23. September 2015 · Kommentare deaktiviert für „Studie zu Flüchtlingen in Europa: Fast eine halbe Million können mit Asyl rechnen“ · Kategorien: Europa, Lesetipps · Tags: ,

Quelle: Spiegel Online

Von Alexander Sarovic und Vanessa Steinmetz

Hunderttausende Flüchtlinge werden dauerhaft in Europa bleiben können, ein Ende des Andrangs ist nicht absehbar. Das geht aus einer neuen OECD-Untersuchung hervor. Die wichtigsten Punkte im Überblick.

Hunderttausende Asylbewerber kommen nach Europa, etwa 450.000 werden wohl dauerhaft bleiben dürfen: So viele Flüchtlinge können mit Asyl rechnen – mehr als in jeder anderen europäischen Flüchtlingskrisen seit dem Zweiten Weltkrieg. Zu dem Ergebnis kommt eine Untersuchung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).

Für die Studie unter dem Titel „Migration Policy Debates“ wurden die jüngsten Wanderungsbewegungen und die Migrationspolitik des Industrieländerklubs OECD analysiert.

700.000 Menschen haben demnach im laufenden Jahr in der EU schon Asyl beantragt, eine Million könnten es bis zum Jahresende sein. Diese Zahl der Asylbewerber überschreitet schon jetzt die rund 630.000 Menschen, die zu Beginn des Bosnienkrieges im Jahr 1992 Asyl suchten.

Nicht nur wegen der hohen Zahlen der Asylsuchenden ist die Krise laut OECD für die Aufnahmestaaten beispiellos. Die Herkunftsländer sind unterschiedlich, die Gründe für die Migration auch – das mache es schwer, die Anträge schneller zu bearbeiten.

Die wichtigsten Ergebnisse:

  • Der Anteil der Syrer, Iraker und Eritreer ist im Juni 2015 auf mehr als ein Drittel angestiegen. Es wird erwartet, dass diese Quote weiter wächst.
  • Die Fluchtwege sind so lang wie noch nie.
  • Immer mehr Menschen kommen über das östliche Mittelmeer nach Europa, aber immer weniger Staatsangehörige aus Staaten des Westbalkans stellen Asylanträge.
  • Von allen OECD-Staaten ist die Türkei am stärksten betroffen. Knapp zwei Millionen Syrer halten sich dort auf. Hinzu kommen rund 300.000 Iraker, Afghanen und Pakistaner.
  • Hauptziel ist Deutschland: 800.000 Flüchtlinge werden es nach Schätzung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in diesem Jahr werden.
  • 24.000 unbegleitete Minderjährige beantragten 2014 Asyl in der EU – das sind vier Prozent aller Asylsuchenden im vergangenen Jahr. Die Zahl der Minderjährigen, die gar keinen Antrag stellten, liegt noch einmal höher.

Ein Ende der Massenflucht ist laut OECD nicht absehbar. Denn eine Stabilisierung der Lage in Staaten wie Libyen, Afghanistan und Pakistan sei momentan ebenso wenig denkbar wie ein Ende des Kriegs in Syrien. Dennoch ist Europa nach Einschätzung der Experten gut aufgestellt, um die Krise zu bewältigen: Zum einen habe der Kontinent jetzt Erfahrung im Umgang mit humanitären Krisen. So nahm etwa Deutschland allein während des Bosnienkriegs (1992-1995) mehr als 300.000 Flüchtlinge auf. Zum anderen ist die demografische Lage laut der Studie heute anders als damals. Es gibt weniger Menschen, die im Wettbewerb um Arbeitsplätze stehen.

Höhere Bildung als der Durchschnitt

Gleichzeitig gehören die Flüchtlinge laut der Untersuchung in der Regel nicht zu den Ärmsten in ihren Herkunftsländern. Sie hätten oft einen höheren Bildungsgrad als die Durchschnittsbevölkerung dort, vor allem die Syrer. Diese seien im Schnitt auch besser ausgebildet als Flüchtlinge aus anderen Ländern und als Flüchtlingsgruppen in der Vergangenheit. Jeder fünfte Syrer, der zwischen Januar 2013 und September 2014 in Deutschland Asyl beantragte, gab laut der OECD-Untersuchung an, einen Universitätsabschluss zu haben.

Die Organisation empfahl auch, wie die Staaten mit dem Andrang der Asylbewerber umgehen und die Menschen besser integrieren könnten. Länder wie Ungarn müssten Geld von anderen EU-Staaten bekommen, die OECD spricht sich zudem für einen europaweiten Verteilungsmechamismus für Flüchtlinge aus, über den die Innenminister der EU-Länder am Donnerstag erneut beraten wollen.

Um die Flüchtlinge schnell in die Gesellschaft zu integrieren, müssten die Aufnahmestaaten Sprachkurse anbieten und den Zugang zu Bildung ermöglichen. Mittelfristig müsse auch die Integration in den Arbeitsmarkt gelingen. Dies erfordere von den Aufnahmestaaten zum einen, dass sie für die Migranten Aus- und Fortbildungsprogramme zur Verfügung stellen. Zum anderen seien Maßnahmen erforderlich, um eine Diskriminierung der Neuankömmlinge durch Arbeitgeber und Vorurteile gegen sie zu bekämpfen.

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