22. Oktober 2015 · Kommentare deaktiviert für Flüchtlinge in Slowenien und Österreich: Kritische Lage an der Grenze · Kategorien: Balkanroute, Österreich, Slowenien · Tags:

Quelle: Frankfurter Rundschau

Tausende Flüchtlinge kommen über Slowenien nach Österreich. Die Lage an der Grenze in Spielfeld in der Südsteiermark wird immer unübersichtlicher, die Transitlager sind überfüllt. Viele Menschen machen sich auf eigene Faust auf den Weg Richtung Norden.

SPIELFELD Jahrelang lagen die weitläufigen Anlagen des früheren Grenzüberganges Spielfeld brach: Nach dem EU-Beitritt Sloweniens im Jahr 2004 wurde zunächst die Zollabfertigung überflüssig, drei Jahre später zogen mit der Ausweitung des Schengen-Raumes auch die Grenzpolizisten ab. Seit einigen Wochen herrscht nun im Grenzort am Fuß der südsteirischen Weinberge wieder hektische Betriebsamkeit: Viele Hundert Flüchtlinge kommen jeden Tag aus Slowenien nach Österreich. Seit Ungarn seine Grenze zu Kroatien abgeriegelt hat, steigt die Zahl stetig an. Kamen noch bis vor Kurzem die meisten Flüchtlinge über den ungarischen Grenzübergang Nickelsdorf nach Österreich, hat sich die Route nun nach Südösterreich verlagert. Spielfeld ist zum neuen Brennpunkt der Flüchtlingskrise geworden.

An der Grenze werden die Flüchtlinge von der Polizei registriert und von Rotem Kreuz und vielen Freiwilligen versorgt, bevor sie in Notunterkünfte in der etwa 55 Kilometer entfernten Landeshauptstadt Graz und in ganz Österreich gebracht werden. Eine eigens eingerichtete Leitstelle im Innenministerium in Wien koordiniert den Transport der Flüchtlinge und ihre Verteilung auf die Unterkünfte.

Bisher verlief in Spielfeld alles in geordneten Bahnen, die Flüchtlinge wurden von der slowenischen Polizei in Gruppen von etwa 200 Personen an die Grenze gebracht und von den österreichischen Behörden übernommen. Doch in den vergangenen Tagen hat sich die Lage zugespitzt: Am Dienstagabend kamen auf einmal 4000 Menschen nach Österreich, die nicht mehr länger in Slowenien auf ihre Weiterreise warten wollten. Sie drängten gegen Absperrungen und überkletterten Zäune, an der Essensausgabe kam es kurzzeitig zu tumultartigen Szenen. Nach der ersten Aufregung beruhigte sich die Lage schnell wieder. Die meisten Menschen konnten noch in der Nacht weiterreisen, die letzten Flüchtlinge wurden am Mittwochvormittag in Unterkünfte gebracht.

Schon kurz darauf kamen allerdings wieder zahlreiche Flüchtlinge nach Spielfeld, nach Schätzungen der Polizei waren es bis zum Mittwochabend mehrere Tausend. Die große Zahl der Menschen überstieg die vorhandenen Transportkapazitäten, etwa 1500 Flüchtlinge machten sich deshalb am Nachmittag auf eigene Faust auf den Weg Richtung Norden.

Viele der Menschen gaben aber bald erschöpft auf und setzten sich zur Rast an die Bundesstraße, die meisten kehrten bis zum Abend wieder nach Spielfeld zurück. Die Flüchtlinge hätten offenbar geglaubt, sie könnten zu Fuß nach Deutschland gelangen. Als sie bemerkt hätten, dass es von der Südsteiermark an die deutsche Grenze mehrere Hundert Kilometer sind, hätten sie aufgegeben, so die Polizei.

In der Nacht zum Donnerstag harrten 2000 Menschen an der slowenisch-österreichischen Grenze aus, nicht für alle von ihnen gab es Platz in einem der beheizten Zelte: Etwa 500 Flüchtlinge mussten in Decken gehüllt im Freien schlafen. Sie sollten am Vormittag so schnell wie möglich weitertransportiert werden.

Doch bereits in den Morgenstunden wurde der Druck im Lager zu groß, die Polizei musste die Absperrungen öffnen. Erneut sind nun Hunderte Flüchtlinge zu Fuß entlang der Bundesstraße auf dem Weg Richtung Norden, viele Menschen reisen auch mit Taxis weiter. Mit Lautsprecherdurchsagen innerhalb und außerhalb des Transitlagers versuchten die Behörden die Menschen zum Umkehren zu bewegen. Doch viele Flüchtlinge wollten nicht länger auf den von den Behörden organisierten Transport warten und setzen ihre Reise trotzdem auf eigene Faust fort.

