21. Januar 2016 · Kommentare deaktiviert für Griechenland in der Flüchtlingskrise: Auffanglager statt Transitland · Kategorien: Europa, Griechenland · Tags:

Quelle: NZZ

Trotz schärferen Grenzkontrollen und eisigen Temperaturen hält der Flüchtlingsstrom an. Athen befürchtet, dass vermehrt Migranten im Lande bleiben.

von Marco Kauffmann Bossart, Istanbul

Die Flüchtlingskrise hat sich für Griechenland am Mittwoch erneut verschärft. Die temporäre Grenzschliessung Mazedoniens und die Ankündigung, die Aufnahme von Migranten weiter einzuschränken, macht die Situation für die Griechen noch schwieriger. Auch so nimmt der Strom über die Ägäis nämlich kaum ab – im Januar erreichten über 30 000 Personen griechischen Boden.

Endstation Idomeni

Dies erstaunt, weil die Türkei und Griechenland seit Monaten ihr Grenzregime verstärken. Auch hielten Temperaturen unter dem Gefrierpunkt viele nicht davon ab, die Überfahrt zu wagen. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) mutmasst , dass der Rekord von 2015, als über 850 000 Schutzsuchende an den Küsten landeten, übertroffen werden könnte.

Athen reagiert zunehmend gereizt. Der Staatspräsident Prokopis Pavlopoulos bezichtigte die türkischen Behörden, mit den Menschenschmugglern gemeinsame Sache zu machen. Die Türkei wies den Vorwurf, der sich mit Schilderungen von Flüchtlingen und Hilfsorganisationen deckt, als verleumderisch zurück. 2015 will die Türkei 200 000 Flüchtlinge abgefangen und 3800 Schlepper verhaften haben. Ankara missachtet nach Ansicht Athens auch das bilaterale Rücknahmeabkommen, da nur wenige Migranten abgeschoben werden können.

In Griechenland stecken Pakistaner, Bangalen, Iraner und Bürger afrikanischer Länder fest. Weil sie geringere Chancen haben, Asyl zu erhalten, als Syrer, Iraker oder Afghaninnen, endet die Reise für sie seit November am griechisch-mazedonischen Grenzort Idomeni. Von dort werden die Zurückgewiesenen in ein Lager in Sportstadien der Olympiade von 2004 gebracht. Sie können entweder in Griechenland – mit geringen Erfolgschancen – Asyl beantragen oder sollen sonst ausgewiesen werden. Allerdings verweigerte Pakistan mehrfach die

Rücknahme.

Wie viele Migranten in Griechenland gestrandet sind, scheint niemand ganz genau zu wissen. Der zuständige Minister Ioannis Mouzalas sprach unlängst von «einigen tausend». Laut der Zeitung «Ekathimerini» hinderte Mazedonien allein im vergangenen Monat 12 000 Personen am Grenzübertritt. Diese Zahl könnte freilich stark ansteigen, sollten Zielländer wie Deutschland Obergrenzen durchsetzen. Damit würde sich auch der Transit durch die Balkanländer für Bürger der «privilegierten» Krisenländer (Syrien, Irak, Afghanistan) verlangsamen oder gar zum Erliegen kommen. Bereits am Mittwochabend strandeten Hunderte aufgrund der neuen Grenzpolitik Mazedoniens. Ein Schutzwall, der Griechenland zu einem grossen Wartesaal machen würde, wäre für Athen das schlimmste aller Szenarien, zumal nur Optimisten an eine zügige Umverteilung von Asylsuchenden glauben.

Das grosse Schwarzpeterspiel

Griechenland steht in der EU auch selbst unter Druck, da es sich zu lange gegen Hilfe sträubte. Nicht zuletzt als Reaktion auf die Drohung einzelner EU-Staaten, Griechenland aus dem Schengen-Raum zu befördern, zeichnen sich Fortschritte ab. Bis Ende Februar sollen die fünf «Hotspots», die Neuankömmlinge registrieren und überprüfen, funktionsfähig sein. Griechenland kritisiert aber weiterhin, die europäische Grenzagentur Frontex habe weit weniger Personal und Schiffe entsandt als beantragt. Brüssel verweist derweil auf die Schlüsselrolle der Türkei.

Wenngleich Ankara und Brüssel ihre aus dem Tiefschlaf erweckte Partnerschaft beschwören, ist das gegenseitige Misstrauen nicht verschwunden. Die Kooperation in der Flüchtlingskrise kommt daher nur in Trippelschritten voran. Zudem lässt sich noch nicht abschätzen, inwiefern von der Türkei auf den Weg gebrachte Massnahmen, etwa eine Arbeitserlaubnis für Syrer, den Flüchtlingsstrom zu verringern vermögen. Das Schwellenland gewährt zwar über zwei Millionen Migranten temporär Unterschlupf. Zu einem gigantischen Auffanglager an den Toren Europas will allerdings auch die Türkei nicht werden.

Kommentare geschlossen.