02. Januar 2016 · Kommentare deaktiviert für „Die neue deutsche Härte in der Asylpolitik“ · Kategorien: Deutschland · Tags: ,

Quelle: Die Welt

Noch nie kamen so viele Asylsuchende nach Deutschland wie 2015. Das soll nicht so weitergehen. Deshalb plant die Union Verschärfungen im Asylsystem. Zuletzt war diese Strategie durchaus erfolgreich.

Von Manuel Bewarder

35 Buchstaben lang ist das Wort-Ungetüm, das vielen auch als das wichtigste Gesetz des Jahres gilt. „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz“ heißt es ganz offiziell im Bundesgesetzblatt. Viel lässt sich bereits aus dem Namen schließen: Asylgesuche sollen viel schneller als bisher entschieden werden. Doch was fehlt ist die Absicht, die dahinter steht: Die Zahl der Flüchtlinge soll zurückgehen.

Noch nie kamen so viele Asylsuchende nach Deutschland wie im Jahr 2015. Rund eine Million in einem Jahr. Einen genauen Überblick hat noch niemand. Beiden Regierungsparteien aber ist klar, dass eine ähnliche Größenordnung an Personen nicht Jahr für Jahr aufgenommen werden kann – jedenfalls dann nicht, wenn die Menschen ordentlich untergebracht und integriert werden sollen.

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Weil eine Obergrenze in der Praxis kaum ohne Anwendung von Gewalt (will niemand) oder eine Änderung des Asylrechts (will kaum jemand) umzusetzen ist, haben sich Union und SPD für deftige Asylverschärfungen entschieden. Maßnahmen, die sonst wohl kaum eine Aussicht auf Umsetzung gehabt hätten, wurden plötzlich im Eiltempo auf den Weg gebracht. Deutschland soll den Flüchtlingen madig gemacht werden. Wenn das gelingt, wäre selbst die löchrige EU-Außengrenze kein großes Problem mehr, hofft man. Das ist deshalb Plan A. Ihn kann man wenigstens selbst bestimmen. Aber funktioniert er auch?

Die Union setzt schärfere Regeln durch

Die Asyl- und Einwanderungspolitik ist eines der großen Streitthemen zwischen Union und SPD. Schon in den Koalitionsverhandlungen flogen 2013 die Fetzen. Die Sozialdemokraten wollten den Doppelpass erheblich ausweiten. Die Union dagegen wollte abgelehnte Asylbewerber schneller loswerden und Asylanträge vom Westbalkan im Regelfall ablehnen. Wie üblich in der Politik einigte man sich irgendwo in der Mitte. Meist klappt dieses Durchwurschteln ja auch. Doch nun haben wir es mit den größten Flüchtlingszahlen seit dem Zweiten Weltkrieg zu tun. Auch wenn niemand mit diesem Ausmaß gerechnet hat – im Nachhinein sieht es wie ein Punktsieg für die Union aus.

„Es war bereits vor zwei Jahren klar, dass wir die Anreize für Einwanderer ohne Aussicht auf Asyl deutlich senken müssen“, sagt Armin Schuster (CDU), Obmann der Unionsfraktion im Innenausschuss, im Rückblick. Mit dem ersten Asylpaket – so wird das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz meist genannt – habe man endlich umgesetzt, was die Union schon lange gefordert habe.

Die Liste der sicheren Herkunftsstaaten vom Westbalkan wurde zum Beispiel erweitert und viele Asylbewerber erhalten zunächst vor allem Sachleistungen und kein Bargeld. „In den ersten drei Quartalen hat sich bitter gerächt, dass wir das mit der SPD nicht schon längst anpacken konnten“, sagt Schuster. Es sei schade, dass SPD und Grüne „nur über Schmerzen gelernt haben“. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann zum Beispiel habe „erst zugestimmt, als das Problem unmittelbar vor seiner Haustür auftauchte“.

Kretschmann vollzieht die Wende – und empört viele Grüne

Schuster legt damit den Finger in die Wunde der Grünen. Nach langen Verhandlungen hatte Kretschmann im vergangenen Jahr das für viele in seiner Partei Unmögliche getan: Er stimmte der Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten zu. Vor allem das Kanzleramt hat lange darum gerungen und viele Versprechungen gemacht, zum Beispiel die flächendeckende Einführung einer Gesundheitskarte für Flüchtlinge. Damit sollte der Aufwand für einen Arztbesuch drastisch reduziert werden. Erst wenige Stunden vor der entscheidenden Abstimmung im Bundesrat gab Kretschmann seine Entscheidung bekannt.

