02. Juni 2016 · Kommentare deaktiviert für „Nach der Beseitigung des griechischen Elendslagers: Tausende Migranten sind verschwunden“ · Kategorien: Balkanroute, Griechenland

Quelle: NZZ

Die Räumung Idomenis hat einen Schandfleck getilgt, das Problem aber vor allem verschoben. Die schlechte Kommunikation der griechischen Behörden erschwert zudem den Helfern die Arbeit.

Stolz verkündete die griechische Regierung letzte Woche die erfolgreiche und gewaltfreie Räumung des Flüchtlingslagers in Idomeni. Schnell zeigt sich nun aber, dass der vermeintliche Triumph ein Pyrrhussieg war: Idomeni mag leer sein und die besetzten Bahngeleise nach Norden wieder frei – doch die Bewohner zogen einfach in andere «wilde» Lager um oder vegetieren in offiziellen Auffangzentren unter katastrophalen Bedingungen vor sich hin.

Unkoordinierte Räumung

Die Hilfsorganisationen nehmen bei ihrer Kritik an der Umsiedlung kein Blatt vor den Mund. Bereits am Freitag schlug das Uno-Flüchtlingswerk (UNHCR) Alarm; man sei «ernsthaft besorgt» über die Bedingungen in den offiziellen griechischen Flüchtlingslagern. Zahlreiche ehemalige Bewohner von Idomeni seien in verlassenen Lagerhäusern und Fabriken untergebracht worden; dort hätten die Behörden ganz einfach Zelte dicht nebeneinander aufgestellt. Der Geruch in diesen Lagern sei schlimm, verfügten sie doch über keine Lüftung und kaum sanitäre Anlagen. Andere Aufnahmezentren seien überfüllt, da der Transport unkoordiniert erfolgt sei.

wilde lager

Auch Médecins sans frontières (MSF) kritisiert die Art und Weise der Umsiedlung scharf – obwohl sie wie das UNHCR dessen Schliessung für notwendig hält. «Die Menschen werden nicht darüber informiert, wohin sie gefahren werden, das ist absolut inakzeptabel», sagt Michele Telaro, MSF-Projektkoordinator in Idomeni. Auch die Hilfsorganisationen seien nicht oder erst im letzten Moment über Details informiert worden, was ihre Arbeit, vor allem die medizinische Versorgung der Menschen, stark erschwere.

Schwer wiegt auch der Kritikpunkt, dass der Abtransport ohne Rücksicht auf Nationalität geschah. Deshalb sitzen nun Tausende von Menschen unterschiedlicher Ethnien auf engstem Raum aufeinander. Seit März kam es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen unterschiedlicher Volksgruppen mit Verletzten. Bereits im März hatten die Behörden darauf mit einer räumlichen Trennung der Gruppen und verstärkten Sicherheitsmassnahmen reagiert, doch die Umsiedlung unterminiert diese Massnahmen. Nachdem am Sonntag eine Gruppe Kurden einen Syrer bei einer Messerstecherei in einem Lager verletzt hatten, zeigten sich die Behörden am Montag denn auch besorgt über neue, ethnisch motivierte, Auseinandersetzungen.

Ausser Kontrolle

Bedenklich ist auch die Tatsache, dass im Zuge der Räumung Tausende von Migranten verschwunden sind: Nur 3700 der 8500 ehemaligen Bewohner Idomenis wurden umgesiedelt. Wo sich die anderen befinden, weiss niemand. Behörden und Helfer spekulieren, einige hätten sich zu Fuss in die offiziellen Lager begeben, während andere sich weiterhin in der Region aufhielten. Sie gingen in die anderen, schon länger bestehenden «wilden» Lager, etwa rund um Polykastro, oder harren in den Wäldern aus. Viele verstecken sich vor der Polizei, da sie kaum Aussicht auf Asyl haben und da die Behörden dem Vernehmen nach diese Woche auch die Räumung der Lager um Polykastro planen. Informiert haben sie darüber nicht.

Die Räumung von Idomeni zeigt, dass der griechische Staat zwar in der Lage ist, polizeilich einzuschreiten, aber weiterhin völlig damit überfordert ist, die gut 50 000 Migranten im Land menschenwürdig unterzubringen. Klar ist, dass dies für die winzige griechische Asylbehörde einer Herkulesaufgabe gleichkommt. Andererseits erhöht sich seit dem Inkrafttreten des Flüchtlingsabkommens zwischen der EU und der Türkei die Anzahl Asylsuchender im Land nicht mehr, und auch die Probleme seit der Räumung von Idomeni waren absehbar. Ob es den Griechen an Kapazitäten fehlt oder ob sie eine bewusste Abschreckungsstrategie verfolgen, ist auch für die befragten Helfer vor Ort unklar.

Zögerliche Hilfe aus Europa

Einen kleinen Silberstreifen am Horizont bietet immerhin die Aussicht, dass die EU-Staaten endlich ernst machen mit ihren Hilfezusagen. In diesem Bereich ist viel in Bewegung, sprach die EU-Kommission doch alleine im Mai mehr als 80 Millionen Euro für die griechischen Asylbehörden, die Polizei und Hilfsorganisationen. Auch kommen die Mitgliedsländer langsam, aber sicher ihren personellen Verpflichtungen nach: So fehlen zwar noch Übersetzer und Frontex-Personal, doch bei den Asyl- und Justizbeamten übertreffen die Zusagen inzwischen die Forderungen der europäischen Behörden. Von gesamthaft 2452 angeforderten Personen sind nun 1460 zugesagt. Doch befinden sich erst 251 ausländische Experten in Griechenland.

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