berlinerische Eigenschaften, viele Arten des Deutschseins. Ich glaube, nur die Bürokratie ist überall dieselbe. Aber es gibt etwas, das ich nicht begreife: Wenn der Bundestag, zum Beispiel während der Fußball-WM, schnell irgendein neues Gesetz durchdrückt, ohne es vorher zu debattieren, dann stört das kaum jemanden. Aber sobald ein Ausländer Mist baut, gibt es einen Aufschrei im ganzen Land. Absurd.

Im Sommer hast du Lesungen in Ostdeutschland abgesagt, weil du dort zuvor bedroht wurdest. Was ist da passiert?

Abbas Khider: Mein Roman „Ohrfeige“ erschien im Februar, mitten in der Flüchtlingsdebatte. Und es wurde als Beitrag dazu verstanden und gelesen, auch wenn das nicht meine Absicht war. Ich glaube, viele waren einfach überfordert. Aber ich bekam dann Mails, in denen ich beschimpft wurde. Bei einer Lesung im Osten kamen zwei Leute auf mich zu und fragten, ob ich im Ort übernachten würde. Ja, sagte ich. Sie würden dann draußen auf mich warten, drohten sie. Bei einer anderen Lesung mussten wir das Publikumsgespräch abbrechen, weil jemand schrie, ich solle doch froh sein, dass ich hier sein darf, und dass ich kein Recht hätte, Kritik zu üben.

Glaubst du, dass es einen Weg gibt, mit dem man solche Menschen noch erreichen kann?

Abbas Khider: Ich versuche immer, freundlich zu bleiben. Meist hilft das. Aber je nach Situation geht es nur noch um Emotionen, da ist kein vernünftiges Gespräch mehr möglich. Früher konnten mich die Leser per Mail erreichen, heute bin ich nur noch über den Verlag und für Freunde und Familie erreichbar. Ich habe auch die Telefonnummern geändert. Ich finde das schade, aber es ging nicht anders.

Deine Bücher schreibst du auf Deutsch, nicht auf Arabisch. Wie unterscheidet sich für dich das Schreiben heute vom Schreiben in deiner Muttersprache?

Abbas Khider: Die Themen, über die ich schreibe, sind dieselben geblieben. Aber ich glaube, ich bin nicht mehr so melancholisch wie früher, schreibe eher humorvoll. Es gibt zwei Arten von Exilautoren. Fast alle schreiben über die Vergangenheit, über das, was sie erlebt haben. Manche schreiben über das Exil und über scheiternde Liebe.
Die eine Sorte schreibt sehr exakt und hart über die Realität. Über Gefängniserfahrungen oder über Konzentrationslager. Primo Levi zum Beispiel. Autoren, die so schreiben, wählen oft den Freitod. Die andere Sorte geht diese Themen mit Humor an, mit Ironie, sie schenken den Verbrechern die Lächerlichkeit. Diese Autoren haben sich für das Leben entschieden. So einer bin ich.

Kann Literatur Heimat sein?

Abbas Khider: Ich glaube nicht. Manchmal fühlt man sich in der Kunst zu Hause, für einen Augenblick. Wer die Heimat verliert, verliert einen Teil der Seele. Literatur ist der Versuch, diese Lücke zu füllen. Literatur ist keine Heimat, sondern eine Möglichkeit, die Leere der Seele zu heilen.

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