24. Januar 2017 · Kommentare deaktiviert für „Mit Zäunen gegen eine hybride Bedrohung“ · Kategorien: Nicht zugeordnet · Tags:

Quelle: NZZ | 24.01.2017

Die baltischen Staaten befestigen ihre Grenzen

Nach Estland und Lettland will nun auch Litauen einen Zaun an seiner Grenze zu Russland bauen. Was als Schutz der EU-Aussengrenze daherkommt, ist auch Ausdruck der Sorge über den Nachbarn im Osten.

von Rudolf Hermann, Stockholm

«Panzer aufhalten kann diese Anlage nicht», sagt Rasa Jukneviciene, eine frühere Verteidigungsministerin Litauens, «einen Beitrag zur Sicherheit leisten jedoch schon.» Zusammen mit Überwachungssystemen soll der zwei Meter hohe Metallzaun, den Litauen entlang der grünen Grenze zur russischen Ostsee-Exklave Kaliningrad erstellen will, die ständige Beobachtung des Grenzgebiets ermöglichen. Er soll auch mithelfen, illegale Migration und Schmuggel einzudämmen oder «Provokationen» zu verhindern.

Der Fall Kohver

Was unter einer solchen Provokation zu verstehen wäre, weiss man zum Beispiel in Estland. Dort wurde nach Darstellung Tallinns der Sicherheitsbeamte Eston Kohver im September 2014 von Angehörigen des russischen Geheimdienstes FSB auf der estnischen Seite der Grenze festgenommen und entführt. Russland hingegen behauptet, Kohver habe die Grenze unerlaubterweise überschritten und in Russland spioniert. In einem Prozess, den unter anderem die EU scharf kritisierte, wurde Kohver 2015 zu einer 15-jährigen Haftstrafe verurteilt. Wenige Wochen später wurde er gegen einen in Estland wegen Spionage einsitzenden FSB-Agenten ausgetauscht.

Schon vor Litauen hatte deshalb Estland den Bau eines Sicherheitszauns an solchen Abschnitten der Grenze zu Russland ins Auge gefasst, wo keine natürlichen Hindernisse wie Wasserläufe oder Sümpfe bestehen. Allerdings gibt es noch ein gewichtiges politisch-administratives Problem: Der Grenzverlauf mit Russland ist vertraglich noch nicht bestätigt. Zwar wurde 2014 nach langem Hin und Her ein Vertrag unterzeichnet. Das estnische Parlament hat ihn auch schon in erster Lesung genehmigt; die definitive Verabschiedung soll zeitgleich mit dem entsprechenden Schritt im russischen Parlament stattfinden.

Moskaus Spiel mit der Grenze

Die Duma lässt sich allerdings Zeit und spielt mit dem baltischen Nachbarn Katz und Maus. Eine erste Lesung hat noch immer nicht stattgefunden. Erst vor einigen Tagen liess sich der russische Aussenminister Lawrow vernehmen, man sei zur Ratifizierung grundsätzlich bereit, aber nur dann, wenn die bilateralen Beziehungen «konstruktiv» seien. Die Rhetorik, die man aus Tallinn gerade dann vernommen habe, da der Vertrag von der aussenpolitischen Kommission der Duma behandelt worden sei, sei dem Anliegen nicht förderlich gewesen.

Der Kreml mag sich allein schon deshalb in solchem Mobbing gefallen, weil er es sich gegenüber dem kleinen baltischen Staat ohne weiteres leisten kann. Doch hat die Verzögerung der Ratifikation auch zur Folge, dass Estland seinen Zaun nicht entlang einer anerkannten Grenze bauen kann. Diese kann vor dem Inkrafttreten des Vertrags auch nicht offiziell markiert werden. Umgekehrt kann Russland die Pläne Tallinns zum Bau des Zauns jederzeit als «unkonstruktiv» taxieren und damit die Ratifikation des Grenzvertrags weiter verschleppen.

Kontrolle der Migration

Immerhin in Lettland und Litauen hat man das Problem eines noch offenen Grenzvertrags nicht. Lettland hat denn auch schon damit begonnen, an verschiedenen Abschnitten seiner 276 Kilometer langen Grenze zu Russland einen Zaun zu bauen. Mindestens 90 Kilometer sollen auf diese Weise gesichert werden.

Auch hier dient die Befestigung eher dem Ziel, Schmuggel und illegale Einwanderung zu bremsen, als ein militärisch relevantes Hindernis aufzubauen. Mit knapp 500 festgestellten illegalen Grenzübertritten war das Migrationsvolumen 2015 zwar nicht hoch im Vergleich zu anderen europäischen Staaten, doch war die Zahl immerhin dreimal so gross wie im Vorjahr. Dabei handelte es sich laut Grenzschützern vorwiegend um Vietnamesen mit Aufenthaltsrecht in Russland, die angesichts der wirtschaftlichen Probleme versuchten, in die EU zu gelangen.

Man fürchtet in Riga allerdings, dass Moskau je nach politischem Bedarf die Schleusen öffnen könnte. Dass ein solches Szenario nicht auszuschliessen ist, hat man 2015 beobachten können, im Jahr der grossen Flüchtlingsströme in Europa. Wie aus dem Nichts begannen Migranten plötzlich die sogenannte arktische Route zu frequentieren: Tausende versuchten, von der russischen Halbinsel Kola im arktischen Norden in die norwegische Finnmark und nach Finnisch-Lappland zu gelangen.

Angesichts der logistischen Probleme, die diese Route stellt – lange Wege und schwieriger Zutritt zum russischen Grenzgebiet –, liess sich der Verdacht nicht vermeiden, dass offizielle Stellen mitmischten. So handelte es sich bei vielen Migranten um Syrer, die in Russland eine Aufenthaltsbewilligung hatten. In Finnland wie Norwegen äusserten Kommentatoren damals die Meinung, es könne sich sehr wohl um einen Destabilisierungsversuch Moskaus handeln.

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