23. Juni 2016 · Kommentare deaktiviert für „Flüchtlingschaos in Sizilien: Todestrip für Tausende Euro“ · Kategorien: Italien, Mittelmeerroute · Tags:

Quelle: Spiegel Online

2000 Euro für eine Reise, die viele nicht überleben: Von der EU-Asylpolitik profitieren afrikanische Menschenhändler und die italienische Mafia. Die Polizei war lange hilflos, langsam ändert sich das.

Aus Pozzallo und Palermo berichten Peter Maxwill und Valentino Bellini (Fotos)

Sie hocken auf ihren Felsen wie steinerne Kunstwerke. Regungslos starren Berhane und Aman auf das Meer vor Pozzallo, in fast komplett identischem Outfit: Blaues Hemd, graue Jogginghose, blaue Badelatschen. Vor zehn Tagen noch schauten sie von der anderen Seite auf dasselbe Wasser, da hatten sie die lebensgefährliche Fahrt von Libyen nach Sizilien noch vor sich. Und ein paar Tausend Dollar mehr in der Tasche.

„Unsere Reise war sehr, sehr teuer“, sagt der 17-jährige Berhane, schaut zu seinem zwei Jahre jüngeren Bruder hinüber – und zählt auf: Aus ihrer Heimat in Eritrea marschierten sie zu Fuß nach Äthiopien, wo sie ein halbes Jahr lang blieben. In dieser Zeit, sagt Berhane, habe sein zuvor nach Israel geflohener Bruder ihnen das Geld für die Weiterreise geschickt.

Menschenhändler brachten die beiden Brüder schließlich in den Sudan, binnen zwei Tagen, für 1600 Dollar. Denselben Preis zahlten sie für die Etappe nach Libyen, diese Etappe dauerte zwei Wochen. Nach einer Woche in Libyen setzten sie schließlich nach Sizilien über – ohne Garantie aufs Überleben, für nochmals 2000 Dollar. Insgesamt kostete die Flucht der beiden Eritreer demnach mehr als das Achtfache dessen, was ihre Landsleute in Eritrea durchschnittlich pro Jahr zur Verfügung haben.

Dabei war die Reise nicht nur teuer, sondern auch gefährlich, wie Berhane erzählt: „Ich saß im ersten Boot, das hatte einen Motor, und hinter uns haben wir ein zweites hergezogen“, sagt er mit leerem Blick. „Irgendwann ist das andere Boot dann gesunken. 400 Menschen, alle tot.“ Berhane stockt, nur das Meer vor ihm rauscht weiter, dann sagt er: „Ich hatte große Angst, dass wir jetzt auch sinken und sterben.“

Es ist ein Millionengeschäft mit tödlichen Folgen, das kriminelle Banden auf allen Kontinenten für sich entdeckt haben. In etlichen Weltregionen sind die Lebensbedingungen so verheerend, dass Zehntausende Menschen ihren gesamten Besitz und sogar das eigene Leben riskieren – zur Freude profitgieriger Menschenhändler. Die italienischen Behörden stehen dieser Praxis seit Jahren hilflos gegenüber, an die entscheidenden Personen kommen sie nicht heran.

Als Schleuser gefasst werden in der Regel nicht die Organisatoren der gefährlichen Schiffsreisen, sondern die Kapitäne: Das sind meistens Flüchtlinge, die sich die Überfahrt nicht leisten können und umsonst mitfahren dürfen, wenn sie dafür das Boot lenken. Für diese Menschen endet die hoffnungsfrohe Fahrt oft im Gefängnis, während die Hintermänner sich daran bereichern.

Eileen Quinn gehört zu denjenigen, die sich über diese Geschäftemacherei mit dem Leben von Menschen noch empören können. Auf der weitläufigen Piazza Giuseppe Verdi im Stadtzentrum von Palermo schlendert sie durch die Mittagshitze, von den Tischen der umliegenden Restaurants schallt Gelächter, Touristen werfen ihren Selfiesticks Grimassen zu.

Die Rechtswissenschaftlerin, eine zierliche 27-Jährige, setzt ein ernstes Gesicht auf. „Verantwortlich sind vor allem die Schleuser, die das Geschäft mit der Flucht organisieren“, sagt sie. „Aber man kann natürlich auch sagen, dass wir dafür Verantwortung tragen mit einer Politik, die vor allem die Einreise nach Europa erschweren will.“

Nur langsam durchschaut die italienische Polizei, wie genau Menschenhändler die Reisen Hunderttausender Migranten organisieren. Einige Erfolge können immerhin die Ermittler um Staatsanwalt Calogero Ferrara in Palermo vorweisen: Dessen „Glauco“-Operationen brachten etwa ans Tageslicht, dass allein ein Netzwerk in Äthiopien gigantische Flüchtlingsströme durch Afrika bis nach Nordeuropa und Nordamerika organisiert. Ein Millionengeschäft, bei dem in den vergangenen Jahren Tausende Menschen im Meer ertrunken sind.

In Sizilien beteiligt sich zudem die italienische Mafia am lukrativen Geschäft mit den Flüchtlingen. Vor zwei Jahren etwa deckte die Polizei das kriminelle „Mafia Capitale“-Netzwerk auf, das von Rom aus unter anderem im großen Stil Flüchtlingsunterkünfte betrieb. Einer der Bosse prahlte in einem abgehörten Telefonat: „Mit Flüchtlingen lässt sich längst mehr Geld verdienen als mit Drogen.“

Das zeigt sich immer wieder auch in Sizilien, wo sich wohl so einige Betreiber von Asylheimen an der staatlichen Finanzierung bereichern. Den jüngsten Skandal gab es im Hafenstädtchen Siracusa: Um mehr als 4,2 Millionen Euro sollen vermeintliche Non-Profit-Organisationen den Staat erleichtert haben – für nie existierende Lebensmittel, Reinigungsdienstleistungen oder etwa Kleidungsstücke, die sie angeblich für Flüchtlinge gekauft hatten.

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