Quelle: Süddeutsche Zeitung | 29.12.2016
Brüssel sucht auf dem Kontinent nach Partnern, die Fliehende stoppen. Dabei schreckt die EU auch vor Vereinbarungen mit Diktaturen nicht zurück.
Von Thomas Kirchner, Moritz Matzner und Isabel Pfaff
Die Fernsehbilder sollten für sich sprechen: Beim EU-Gipfel Mitte Dezember nahm sich Angela Merkel trotz ihres engen Terminplans Zeit für ein Treffen mit Nigers Präsident Mahamadou Issoufou. Der Staatschef, mit dessen Namen bis vor Kurzem nur Spezialisten etwas anfangen konnten, eilte erfreut auf die Kanzlerin zu, die beiden begrüßten sich vor den Kameras wie alte Bekannte – mit Wangenküsschen.
Niger ist einer der wichtigsten Transitstaaten für Flüchtlinge aus Afrika auf dem Weg nach Europa. Das Land steht für die Pläne der EU, die Zahl der Flüchtlinge zusammen mit mehreren afrikanischen Staaten zu verringern. Seit einem halben Jahr gilt eine sogenannte Migrationspartnerschaft mit dem westafrikanischen Staat. „Es geht darum, Leben im Mittelmeer zu retten. Menschen ohne Bleiberecht sollen schneller zurückgeführt und Menschen sollen möglichst in der Nähe ihrer Heimatländer bleiben“, sagte Vize-Kommissionspräsident Frans Timmermans zum Start der neuen Migrationspartnerschaften im Juni dieses Jahres.
Seit dem Sommer laufen Partnerschaften mit Mali, Niger, Nigeria, Senegal und Äthiopien
Der Pakt markiert einen Kurswechsel, der mit dem Arabischen Frühling seinen Anfang genommen hatte: 2011 stürzten Protestbewegungen die Diktaturen in Tunesien und Libyen – Regime, die viele Jahre die Grenzen streng bewacht hatten. Mit ihrem Sturz stieg die Zahl der Flüchtlinge, die übers Mittelmeer kommen, immer stärker an. Seither versucht die EU Ersatz zu finden – Partnerländer, welche die Fliehenden aufhalten. Die Frage ist nur: Wie weit geht man bei der Zusammenarbeit? Wie weit lässt man sich auf Diktatoren ein?
Brüssel setzt inzwischen auf unzählige neue Programme und Instrumente. Mit manchen geht die EU offen um, andere handelt sie lieber in vertraulichen Papieren ab. Denn zu den neuen Partnerländern südlich der Sahara gehören nicht nur einigermaßen unbedenkliche Länder wie Niger, sondern auch Staaten, deren Menschenrechtsbilanz verheerend ist. Nach dem umstrittenen Flüchtlingspakt mit der Türkei wirft die EU damit neue Fragen nach ihren Werte-Maßstäben auf.
Zu den offen gehandhabten Programmen gehören die im Sommer begonnenen Migrationspartnerschaften mit Mali, Niger, Nigeria, Senegal und Äthiopien. Beim jüngsten EU-Gipfel wurden sie als „wichtiges Instrument“ begrüßt, „um die illegale Migration und ihre eigentlichen Ursachen zu bekämpfen“. Bei den Partnerschaften gilt der Grundsatz: Hilfe gegen Migrationskontrolle. Die EU unterstützt die Länder mit Entwicklungsprogrammen und Know-how, wenn sie Flüchtlinge zurückhalten. Wie sehr das Problem drängt, machen die jüngsten Zahlen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) von vergangener Woche deutlich: Bisher kamen in diesem Jahr fast 180 000 Flüchtlinge aus Afrika übers Mittelmeer nach Italien, mehr als über die Türkei nach Griechenland.
Kurz vor dem Dezember-Gipfel hatte die Kommission eine Zwischenbilanz der Partnerschaften präsentiert. Noch hatten sie keinen nachweisbaren Effekt: 2016 stieg die Zahl der aus diesen Ländern nach Europa Fliehenden auf 59 000. Man habe vor allem Verständnis füreinander entwickelt, hieß es in der Kommission. Kritiker stellen das Grundprinzip der Partnerschaften infrage. Amnesty International, Ärzte ohne Grenzen und mehr als 100 weitere Organisationen haben sich in einer gemeinsamen Erklärung gegen den Vorstoß der Kommission ausgesprochen, sie warnen vor einem „dunklen Kapitel in der Geschichte der EU“. Zu den Unterzeichnern zählt auch Oxfam. Jörn Kalinski, Leiter der Kampagnenabteilung, sagt: „Statt gute Regierungsführung und Achtung der Menschenrechte zu fördern, will die EU die Partnerländerländer offenbar mit Hilfsgeld für eine Unterstützung der EU-Abschottungspolitik belohnen“.