Zu Mittag warteten in Spielfeld rund 4000 Menschen auf die Weiterfahrt, das Innenministerium hatte rund 130 Busse angefordert. Allerdings konnten die Busse zunächst nicht abfahren: Wegen der vielen Menschen befürchtete die Polizei, es könnte zu gefährlichen Drängeleien kommen.

Weil immer wieder Flüchtlinge über die Gleise laufen, mussten die Slowenischen Eisenbahnen und die Österreichischen Bundesbahnen am Donnerstagvormittag erneut den den grenzüberschreitenden Bahnverkehr einstellen, Reisende werden mit Ersatzbussen befördert. Wie die slowenische Tageszeitung Večer berichtet, wurde am späten Vormittag auch die Bundesstraße in Spielfeld für den Reiseverkehr gesperrt, die Fahrzeuge wurden auf die Autobahn umgeleitet. Richtung Österreich bildete sich ein Stau.

Landeshauptmann erzürnt über die Lage

Erzürnt über die Zustände am Grenzübergang Spielfeld zeigte sich am Mittwochabend der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer: „So geht es nicht weiter. Es ist die Kernaufgabe des Staates, seine Grenzen für die Bürger zu schützen. Das ist nicht mehr der Fall“, sagte der konservative Politiker im ORF-Fernsehen. Man tue alles, um das Leid der Menschen zu lindern. „Aber es ist nicht denkbar, dass Tausende Menschen, wo immer sie auch herkommen, über die Grenze marschieren, ohne dass sie gefragt werden ‚Wohin wollt ihr? Woher seid ihr?'“, so Schützenhöfer, der eine verstärkte Überwachung der der Grenze durch Polizei und Bundesheer fordert. Es gehe aber nicht darum, die Grenze abzuriegeln, betont der Politiker

Gleichzeitig forderte der steirische Landeshauptmann Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann auf, beim EU-Sondergipfel in Brüssel am Sonntag für eine solidarische europäische Flüchtlingspolitik einzutreten: „Es geht nicht, dass alles Leid dieser Welt in Deutschland oder zunehmend in Österreich abgeladen wird.“

Im Innenministerium tagte am Donnerstagvormittag ein Krisenstab, um über die aktuelle Lage in Spielfeld und die Forderungen der steirischen Landesregierung nach mehr Polizei- und Militärkräften zu beraten. Wie Innenministerin Johanna Mikl-Leitner zu Mittag im ORF-Radio sagte, sei der Personalstand der Einsatzkräfte bereits erhöht worden: „Wir haben jetzt von 200 auf 265 Polizisten aufgestockt, das Bundesheer hat statt zwei nun drei Kompanien im Einsatz.“ Insgesamt seien jetzt über 700 Beamte und Soldaten an der steirisch-slowenischen Grenze im Einsatz, so die konservative Politikerin.

Die rechtspopulistische FPÖ fordert indes einmal mehr ein härteres Vorgehen gehen die Flüchtlinge. Die Folgen für die „heimische Bevölkerung“ seien „dramatisch“, sagt der steirische FPÖ-Chef Mario Kunasek. Deshalb müssten die Grenzen „dich gemacht“ werden. Fritz Grundnig, Sprecher der Landespolizeidirektion Steiermark, warnt gegenüber der Kleinen Zeitung allerdings vor Panikmache: „Da sind gebrechliche, ältere Menschen darunter und auch Familien mit Kindern. Das sind Menschen, die auf der Flucht sind, keine Schwerverbrecher.“

In Spielfeld wird unterdessen am weiteren Ausbau des Transitlagers gearbeitet: Noch am Donnerstag sollen zwei weitere Zelte fertiggestellt werden, die Platz für rund 1000 Menschen bieten. Ob das ausreichen wird, ist allerdings fraglich: Auf der slowenischen Seite der Grenze warten nach Angaben der Polizei mehrere Tausend Menschen auf die Einreise nach Österreich.

Nach Angaben des Innenministeriums in Laibach (Ljubljana) haben am Mittwoch und Donnerstag innerhalb von 24 Stunden 12 600 Flüchtlinge Slowenien erreicht. Die slowenische Regierung bittet nun die EU um Hilfe und fordert Unterstützung durch Polizeikräfte aus anderen Ländern an.

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