19. November 2015 · Kommentare deaktiviert für „Zaunbau in Slowenien: Stress am Stacheldraht“ · Kategorien: Balkanroute, Slowenien · Tags:

Quelle: Spiegel Online

Slowenien hat an seinen Grenzen Sperren hochgezogen – eine Vorstufe der völligen Abriegelung? Experten halten das Vorhaben für einen Fehler: Statt Flüchtlinge aufzuhalten, erzeugt es nur neue Konflikte zwischen den Ländern der Region.

Aus Rigonce und Dobova berichtet Keno Verseck

Da steht er nun, der nächste Grenzzaun Osteuropas: drei Rollen Nato-Stacheldraht, knapp zwei Meter hoch, am Ufer eines streckenweise nur knietiefen Flüsschens. Offiziell heißt er nicht Zaun, sondern „temporäre physische Barriere“. Polizisten in schwarzen Uniformen bewachen die Barriere gelangweilt, spielen auf ihren Smartphones – ihnen scheint klar zu sein, dass hier sowieso niemand versucht, illegal die Grenze zu übertreten.

Rigonce, ein kleiner Übergang an der slowenisch-kroatischen Grenze – einer von drei Grenzübergängen zwischen den beiden Ländern, den die slowenische Regierung zu beiden Seiten jeweils mit mehreren Kilometern Stacheldraht hat absperren lassen. Ein paar hundert Meter weiter südlich verläuft eine Eisenbahn-Transitstrecke, die seit zwei Monaten Teil der „Balkanroute“ ist: Hier kommen in Zügen täglich mehrere tausend Flüchtlinge aus Kroatien in ein Aufnahmelager im slowenischen Grenzort Dobova.

Seit einigen Tagen fahren die Züge durch. Zuvor stiegen Flüchtlinge auf kroatischer Seite aus und liefen über Rigonce zu Fuß nach Dobova. Deshalb ordnete die slowenische Regierung Mitte letzter Woche schließlich den Zaunbau an – so sollte der „Flüchtlingsstrom kanalisiert“ werden, wie es offiziell hieß. Obwohl Flüchtlinge praktisch kaum über die grüne Grenze kamen.

„Symbol des Nationalismus“

Sind die „temporären physischen Barrieren“ also die Vorstufe einer vollständigen Abriegelung der slowenisch-kroatischen Grenze? Die slowenische Regierung bestreitet das. Auch der Laibacher Politologe und Jurist Mitja Zagar glaubt, dass Slowenien finanziell und logistisch eher nicht in der Lage sei, die 670 Kilometer lange Grenze vollständig abzuzäunen und zu bewachen. Aber auch Teilzäune seien „völlig sinnlos“, so Zagar, denn sie hülfen nicht, die Ursachen der Migration im Nahen und Mittleren Osten und in Nordafrika zu beseitigen.

Der kroatische Politologe Zarko Puhovski wählt schärfere Worte. Die Zäune in Slowenien seien „Symbol des Nationalismus“ und ein „Ausdruck für das Elend der osteuropäischen Kleinstaaterei“ – Puhovski spielt damit auf den Titel eines berühmten Buches des ungarischen Politikers István Bibó an und verweist darauf, dass durch den Zaunbau auch ein alter Streit um den exakten Verlauf der Grenze zwischen beiden Ländern neu ausgebrochen ist: Vor einigen Tagen drohte die kroatische Regierung an, den slowenischen Zaun stellenweise abzubauen, da er auf kroatischem Territorium stünde.

Ein paar Kilometer vom Grenzübergang Rigonce und seinen Zäunen entfernt kann man ein anderes Elend beobachten – das von Flüchtlingen. Hier, am Rande des slowenischen Dorfes Dobova, steht ein großes Zeltlager, bewacht von Polizei und Soldaten. An ruhigen Tagen kommen hier 3000 Flüchtlinge an, momentan sind es meistens 7000, darunter viele Familien mit Säuglingen und Kleinkindern, auch viele ältere Menschen. Die meisten haben seit Tagen kaum geschlafen, sich seit Längerem nicht richtig waschen können.

Hier in Dobova bekommen sie nach der Reise von der serbisch-kroatischen Grenze in Sonderzügen von freiwilligen Helfern eine kleine Essenstüte und Wasser, dann warten sie auf ihre Registrierung und eine Sicherheitskontrolle, die nach den Anschlägen von Paris noch einmal verschärft wurde, anschließend werden sie vom nahegelegenen Bahnhof in Sonderzügen nach Österreich gefahren. Die Wartezeit beträgt manchmal einen ganzen Tag, doch es geht immerhin geordnet zu, die Zelte sind beheizt, es gibt genügend Decken – Bilder eines Flüchtlingschaos‘ wie in Ungarn vor einigen Wochen will Slowenien vermeiden.

„Zaunbau eine Illusion“

Jussuf Abdullah, 40, war Polizist in Bagdad, bis er sich vor einigen Wochen zusammen mit seiner Frau via Türkei und Griechenland auf den Weg nach Deutschland machte. „Es gibt zu viel Terror im Irak, man kann dort selbst als Polizist nicht mehr leben“, sagt er. Hat er von den Anschlägen in Paris gehört? „Natürlich“, sagt er. „Das waren böse Menschen. Hoffentlich machen sie in Europa jetzt nicht uns alle verantwortlich, weil wir Muslime sind.“

Ein Mann aus Syrien bringt seine fiebernde kleine Tochter ins Sanitätszelt. Dort kümmert sich die ungarische Notärztin Katalin Debreczeni um sie. Die 53-Jährige macht hier seit zwei Wochen Freiwilligendienst, Caritas Ungarn bezahlt Unterkunft und Verpflegung. „Mehr als die Hälfte der Patienten sind kranke Kinder“, sagt Debreczeni, „sie sind erkältet, haben Grippe oder Durchfall, und wenn der Winter kommt, wird es wohl noch schlimmer werden.“

Und was, wenn Deutschland oder Österreich ihre Grenze schließen? Robert Perc, örtlicher Sprecher der slowenischen Polizei, sagt, die Lage im kleinen Slowenien mit seinen zwei Millionen Einwohnern werde dann sehr schwierig. Zu einem möglichen Ausbau des Grenzzaunes dürfe er sich nicht äußern.

„Der Zaunbau an der slowenisch-kroatischen Grenze und der mögliche Bau weiterer Zäune auf dem Westbalkan führen zu neuen Spannungen zwischen den Ländern der Region“, sagt der Zagreber Soziologe und Migrationsforscher Drago Zuparic-Iljic. „Einen neuen Krieg wird es in der Region zwar nicht geben, aber die diplomatischen Verwicklungen nehmen zu, und es könnte sogar zu Konflikten zwischen Grenztruppen kommen.“

Flüchtlinge würden selbst dann weiterhin in gewisser Anzahl kommen, wenn die Türkei mehr unternähme, Migranten aufzuhalten, prognostiziert Zuparic-Iljic, und sie würden immer eine Route finden, auch durch den Westbalkan. „Deshalb ist Zaunbau eine Illusion, die Länder der Region sollten vor Beginn des Winters lieber so schnell wie möglich neue Aufnahmelager bauen.“

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