EU-Hilfe beim „Grenzmanagment“ in Diktaturen
Noch problematischer ist ein anderes EU-Programm, das ebenfalls die Migration gen Norden eindämmen soll. Im Rahmen des sogenannten Khartum-Prozesses arbeitet die EU mit zehn Staaten des nördlichen und östlichen Afrikas zusammen, darunter auch Diktaturen wie Eritrea und der Sudan. Konkrete Informationen dazu sind schwer zu finden: Im Gegensatz zu den Partnerschaften geht Brüssel mit diesem Thema eher ungern an die Öffentlichkeit. Es sind vor allem geleakte EU-Dokumente, die Hinweise geben, was Brüssel vorhat.
Offiziell sollen im Dialog mit den Khartum-Staaten ganz allgemein Migrationsfragen besprochen werden. Inoffiziell will die EU mit den Regierungen beim „Grenzmanagement“ kooperieren: Im Rahmen des Programms „Better Migration Management“ (BMM) sollen die Staaten sowohl bei Gesetzgebung und politischen Programmen als auch durch Training und Ausrüstung von Grenzbeamten unterstützt werden. So steht es in einem vertraulichen EU-Papier vom Frühjahr dieses Jahres.
Ausrüstung von Grenzern in Diktaturen wie dem Sudan? Tatsächlich ist das Land im Nordosten Afrikas die bedeutendste Transitstation für Migranten, die sich vom Horn von Afrika aus auf den Weg machen. Wer die Fluchtroute blockieren will, ist in Khartum an der richtigen Adresse. Nur: Im Sudan herrscht seit 1989 der Diktator Omar al-Bashir – der einzige amtierende Staatschef, gegen den ein internationaler Haftbefehl wegen des Verdachts auf Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorliegt. Die USA haben Sanktionen gegen seine Regierung verhängt; Europa leistet keine direkte Entwicklungshilfe, aus politischen Gründen.
Die neue Migrationsagenda der EU bietet dem geächteten Regime die Chance, aufs internationale Parkett zurückzukehren. Entsprechend kooperativ hat es sich im Khartum-Dialog gezeigt, wie ein geheimes Communiqué des Europäischen Außendienstes an die EU-Kommission vom März betont, das die Berliner taz kürzlich veröffentlicht hat. Aus dem Papier geht auch hervor, dass man in Brüssel weiß, wie heikel eine Kooperation mit Bashirs Sicherheitskräften ist: Eine Zusammenarbeit mit dem Sudan berge die Gefahr eines „immensen Imageschadens“ für die EU, heißt es. Trotzdem solle man den politischen Dialog mit der Regierung vertiefen.
Man bekämpfe „illegale Migration“ im Auftrag Europas, sagt ein Milizen-Kommandant
Was ist aus den Plänen geworden? Die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die das BMM-Programm für die EU umsetzen soll, äußert sich nur vage dazu. „In ausgewählten Ländern schulen wir Grenzbeamte, zum Beispiel darin, wie sie kriminelle Schleuser von Flüchtlingen unterscheiden“, sagt Martin Weiß, Ansprechpartner für das Programm bei der GIZ. „Das machen wir aber nicht im Sudan und nicht in Eritrea.“ Bisher unterstütze man in dem Land vorrangig die Migrationsbehörde bei der Entwicklung von Gesetzen zu legaler Migration.
Wie auch immer die Kooperation aussehen mag: Allein der Fakt, dass ein Regime wie das im Sudan zu einem Verhandlungspartner der Europäer geworden ist, beeinflusst die Lage in der Region. Lokalen Medienberichten zufolge hat Bashir Anfang 2016 eine Reiter-Miliz an die sudanesisch-libysche Grenze versetzt, die für schwere Verbrechen in der Krisenregion Darfur verantwortlich sein soll. Man bekämpfe „illegale Migration“, behauptete der Kommandant der Miliz – im Auftrag Europas.
Die Annäherung könnte aber auch Folgen haben für Menschen, die gegen die despotische Herrschaft Bashirs protestieren. Wenn die EU nun sudanesische Minister in Brüssel empfange, gebe das dem Regime Aufwind – und schwäche dessen Kritiker, sagt der Sudan-Experte Magnus Taylor von der International Crisis Group.
Dass die EU gleich einen ganzen Migrationsdialog nach der Hauptstadt des Sudan benannt hat, ist symptomatisch für den neuen Pragmatismus in Brüssel. Auch im Europäischen Parlament stößt dieser Ansatz auf harsche Kritik. „Diktatoren werden sich freuen“, sagte Ulrike Lunacek, die grüne Vizepräsidentin des Parlaments, als Donald Tusk, der Präsident des EU-Rates, die Migrationspartnerschaften dem Plenum vorstellte. Denn zum ersten Mal sei festgeschrieben worden, dass humanitäre Hilfe und Geld für die Entwicklungszusammenarbeit „nicht für Armutsminderung, Entwicklung, Gleichberechtigung, Rechtsstaatlichkeit und Demokratisierung verwendet werden sollen.“ Die Hilfe werde nun dazu missbraucht, die Menschen von Europa fernzuhalten.