„Die Bereitschaft in der Bevölkerung, Flüchtlinge aufzunehmen, ist sehr groß“, sagte Kretschmann vor der Abstimmung. Diese Haltung der Bürger könne sich aber ändern, wenn die Probleme, die durch den großen Zustrom von Asylbewerbern entstanden seien, nicht gelöst würden. Deshalb steuerte Kretschmann schließlich die entscheidende Stimme im Bundesrat bei.DWO-WI-Abschiebungen-Asyl-sk-1

Doch nicht nur viele Grüne, sondern auch Sozialdemokraten haben Bauchschmerzen angesichts der Verschärfungsoffensive. „Ich glaube, dass es uns gelungen ist, trotz für uns als SPD durchaus schmerzlicher Verschärfungen das deutsche Asylsystem auf die besonderen Herausforderungen anzupassen“, sagt SPD-Innenexperte Uli Grötsch. Er verweist darauf, was seine Partei im Gegenzug erreichen konnte: Die Übernahme des Löwenanteils der Kosten für die Kommunen bei Unterbringung und Versorgung sei notwendig gewesen, sagt Grötsch.

Eine erste Bilanz der Asylverschärfungen fällt durchwachsen aus: Es stimmt, dass die Zahl der Zuwanderer vom Westbalkan im Laufe des Jahres drastisch zurückgegangen ist. Doch selbst im November, als das Asylpaket 1 bereits in Kraft getreten war, kamen etwa 200.000 Asylsuchende – und damit etwa 20.000 mehr als im Vormonat.

Die große Koalition tritt nun aber nicht auf die Bremse, sondern hat bereits Gesetzespaket Nummer 2 geschnürt. Unter anderem sollen abgelehnte und unmittelbar ausreisepflichtige Asylbewerber schneller und ohne vorherige Ankündigung abgeschoben werden. Doch irgendwie geht es mit der Umsetzung des Pakets nicht voran. Selbst das Kabinett hat noch nicht darüber entschieden. Die SPD will eine bessere Unterbringung und Versorgung für einen Teil der Flüchtlinge durchsetzen. Die Union wiederum hat Porzellan zerschlagen, weil sie vorherige Absprache verkündete, dass der Familiennachzug für Syrer eingeschränkt werden soll.

In der Koalition schaut man sich derzeit misstrauisch an: SPD-Innenexperte Grötsch setzt darauf, dass nun erst einmal die Maßnahmen umgesetzt werden sollen. Es wäre „absolut kontraproduktiv“, wenn die Union durch „immer neue Vorschläge“ alles infrage stelle, was längst beschlossen sei. „Deshalb haben wir beim ,Asylpaket 2′ auch keine Eile“, sagt Grötsch. „Ich meine, dass die Union von unsinnigen Vorschlägen wie etwa der Finanzierung der Integrationskurse durch die Flüchtlinge und Asylbewerber Abstand nehmen sollte und sich aufs Wesentliche konzentrieren soll.“

Ist die SPD zu weiteren Verschärfungen bereit?

Die Union wiederum sieht die SPD in der Pflicht. „Jetzt geht es darum, dass die SPD mitmacht, wenn wir den Familiennachzug einschränken und die Residenzpflicht verschärfen“, erklärt CDU-Innenexperte Schuster. „Ich kenne keinen Amtsleiter einer Ausländerbehörde, der nicht sagt, wir müssten statt mit einer mit drei Millionen Flüchtlingen rechnen.“ Die gültige Rechtsordnung müsse konsequent eingehalten werden. „Das heißt, dass es auch keine Ausnahmen für nur subsidiär schutzbedürftige Syrer geben kann.“ Auch für sie wäre damit der Familiennachzug eingeschränkt.

Die Zukunft möglicher neuer Asylverschärfungen ist somit ungewiss. Angesichts der derzeit zurückgehenden Flüchtlingszahl geht der Handlungsdruck zurück. Außerdem heißt es aus Parteikreisen, dass die kommende Bundestagswahl näher rückt und man sich bereits kritisch beäugt. Vor allem die SPD sucht nach einem Weg aus dem 25-Prozent-Tief in den Umfragen.

Eine Abgrenzung von der Politik der Union ist daher nur eine Frage der Zeit. Und es gilt als ausgemacht, dass die Sozialdemokraten CDU und CSU in der Flüchtlingspolitik nicht rechts überholen können, ohne gegen die eigenen linken Prinzipien zu verstoßen. Auch wenn mancher das am liebsten möchte.

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