28. Juni 2016 · Kommentare deaktiviert für „Bedroht der Brexit das Schicksal der Flüchtlinge?“ · Kategorien: Europa, Griechenland

Quelle: Telepolis

Griechenland: Zunehmende Abgestumpftheit gegen ein verdrängtes Problem

Wassilis Aswestopoulos

Als eine der Folgen des Brexits befürchtet Immigrationsminister Giannis Mouzalas die Verschlechterung der Lage der Flüchtlinge in Griechenland. Schließlich wurde beim Brexit-Votum deutlich, dass neben der Hegemonie der Brüsseler Bürokratie auch die Frage der Einwanderung einer der Faktoren war, welche die Briten zum Votum für den Austritt aus der Gemeinschaft motivierte.

„Vor dem Brexit gab es in der EU insbesondere bei bestimmten Ländern wie Deutschland, Frankreich und den Niederlanden auch bilateral die Bereitschaft, mindestens 15 – 20.000 Flüchtlinge aufzunehmen. Nach dem Brexit aber kann ich nicht abschätzen, wie sich die Dinge entwickeln“, meinte Mouzalas.

Bereits vor dem Brexit gab es in Griechenland Berichte über die Absicht der EU-Partner, die aufgenommenen Flüchtlinge und Immigranten gemäß dem Dublin-Abkommen wieder zurück nach Griechenland zu senden. Angesichts der Nachwirkungen des britischen Referendums und der Angst der Regierenden, selbst in eine ähnliche Lage zu geraten, fürchten die Griechen, dass solch ein GAU durchaus eintreten könnte.

Tatsächlich rückte in den letzten Wochen das Schicksal der Flüchtlinge und Immigranten europaweit in den Hintergrund. Die Vereinbarung der EU mit der Türkei hat den Anstieg der Flüchtlingszahlen in Griechenland spürbar gesenkt. Am Sonntag gab es auf den Inseln nur 132 Neuankömmlinge – wenig im Vergleich zu den Tausenden des Vorjahrs. Trotzdem leben weiterhin, mit Stand vom 28. Juni um 8 Uhr morgens, 57.046 Menschen in überwiegend unzureichenden, provisorischen Lagern.

Die Grenze gen Norden, deren Abschottung mit einem Zaun angeblich abschreckend wirkt, hat nur eines bewirkt. Die Schleuser reiben sich die Hände. Denn nun kassieren sie für den Transit der EJR Mazedonischen Republik Preise in der Größenordnung von 1.000 Euro pro Kopf. Dabei helfen die Schleuser auch bei der Finanzierung des Transits, indem sie die Immigranten und Flüchtlinge als Schmuggler einsetzen.

Ein Polizeioffizier, der in Idomeni Dienst macht, berichtete gegenüber Telepolis, dass mit dem Nachtsichtgerät an der Grenze beobachten konnte, wie ein Mann von der anderen Seite der Grenze ein Paket über den Grenzzaun warf, welches ein Immigrant auf der griechischen Seite aufsammelte. Der Werfer verschwand im Polizeibus der EJR Mazedonien. Dem Flüchtling oder Immigranten stellte die griechische Polizei nicht nach. Die Beamten klagen darüber, dass sie von der politischen Führung dazu angehalten sind, untätig zu bleiben. Die Polizei registriert jedoch einen Anstieg der illegalen Zigaretten und weiterer Schmuggelware.

Kampf der Solidarität

Gegenüber freiwilligen Helfern, die sich solidarisch zu Flüchtlingen und Migranten verhalten, gibt es dagegen offenbar den Befehl zum harten Durchgreifen. Am Montag schlossen die Behörden das Hotel Elpis (Elpis=Hoffnung) – „Hope Center“ – auf Lesbos. Es handelt sich um ein ehemaliges Hotel, welches dem Verfall überlassen wurde. Das britische Ehepaar Philippa und Eric Kempson lebt seit knapp sechzehn Jahren in Griechenland. Sie wollten helfen. Mit einer Spendensammlungsaktion kamen sie an das nötige Kapital, um das ruinierte Gebäude mit seinen zwanzig Gästezimmern zu mieten und zu renovieren.

Sie verwandelten es in ein modernes Flüchtlingsheim. Das wiederum war den übrigen Hoteliers ein Dorn im Auge. Sie sahen in der Aktion eine Abwertung ihres touristischen Produkts und übten Druck auf die Behörden aus. Diese reagierten mit der vollen Härte der Bürokratie.

Dem Ehepaar Kempson wurde vorgeworfen, illegal ein Hotel zu betreiben. Dafür gab es 10.000 Euro Strafe. Zudem wurde das Gebäude mit sofortiger Wirkung versiegelt und kann von seinen Mietern auch nicht mehr als Lager für die gespendeten Güter verwendet werden.

Die freiwilligen Helfer, die über das gesamte vergangene Jahr die Lücken der staatlichen Verwaltung in Punkto Flüchtlingsbetreuung füllten, fühlen sich nun vom Staat verfolgt. Ähnliche Geschichten wie von Lesbos werden von der Insel Chios berichtet. Auf den Inseln haben nun die „empörten Bürger“, die sich meist im Dunstkreis rechtsnationalistischer Kreise befinden, das Sagen. Selbst die einheimischen Medien berichten immer seltener über die Thematik. Die Öffentlichkeit reagiert vermehrt abgestumpft.

Die Lage in den Lagern

In den Lagern selbst entstehen unter den Eingeschlossenen immer öfter Ausschreitungen. Mittlerweile kommt es jedoch auch außerhalb der Lager unter den verschiedenen Ethnien zu Konflikten. So prügelten sich auf Chios inmitten von Passanten Migranten und Flüchtlinge. Informationen aus den Lagern kommen fast nur noch von Aktivisten, die es auf irgendeine Weise schaffen, weiterhin Zugang zu haben.

Dabei geht fast vollkommen unter, wie sehr die Schwächeren unten den Flüchtlingen unter der neuen Situation leiden. Die UN berichtet von „survival sex„, also von der sexuellen Ausbeutung, zu der vor allem Frauen gezwungen werden.

Faktisch ist es also nicht der Brexit, der die Lage der Flüchtlinge bedroht, sondern die zunehmende Abgestumpftheit gegen ein lediglich unter den Teppich gekehrtes Problem, das jederzeit wieder aufflammen kann.

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