10. Juni 2016 · Kommentare deaktiviert für EU-Geld an Afrikas Flüchtlingsstaaten: Unser Partner, der Diktator · Kategorien: Europa

Quelle: Spiegel Online

Flüchtlinge bringen die EU an ihre Belastungsgrenze. Damit zumindest aus Afrika weniger kommen, will Europa mit dortigen Staaten kooperieren. Darunter sind sehr fragwürdige Freunde.

Von Christoph Titz

Sind es 100.000? Sind es sogar mehr als 200.000, wie Innenminister Thomas de Maizière warnt? Oder sind Berichte über zur Flucht nach Europa entschlossene Afrikaner vielleicht übertrieben?

Sicher ist, dass Zehntausende Menschen allein in diesem Jahr versucht haben, von Libyen und Ägypten aus über das Mittelmeer zu gelangen. Weitere warten noch auf die letzte Etappe ihrer Flucht vor Unterdrückung, Krieg oder Armut. Für viele endet sie tödlich.

Die Menschen kommen aus Ländern, in denen Autokraten herrschen, Krieg tobt und die eigene Arbeitskraft nicht zum Überleben reicht. Bürgerkriegsstaaten, Diktaturen, Autokratien.

Mit solchen Staaten will die Europäische Union vereinbaren, noch enger als bisher an der „Bewältigung der Flüchtlingsströme“ zu arbeiten. Bereits der Deal mit der Türkei zur Rücknahme von illegal eingereisten Migranten ist umstritten. Nun komme afrikanische Partner hinzu, die in Sachen Demokratie, Menschen- und Freiheitsrechte weit schlechter abschneiden als die Türken.

Die EU setzt dabei auf zwei Prozesse: Ein neues EU-Partnerabkommen mit Herkunfts- und Transitländern und den sogenannten Khartum-Prozess, vereinbart 2014 zwischen 58 Ländern Europas und Afrikas, mit dem Ziel, Fluchtbewegungen einzudämmen. Zu den Ländern, auf deren Kooperationsbereitschaft die EU hofft, gehören durch die Khartum-Vereinbarung (hier als PDF) auch Eritrea, Somalia, Sudan und Südsudan.

Im EU-Partnerland Südsudan bekriegten sich die Rebellentrupps von Präsident Salva Kiir und dem damaligen Vize Riek Machar zwei Jahre lang: Zehntausende Tote, mehr als 1,5 Millionen Vertriebene waren die Folge. Nun rauften sich die Kriegsgegner wieder zusammen und erklärten in einem Gastbeitrag in der „New York Times“, dass die Gräuel der vergangen Jahre nicht verfolgt werden sollen. Im Namen der Versöhnung versprechen die Kriegstreiber von gestern Straffreiheit „vom ärmsten Bauern bis zum mächtigsten Politiker“.

Weiter nördlich steht es nicht viel besser. Ein Drittel des Sudan ist Kriegsgebiet, Präsident Omar al-Bashir regiert seit mehr als 20 Jahren mit beinahe unbeschränkter Machtbefugnis. Wegen Massakern in der Region Darfur wird der Staatschef mit Haftbefehl vom Haager Strafgerichtshof gesucht. Wie der SPIEGEL berichtete, soll Baschirs Reich im Rahmen der Flüchtlingspartnerschaft mit Sicherheitstechnik ausgerüstet werden, federführend dabei ist Deutschland.

Das Partnerland Somalia existiert außerhalb der Hauptstadt Mogadischu und einiger weiterer Städte praktisch nicht. Die Dschihadistenmiliz al-Shabab kontrolliert weite Teile des zerrütteten Landes, das von ausländischen Truppen der Afrikanischen Union notdürftig zusammengehalten wird. Selbst in Mogadischu gibt es immer wieder schwere Terrorakte, auch Militärstützpunkte der Amisom-Länder Äthiopien und Kenia werden attackiert.

Eritrea ist ein Staat, über den selbst Diplomaten offen sagen, er sei eine beinharte Diktatur. Ein Land, aus dem jährlich 60.000 Menschen fliehen, und dessen Bürger 2015 nach den Syrern die größte Zahl der Asylberechtigten in der EU stellten. Die Regierung habe „in den vergangenen 25 Jahren systematisch Menschenrechtsverbrechen begangen“, so ein aktueller Uno-Bericht. Sicherheitskräfte würden mit Billigung der Regierung willkürlich inhaftieren, foltern und töten.

Solche Partner braucht Europa nun offenbar. Das neue Partnerschaftsabkommen sieht sogar weitere Flüchtlingsdeals vor – mit Mali, Niger, Nigeria, dem Senegal, Äthiopien, aber auch mit Jordanien und dem Libanon.

Eine Sprecherin der EU-Kommission bekräftigt auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE, dass mit ihnen Verträge, sogenannte „compacts“, geschlossen werden sollen. Das bedeutet: Es fließt Geld. Acht Milliarden Euro bis 2020, damit „maßgeschneiderte“ Deals zustande kommen. Ein Kernpunkt des Abkommens ist, die „Widerstandskraft“ der Länder gegen Migration zu stärken und die „illegalen Migrantenströme zu organisieren, einschließlich Rückkehr und Rückführung“.

„Partnerschaft ist euphemistisch“

Zum fragwürdigsten Partner, Eritrea, schickt Brüssel ein halbes Dementi: Nach Eritrea fließe zwar Geld, aber nur an Nichtregierungsorganisationen und an die Zivilgesellschaft. Eritrea sei „kein A-Partner“. Gespräche werde man aber führen.

Der „Guardian“ hatte berichtet, die EU wolle gemeinsam mit dem Sudan und Eritrea regional Migration „bekämpfen“. Die EU könnte demnach im Sudan Sicherheitskräfte mit aufbauen und in Eritrea bei der Schaffung eines Justizwesens helfen. Partner in der Zusammenarbeit sei die deutsche Entwicklungshilfeorganisation GIZ, die dem Entwicklungshilfeministerium untersteht.

Deutsche Oppositionspolitiker und Entwicklungshelfer sind entsetzt: „Von einer Partnerschaft zu sprechen ist euphemistisch“, erklärt der Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe deutscher Nichtregierungsorganisationen. Zusammenarbeit mit Diktaturen wie Eritrea und dem Sudan bei Grenzmanagement, welche die GIZ bereits begonnen habe, sei völlig inakzeptabel.

Für die Grünen im Bundestag erklärte deren entwicklungspolitischer Sprecher Uwe Kekeritz, es sei „zynisch und kurzsichtig“, Entwicklungsgelder als Druckmittel zur Rücknahme von Flüchtlingen einzusetzen. Die EU schließe „Abkommen mit Diktatoren und vermeintlich sicheren Drittstaaten“ und schaffe so selbst Fluchtursachen anstatt sie zu bekämpfen.

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